Bürokratieindex 2022: eAU sorgt für deutlich höheren Zeitaufwand in den Praxen
17.11.2022 - Die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung verursacht in den Praxen einen hohen Zeitaufwand. Die Zahl der zusätzlichen Stunden, die für das digitale Verfahren anfallen, beläuft sich auf insgesamt rund 1,25 Millionen im Jahr. Das geht aus dem aktuellen Bürokratieindex für die vertragsärztliche Versorgung hervor, den die KBV am heutigen Donnerstag gemeinsam mit der Fachhochschule des Mittelstands vorgestellt hat.
Anstatt die Praxen zu entlasten, habe die Digitalisierungspolitik sie mit der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) nachweislich immer noch mehr belastet, kritisierte KBV-Vorstandsmitglied Dr. Thomas Kriedel vor Journalisten. Eine Digitalisierung dürfe nicht auf Kosten der ärztlichen Behandlungszeit gehen.
50 Sekunden pro eAU mehr
„Pro Fall verursacht das digitale Verfahren der eAU aktuell 50 Sekunden mehr bürokratischen Aufwand als die papiergebundene Bescheinigung“, konstatierte Professor Volker Wittberg von der Fachhochschule des Mittelstands, Leiter des Nationalen Zentrums für Bürokratiekostenabbau. Bei jährlich etwa 90 Millionen ausgestellten eAU summiere sich dies auf 1,25 Millionen Stunden mehr Bürokratie in den Praxen.
Ein Grund, dass die eAU länger dauert als die Papier-AU, ist dem Bericht zum Bürokratieindex zufolge der zeitaufwändige elektronische Signier- und Versandvorgang. Dafür gehen im Schnitt 30 Sekunden drauf. Während dieser Zeit können Ärzte am Computer häufig nicht weiterarbeiten und auch keine Papierbescheinigungen ausdrucken.
Zudem muss immer noch eine Vielzahl an AU-Bescheinigungen im Nachhinein als Ersatzbescheinigung nochmals auf Papier ausgestellt werden, weil später entweder eine Fehlermeldung zum digitalen Versand auftaucht oder der digitale Versand erst gar nicht möglich ist.
Kriedel: Zeit für digitales Signieren deutlich reduzieren
„Das digitale Signieren muss beschleunigt werden“, forderte Kriedel. Dazu müsse die gematik die Vorgaben zur Signatur erweitern und sicherstellen, dass die Hersteller diese auch umsetzen. So sollte festgelegt werden, wie lange ein Signiervorgang maximal dauern darf.
Zugleich nannte Kriedel als wichtigste Voraussetzung für den Einsatz digitaler Anwendungen in Praxen eine stabil funktionierende Telematikinfrastruktur (TI). In den Befragungen zum Bürokratieindex hatten viele Praxen über Probleme mit der Erreichbarkeit und Zuverlässigkeit der TI geklagt. So berichteten Vertragsärztinnen und Vertragsärzte, dass der elektronische Versand von AU-Bescheinigungen häufig erst nach 18 Uhr möglich sei.
Die Praxen seien unzufrieden mit dem zusätzlichen Aufwand, nicht mit dem elektronischen Verfahren an sich, stellte Kriedel heraus. In dem Bericht zum Bürokratieindex führt die KBV zahlreiche Vorschläge auf, wie digitale Anwendungen in den Praxen besser funktionieren könnten. Dazu gehört auch, dass Gesetzgeber und gematik den Herstellern von Hard- und Software verbindliche Fristen setzen für die Lieferung und Installation der TI-Komponenten.
AU-Bescheinigung für Arbeitgeber ab 2023 digital
Nach der Einführung der eAU in den Arztpraxen soll nach den Vorgaben des Gesetzgebers am 1. Januar die zweite Stufe starten. Die Arbeitgeber sind dann verpflichtet, die von den Praxen übermittelten AU-Daten digital bei der jeweiligen Krankenkasse abzurufen. Für Patienten heißt das, sie müssen ihre Krankschreibung nicht mehr selbst an den Arbeitgeber senden. Die Praxen müssen die Ausfertigung für den Arbeitgeber dann nicht mehr regelhaft ausdrucken.
Damit könnte die AU zumindest ein Stück digitaler laufen, sagte Kriedel. Der KBV lägen allerdings keine Informationen vor, wie realistisch der Plan sei. „Mehr Offenheit und Transparenz wären zweifelsohne sinnvoll“, betonte er.
Die KBV erwartet eine wirkungsvolle Information aller Arbeitgeber durch das Bundesarbeitsministerium und die Arbeitgeberverbände sowie der Versicherten durch die Krankenkassen. Der jetzige Aufklärungsbedarf der Patientinnen und Patienten in den Praxen lasse allerdings befürchten, dass dies noch nicht ausreichend geschehe, sagte Kriedel.
BIX nur zur eAU
In vorangegangenen Studien zum Bürokratieindex (BIX) wurde jeweils die Bürokratiebelastung in der vertragsärztlichen Versorgung insgesamt untersucht. Dieses Mal standen ausschließlich die Auswirkungen der eAU im Fokus. Dazu wurden Arztpraxen von April bis Mai 2022 telefonisch befragt. Die Ergebnisse wurden im Rahmen von zwei Fokusgruppeninterviews mit Niedergelassenen validiert. Den Bericht finden Interessierte hier.
eAU: Krankenkassen versenden Daten an Arbeitgeber
Viele Arztpraxen übermitteln die Daten der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bereits elektronisch an die Krankenkassen. Ab dem 1. Januar 2023 soll auch die Weiterleitung der Daten an den Arbeitgeber nur noch digital erfolgen. Zuständig dafür sind nicht die Praxen, sondern die Krankenkassen – sie stellen den Arbeitgebern auf Anfrage die AU-Daten auf einem Server zum Abruf bereit.
Vertragsärztinnen und -ärzte sind weiterhin verpflichtet, ihren Patientinnen und Patienten eine vereinfachte AU-Bescheinigung auf Papier auszudrucken. Auf Wunsch erhalten sie auch einen unterschriebenen Ausdruck für den Arbeitgeber.