Psychiatrische und psychotherapeutische Komplexbehandlung
Die Komplexversorgung ist ein Behandlungsprogramm für Patientinnen und Patienten mit insbesondere schweren psychischen Erkrankungen. Sie werden von einem multiprofessionellen Team engmaschig und kontinuierlich betreut.
Die Komplexversorgung soll Betroffenen mit psychischen Erkrankungen dabei helfen, selbstständig und stabil zu leben. Im Mittelpunkt steht eine intensive Koordination und Kooperation der Beteiligten. Regionale Zusammenschlüsse von Fachärzten und Psychotherapeuten sorgen beispielsweise dafür, dass ein direkter und lückenloser Übergang vom Krankenhaus in die Praxis gelingt.
Mit dem Versorgungsprogramm, das der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) 2021 auf den Weg gebracht hat, soll die Versorgung von Menschen mit insbesondere schweren Erkrankungen verbessert werden. Weniger vermeidbare Krankenhausaufenthalte und Brüche beim Wechsel zwischen stationärer und ambulanter Versorgung – auch das sind wichtige Ziele der Komplexversorgung.
Gerade auch Hausärztinnen und Hausärzte können ihre Patientinnen und Patienten, die unter einer schweren psychischen Erkrankungen leiden, überweisen. Betroffene können von dieser intensivierten und koordinierten Versorgung profitieren und Hausärztinnen und Hausärzte werden entlastet.
Um eine zeitnahe und aufeinander abgestimmte Versorgung bieten zu können, schließen sich Ärztinnen und Ärzte verschiedener Fachrichtungen wie Psychiatrie, Neurologie und Psychosomatik sowie Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten zu regionalen Netzverbünden zusammen.
Diese kooperieren mit Krankenhäusern, mit der häuslichen psychiatrischen Pflege sowie anderen Gesundheitsberufen wie der Sozio- und Ergotherapie.
Innerhalb des Verbundes haben die Patientinnen und Patienten eine feste Ansprechperson: den Bezugsarzt beziehungsweise -psychotherapeuten.
Ihm oder ihr zur Seite steht eine Person, zum Beispiel eine Medizinische Fachangestellte, die die Behandlung koordiniert, sich um organisatorische Aufgaben kümmert und die Patientinnen und Patienten zum Beispiel dabei unterstützt, Behandlungstermine wahrzunehmen.
Gesamtbehandlungsplan und Fallbesprechungen
Für jeden Patienten wird ein Gesamtbehandlungsplan erstellt, in dem die Ziele und Maßnahmen aufgeführt sind. Damit alle involvierten Berufsgruppen aufeinander abgestimmt agieren können und im engen Austausch bleiben, finden regelmäßig Fallkonferenzen statt.
Schneller Zugang
Betroffene, die sich an einen Netzverbund wenden, sollen möglichst innerhalb von sieben Werktagen einen Termin erhalten. Das gleiche gilt für die sich anschließende differentialdiagnostische Abklärung.
An wen richtet sich das Programm?
Das Angebot richtet sich an Menschen insbesondere mit schweren psychischen Erkrankungen und einem komplexen psychiatrischen, psychosomatischen oder psychotherapeutischen Behandlungsbedarf.
Außerdem muss eine Erkrankung F10 bis F99 nach Kapitel V der ICD-10-GM vorliegen.
Komplexer Behandlungsbedarf: Dieser liegt vor, wenn zur Erreichung der Heilung, Linderung oder Verhütung von Verschlimmerung der Erkrankung pro Quartal der Einsatz von mindestens zwei Maßnahmen der Behandlung durch unterschiedliche Disziplinen nötig ist.
Schwere der Erkrankung: Für die Komplexbehandlung kommen Patienten infrage, deren GAF-Wert höchstens ≤ 50 beträgt. GAF steht für „Global Assessment of Functioning“. Mit der Skala wird das allgemeine Funktionsniveau bei psychiatrischen Erkrankungen erfasst. Weitere Informationen zur GAF-Skala
Für Erwachsene mit psychischen Erkrankungen gibt es die ambulante Komplexversorgung seit Oktober 2022. Damit auch Kinder und Jugendliche von dem Versorgungskonzept profitieren können, hat der G-BA im März 2024 die entsprechende Richtlinie geändert (mehr).
Aufbau und Struktur
Die Organisation der psychiatrischen und psychotherapeutischen Komplexbehandlung erfolgt über Netzverbünde. Dafür schließen Vertragsärzte und -psychotherapeuten einen Netzverbundvertrag.
Mitglieder im Netzverbund: Ein Netzverbund besteht aus mindestens zehn Mitgliedern. Davon müssen mindestens vier Fachärzte für Psychotherapie und Psychiatrie / Psychosomatische Medizin und Psychotherapie / Nervenheilkunde / Neurologie und Psychiatrie sowie mindestens vier Psychotherapeuten sein.
