Hofmeister: "Man ist bereit, uns zu substituieren" - Politik verkennt Wert der ambulanten Versorgung
15.12.2022 - Der Wert der ambulanten medizinischen Versorgung wird nach Ansicht von KBV-Vizechef Dr. Stephan Hofmeister von der Politik verkannt. In einem Video-Interview warnt er davor, dass „System an die Wand“ zu fahren.
Das wäre grob fahrlässig und würde eine massive Verschlechterung der Gesundheitsversorgung in Deutschland bedeuten, betonte er. Der Wert des ambulanten Versorgungssystems, der Selbstverwaltung, der selbständigen freiberuflichen Kolleginnen und Kollegen müsse bei politischen Meinungsbildnern wieder verankert werden.
KBV und KVen haben gesetzlichen Auftrag
Hofmeister appellierte an die Politik, die ärztliche Selbstverwaltung in die Gestaltung der Gesundheitsversorgung aktiv einzubeziehen. Die KBV und die Kassenärztlichen Vereinigungen seien Körperschaften öffentlichen Rechts und keine Lobbyisten. Der Gesetzgeber habe ihnen mit der Gründung der Bundesrepublik ganz bewusst den Auftrag übertragen, die ambulante medizinische Versorgung zu organisieren.
Heftige Kritik übte der KBV-Vize in Bezug auf die Digitalisierung und die Corona-Politik: „Es gibt weiterhin den Konnektortausch, der viel Geld kostet, viel Elektroschrott produziert. Und in der medizinischen Versorgung hat nach wie vor Corona fast das ganze Jahr dominiert, was medizinisch nicht mehr erforderlich gewesen wäre.“ Dadurch seien Kräfte gebunden worden, die für wichtige andere Diskussionen notwendig gewesen wären.
Als ein konkretes Beispiel für tatsächlichen Reformbedarf nannte Hofmeister die Notfallversorgung. Dabei sei nicht die Neuerfindung des Systems erforderlich, aber Anpassungen und Reformen. Es gebe hervorragende Modelle, aber die KBV sei in die Gespräche nicht eingebunden – wie auch bei der Ambulantisierung.
Kioske sind ein Frontalangriff auf die hausärztliche Versorgung
Mit großer Sorge sieht Hofmeister die offensichtlichen Bestrebungen der Politik, Ärztinnen und Ärzte zu ersetzen. Ein Beispiel sei der Vorschlag des Bundesgesundheitsministeriums sogenannte Gesundheitskioske als neue Beratungsangebote in sozial benachteiligten Regionen aufzubauen. Dies sei „ein Frontalangriff auf die Versorgung durch Hausärztinnen und Hausärzte, auf den festen und verlässlichen Wert, dass ich einen Arzt oder eine Ärztin als ersten Ansprechpartner für meine gesundheitlichen Belange habe“.
Inzwischen rudere man zwar etwas zurück, konstatierte Hofmeister. Aber man sei offenbar „politisch, ideologisch auch bereit, uns zu substituieren und den Bürgerinnen und Bürgern ein anderes Angebot zu machen“. Es werde in diesem Zusammenhang auf Länder wie Skandinavien, Kanada oder Australien verwiesen. Dies seien aber riesige Flächenstaaten, „in denen selbstverständlich auch eine Community Health Nurse helfen muss“, weil das nächste Krankenhaus 600 Kilometer entfernt sei.
Förderung der ambulanten Weiterbildung
Als wichtige Aufgaben, die im nächsten Jahr anstehen, nannte Hofmeister unter anderem die Reform der Notfallversorgung, die weitere Ambulantisierung und die Stärkung der hausärztlichen Versorgung sowie die Weiterentwicklung der Vergütung der ärztlichen und psychotherapeutischen Leistung.
Auch die Förderung der ambulanten Weiterbildung sei zwingend notwendig, weil viele Krankheiten nicht mehr im Krankenhaus behandelt würden. Zudem müsse es gelingen, jüngere Kolleginnen und Kollegen für die Tätigkeit in einer Arztpraxis zu gewinnen. „Wir müssen deutlich machen, was für ein schöner und selbstbestimmter Beruf es ist, freiberuflich und selbstständig zu arbeiten“, sagte Hofmeister.
Schließlich seien die Bürgerinnen und Bürger zu über 90 Prozent hochzufrieden mit ihren Ärztinnen und Ärzten, erinnerte er an jährliche Umfragen. Das gebe es in keinem anderen Berufszweig. Ebenso gehe es den befragten Kolleginnen und Kollegen: Fast alle sagten, „wir würden noch mal diesen Beruf ergreifen“, hob Hofmeister hervor. „Und das ist ein bisschen untergegangen in den letzten Jahren.“