KBV und Krankenkassen beschließen Maßnahmen zur Ausweitung des ambulanten Operierens
16.12.2022 - Zur Förderung des ambulanten Operierens haben KBV und GKV-Spitzenverband am Mittwoch ein erstes Maßnahmenpaket beschlossen. Es beinhaltet neben einer höheren Vergütung für ausgewählte Operationen auch eine Reihe von stationären Eingriffen, die Vertragsärzte ab Januar ambulant durchführen können. Eine erste Möglichkeit zur verlängerten Nachbeobachtung ist ebenfalls vorgesehen. Außerdem wurde die Kalkulation sämtlicher ambulanter und belegärztlicher Leistungen im EBM überprüft und die Bewertung angepasst.
„Dies ist ein erster Schritt, um die Ambulantisierung voranzutreiben“, sagte Dr. Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der KBV, den PraxisNachrichten. Noch immer fänden viel zu viele Operationen im Krankenhaus statt, die eigentlich ambulant erfolgen könnten. „Wir brauchen dringend einen Wechsel“, forderte er und fügte hinzu: „Mit dem Beschluss haben die Krankenkassen signalisiert, dass sie diesen Weg unterstützen.“ Die nächsten Schritte seien bereits in Vorbereitung.
Das Paket enthält Maßnahmen, die darauf abzielen, mehr operative Eingriffe ambulant statt stationär durchzuführen. Dazu hatten die Vertragspartner im Juni Eckpunkte verabschiedet, auf deren Basis der Beschluss gefasst wurde.
60 Millionen Euro zur Förderung ambulanter Operationen
Eine Maßnahme betrifft die Förderung ausgewählter ambulanter Operationen wie Hernien-Eingriffe und Arthroskopien, da nach wie vor zu viele Eingriffe stationär erfolgen. Die Krankenkassen stellen dazu im kommenden Jahr 60 Millionen Euro zusätzlich bereit.
Mit diesem Geld werden Zuschläge zu rund 500 OPS-Kodes im EBM-Anhang 2 finanziert, sodass die Vergütung der geförderten Operationen um 16 Prozent bis zu 42 Prozent steigt. Die Höhe richtet sich somit nach dem operierten Organsystem sowie Art und Schwere des Eingriffs (s. Beispiele im Infokasten).
Größeres OP-Spektrum
Zusätzlich zu den Zuschlägen wird das Spektrum an Operationen, die Vertragsärzte durchführen können, vergrößert: 196 OPS-Verfahren werden zum 1. Januar neu in den Anhang 2 aufgenommen – allesamt Eingriffe, die bislang ausschließlich stationär möglich sind. Dazu gehören Operationen unter anderem aus den Bereichen Neurostimulatoren und Rhythmuschirurgie sowie arthroskopische Eingriffe, für die die Kassen zusätzliches Geld bereitstellen.
Längere Nachbeobachtung möglich
Eine weitere Maßnahme betrifft die postoperative Überwachung, die nach und nach erweitert werden soll. Es wurde in einem ersten Schritt vereinbart, dass ab Januar bei allen Eingriffen nach EBM-Kapitel 31.2 (Ausnahme: bestimmte Augenoperationen) eine längere Nachbeobachtung von bis zu 16 Stunden möglich ist. Damit können mehr Patienten, die aufgrund ihres Gesundheitszustands oder Alters mitunter engmaschiger und länger betreut werden müssen, ambulant operiert werden. Des Weiteren kann die OP-Dauer ein Auslöser für eine längere Nachbeobachtung sein.
Die Dauer der postoperativen Überwachung richtet sich nach dem Aufwand der Operation. Aktuell sind je nach Kategorie 30 Minuten bis acht Stunden im EBM vorgesehen. Künftig ist für bestimmte Patienten eine doppelt so lange Nachbeobachtung möglich, zum Beispiel eine Stunde statt 30 Minuten, sechs Stunden statt drei Stunden. Dazu gibt es extrabudgetäre Zuschläge. Sie sind mit 77 Punkten je halbe Stunde bewertet; ab der fünften halben Stunde mit 68 Punkten.
Die Verlängerung der postoperativen Überwachung durch eine niedrigschwellige Beobachtung ist patientenbezogen zunächst nur bei Kindern bis 12 Jahren und Menschen ab 70 mit geriatrischen Versorgungsbedarf und Frailty-Syndrom oder Menschen mit bestimmten Vorerkrankungen wie Demenz oder Parkinson möglich. Bei den Eingriffen ab der Zeitkategorie 5 – sprich einer eineinhalbstündigen Operationszeit – kann die verlängerte Nachbeobachtung ebenfalls jetzt erfolgen.
Voraussetzung für eine Verlängerung ist jeweils, dass die postoperative Überwachungszeit überschritten wird. Die entsprechenden Zeiten werden im EBM ausgewiesen. Eine Ausweitung auf weitere Personen ist geplant. Ebenso soll eine noch umfassendere postoperative Nachbetreuung ermöglicht werden (s. Beispiele im Infokasten).
Ausgabenneutrale EBM-Reform abgeschlossen
Der Bewertungsausschuss hat darüber hinaus alle Leistungen des ambulanten und belegärztlichen Operierens neu kalkuliert und zum 1. Januar angepasst. Damit ist die im Jahr 2012 beschlossene Weiterentwicklung des EBM abgeschlossen. Das ambulante Operieren war der letzte Bereich, wo die Überprüfung noch ausstand. Sie betrifft die EBM-Abschnitte 31.2 und 36.2 sowie die GOP 01854, 01855, 01904 bis 01906 für Sterilisationen und Schwangerschaftsabbrüche.