Kooperationspartner: Jeder Netzverbund schließt Kooperationsverträge mit mindestens einem Krankenhaus, das eine psychiatrische oder psychosomatische Einrichtung für Erwachsene hat und einem Dienst für psychiatrische häusliche Krankenpflege sowie mit mindestens einer Person aus den folgenden Gesundheitsberufen: Ergotherapie und Soziotherapie. Bei Bedarf ziehen sie weitere Fachleute oder Dienste hinzu. Mindestens ein kooperierendes Krankenhaus muss in der Region des Netzverbundes für die regionale psychiatrische Pflichtversorgung zuständig sein.
Bezugsärzte/-psychotherapeuten: Als zentrale Ansprechperson trägt sie Verantwortung für die Erstellung und Fortschreibung des Gesamtbehandlungsplans. Sie muss einer der folgenden Fachgruppen angehören: Psychiatrie und Psychotherapie / Psychosomatische Medizin und Psychotherapie / Nervenheilkunde oder Neurologie und Psychiatrie oder Psychotherapie angehören und über einen vollen Versorgungsauftrag verfügen.
Koordinationsperson: Die Koordination des Versorgungsangebots übernimmt eine qualifizierte Fachkraft, die beispielsweise in Soziotherapie, Ergotherapie oder in psychiatrischer Krankenpflege ausgebildet oder als Medizinische Fachangestellte tätig ist. Diese Person unterstützt die Patientin oder den Patienten unter anderem dabei, die Behandlungstermine wahrzunehmen. Hierzu gehören auch die Vereinbarungen von Terminen, ein individuelles Rückmeldesystem zum Einhalten der Termine, Hausbesuche und die Organisation des Informationsaustauschs im Behandlungsteam.
KV-Genehmigung: Die Netzverbünde benötigen eine Genehmigung ihrer Kassenärztlichen Vereinigung (KV), um die Leistungen der Komplexversorgung (Abschnitt 37.5 EBM) abrechnen zu können. Dazu reichen sie den Netzverbundvertrag sowie die Kooperationsverträge ein. Weitere Informationen dazu erteilt die jeweilige KV.
Für die Versorgung in der psychiatrischen Komplexbehandlung ist eine Überweisung oder Empfehlung erforderlich, sofern der direkte Zugang nicht bei einem Netzverbundmitglied erfolgt ist. Eine Überweisung oder Empfehlung kann durch jeden Vertragsarzt erfolgen, eine Empfehlung kann auch durch Vertragspsychotherapeuten, sozialpsychiatrische Dienste, ermächtigte Einrichtungen, Krankenhäuser oder Reha-Einrichtungen erfolgen.
Eingangssprechstunde
Als erstes erfolgt dann der Besuch der Eingangssprechstunde, die jeder Netzverbund anbieten muss. Ein Termin soll innerhalb von sieben Werktagen nach Überweisung/Empfehlung möglich sein. In der Eingangssprechstunde wird geprüft, ob die ambulante Komplexversorgung für die Patientin oder den Patienten das richtige Angebot ist.
Differentialdiagnostische Abklärung
Liegen alle Voraussetzungen vor, soll innerhalb von weiteren sieben Werktagen die differentialdiagnostische Abklärung erfolgen. Hierbei handelt es sich um eine psychische, somatische und soziale, soweit erforderlich interdisziplinär abzustimmende ärztliche Diagnostik und Indikationsstellung, auf deren Grundlage zumindest ein vorläufiger Gesamtbehandlungsplan erstellt wird.
Gesamtbehandlungsplan mit Kriseninterventionsplan
Auf Basis der differentialdiagnostischen Abklärung erstellt der Bezugsarzt/-psychotherapeut in Abstimmung mit der Patientin beziehungsweise dem Patienten ein auf die jeweilige Krankheitssituation spezifisch ausgerichteter Gesamtbehandlungsplan. Soweit erforderlich stimmen sich Ärzte und Psychotherapeuten hierzu interdisziplinär ab, da psychische, somatische und soziale Seiten der Erkrankung im Behandlungsplan gleichermaßen berücksichtigt werden sollen. Der Behandlungsplan ist für alle, die an der Komplexversorgung beteiligt sind, verbindlich. Er wird in den Fallbesprechungen überprüft und falls es nötig ist, angepasst.
Fallbesprechungen
Inwieweit die Therapieziele erreicht werden oder gegebenenfalls eine Anpassung des Gesamtbehandlungsplans notwendig ist, wird mindestens zweimal im Quartal in Fallbesprechungen mit allen an der Behandlung Beteiligten überprüft – erstmals spätestens einen Monat nach dem Erstkontakt mit der Patientin oder dem Patienten in der Eingangssprechstunde. Fallbesprechungen sind auch per Video oder Telefon möglich.
Anschlussversorgung
Wenn die Therapie beendet ist oder die halbjährliche Überprüfung der Einschlusskriterien ergibt, dass die Patientin oder der Patient die Voraussetzungen für die Komplexversorgung nicht mehr erfüllt, erstellt der Bezugsarzt/-psychotherapeut einen Überleitungsplan, der die wesentlichen Informationen über den Behandlungsverlauf enthält.
Abrechnung und Vergütung
Mehrere Gebührenordnungspositionen (GOP) sind zum 1. Oktober 2022 in den neuen Abschnitt 37.5 des EBM aufgenommen worden.
Leistungen der Komplexversorgung auf einen Blick
GOP
Leistung
Hinweis
Bewertung (Punkte)
37500
Eingangssprechstunde
je vollendete 15 Minuten, höchstens viermal im Krankheitsfall
236
37510*
Differentialdiagnostische Abklärung
je vollendete 15 Minuten, höchstens viermal im Krankheitsfall
231
37520
Erstellen eines Gesamtbehandlungsplans
einmal im Krankheitsfall
448
37525
Zusatzpauschale für Leistungen des Bezugsarztes oder des Bezugspsychotherapeuten
einmal im Behandlungsfall
450
37530
Koordination der Versorgung durch eine nichtärztliche Person
einmal im Behandlungsfall
577
37535
Aufsuchen eines Patienten im häuslichen Umfeld durch eine nichtärztliche Person
je Sitzung, höchstens dreimal im Behandlungsfall
166
37550
Fallbesprechung
je vollendete 10 Minuten, höchstens viermal im Behandlungsfall
128
37551
Zuschlag zur GOP 37550 bei Teilnahme eines oder mehrerer nichtärztlicher / nichtpsychotherapeutischer Teilnehmer nach § 3 Abs. 3 und 5 KSVPsych-RL
je vollendete 10 Minuten, höchstens viermal im Behandlungsfall
128
37570
Zusatzpauschale für zusätzliche Organisations- und Managementaufgaben sowie technische Aufwände im Rahmen eines Netzverbundes
einmal im Behandlungsfall
200
* kann ausschließlich von Fachärztinnen und Fachärzten für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Nervenheilkunde sowie Neurologie und Psychiatrie berechnet werden.
Hinweis: Die GOP 37520, 37525, 37530, 37535, 37551 und 37570 können ausschließlich durch den Bezugsarzt oder den Bezugspsychotherapeuten berechnet werden.
Hinweise zur Abrechnung und Vergütung im Detail
Eingangssprechstunde: Die GOP 37500 ist mit 236 Punkten je vollendete 15 Minuten bewertet und höchstens viermal im Krankheitsfall berechnungsfähig.
Differentialdiagnostische Abklärung: Die GOP 37510 ist mit 231 Punkten je vollendete 15 Minuten bewertet und höchstens viermal im Krankheitsfall berechnungsfähig.
Die GOP 37510 können Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Nervenheilkunde sowie Neurologie und Psychiatrie abrechnen.
Erstellen eines Gesamtbehandlungsplans: Hierfür ist die GOP 37520 einmal im Krankheitsfall berechnungsfähig (448 Punkte).
Die GOP kann ausschließlich der Bezugsarzt oder Bezugspsychotherapeut abrechnen.
Zusatzpauschale für Leistungen des Bezugsarztes oder des Bezugspsychotherapeuten: Der Bezugsarzt oder Bezugspsychotherapeut, der die zentrale Ansprechperson für den Patienten ist, kann für zusätzliche Aufgaben einmal im Quartal die GOP 37525 (450 Punkte) ansetzen. In dieser Zusatzpauschale ist zum Beispiel die Aktualisierung des Behandlungsplans enthalten.
Die Koordination der Versorgung durch eine nichtärztliche Person: Für die Koordination der Versorgung durch eine Medizinische Fachangestellte oder eine Person, die beispielsweise in psychiatrischer häuslicher Krankenpflege ausgebildet ist, kann der Bezugsarzt oder -psychotherapeut einmal im Quartal die GOP 37530 (577 Punkte) abrechnen. Muss der Patient im häuslichen Umfeld aufgesucht werden, ist die GOP 37535 (166 Punkte) bis zu dreimal im Behandlungsfall berechnungsfähig.
Fallbesprechungen: Ärzte und Psychotherapeuten, die an einer Fallbesprechung teilnehmen, können bis zu viermal im Behandlungsfall die GOP 37550 (128 Punkte je 10 Minuten) berechnen. Die GOP kann auch abgerechnet werden, wenn die Fallbesprechung telefonisch oder per Video stattfindet. In diesem Fall kann der Vertragsarzt bzw. -psychotherapeut, der die Videofallbesprechung initiiert, zusätzlich den Technikzuschlag für Videosprechstunden abrechnen (GOP 01450). Weitere Informationen zum Technik- und Förderzuschlag
Zuschlag zu Fallbesprechungen: Nimmt mindestens eine nichtärztliche Person an der Besprechung teil, zum Beispiel eine Ergotherapeutin, rechnet der Bezugsarzt oder -psychotherapeut zusätzlich die GOP 37551 (128 Punkte je zehn Minuten) ab.
Organisations- und Managementaufgaben: Eine Zusatzpauschale wird für Organisations- und Managementaufgaben sowie technische Aufwände des Netzverbundes gezahlt; der Bezugsarzt- oder Bezugspsychotherapeut kann die GOP 37570 (200 Punkte) einmal im Quartal abrechnen.
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