Bei der Beschlussfassung der EBM-Reform vor zehn Jahren war festgelegt worden, dass die Weiterentwicklung punktsummen- und damit für die Krankenkassen ausgabenneutral erfolgen muss. Infolge der neuen Kostenkalkulation werden insbesondere Eingriffe der oberen Kategorien besser vergütet. Kleinere Operationen werden wegen der Punktsummenneutralität leicht abgewertet. Die Auf- und Abwertung von Leistungen betrifft alle operativen Fächer.
Weitere Maßnahmen in Vorbereitung
Weitere Maßnahmen zur Förderung des ambulanten Operierens sind bereits in Vorbereitung. So soll das als Kalkulationsgrundlage verwendete ambulante Operationszentrum erweitert und dadurch die Preise der Operationen im EBM erhöht werden. Die Finanzierung der höheren Bewertung soll mit zusätzlichen Finanzmitteln der Kassen erfolgen. Geplant ist ferner, dass die ambulanten Operateure mehr Geld für den hohen Hygieneaufwand erhalten. Eine Beschlussfassung hierzu wird für Juli 2023 angestrebt.
Parallel zu den Anpassungen der ambulanten Operationen im EBM laufen die Beratungen zwischen KBV, GKV-Spitzenverband und Deutscher Krankenhausgesellschaft (DKG) zur Erweiterung des Katalogs für ambulantes Operieren im Krankenhaus, kurz AOP-Katalog. Eine erste Beschlussfassung wird noch für dieses Jahr erwartet.
Der Gesetzgeber hat die drei Vertragspartner zudem beauftragt, bis Ende März 2023 Leistungen aus dem AOP-Katalog auszuwählen, die mit sektorengleichen Pauschalen vergütet werden können und die Höhe sowie den Inhalt der Leistungspauschalen zu vereinbaren.
Förderung ambulanter Operationen: Beispiele
Zur Förderung ambulanter Operationen stehen im Jahr 2023 60 Millionen Euro zusätzlich bereit. Daraus werden Zuschläge in unterschiedlicher Höhe für rund 500 OPS-Kodes im Angang 2 des EBM finanziert. Wie sich diese Zuschläge auf die Vergütung der Leistungen auswirken, sollen diese Fälle beispielhaft zeigen:
Beispiel 1: Eine linksseitige Inguinalhernie wird laparoskopisch transperitoneal verschlossen (TAPP). Der Eingriff wird mit dem OPS-Kode 5-530.31 verschlüsselt.
- Vergütung des Eingriffs (GOP 31163) ohne Zuschlag:
278,90 Euro (2.427 Punkte)- Vergütung des Eingriffs (GOP 31163) mit Zuschlag V (GOP 31455):
389,33 Euro (3.388 Punkte)
Durch den Zuschlag steigt die Vergütung für den Eingriff um 40 Prozent.Beispiel 2: Ein rechtsseitiger Einriss des Labrum glenoidale wird arthroskopisch refixiert. Der Eingriff wird mit dem OPS-Kode 5-814.0 verschlüsselt.
- Vergütung des Eingriffs (GOP 31146) ohne Zuschlag:
796,82 Euro (6.934 Punkte)- Vergütung des Eingriffs (GOP 31146) mit Zuschlag VII (GOP 31457):
1.017,80 Euro (8.857 Punkte)
Durch den Zuschlag steigt die Vergütung für den Eingriff um 28 Prozent.Beispiel 3: Es erfolgt eine plastische Rekonstruktion des Nasenseptums mittels Austauschplastik. Der Eingriff wird mit dem OPS-Kode 5-214.70 verschlüsselt.
- Vergütung des Eingriffs (GOP 31233) ohne Zuschlag:
262,35 Euro (2.283 Punkte)- Vergütung des Eingriffs (GOP 31233) mit Zuschlag III (GOP 31453):
303,72 Euro (2.643 Punkte)
Durch den Zuschlag steigt die Vergütung für den Eingriff um 16 Prozent.Das sind die Zuschläge
Es gibt sieben unterschiedliche hohe Zuschläge:
- Zuschlag I: GOP 31451 (223 Punkte)
- Zuschlag II: GOP 31452 (263 Punkte)
- Zuschlag III: GOP 31453 (360 Punkte)
- Zuschlag IV: GOP 31454 (810 Punkte)
- Zuschlag V: GOP 31455 (961 Punkte)
- Zuschlag VI: GOP 31456 (1.323 Punkte)
- Zuschlag VII: GOP 31457 (1.923 Punkte)
Die Zuschläge I bis III führen zur einer durchschnittlichen Steigerung um 17,65 Prozent, die Zuschläge IV bis VII zu einer durchschnittlichen Steigerung um 32 Prozent.
Verlängerte postoperative Nachbeobachtung: Beispiele
Bei allen Eingriffen nach EBM-Kapitel 31.2 (Ausnahme: Augenoperationen) ist ab 1. Januar 2023 in bestimmten Fällen eine längere Nachbeobachtung möglich. Die derzeit möglichen Zeiten können maximal verdoppelt werden, zum Beispiel bis 1 Stunde statt 30 Minuten, bis zu 6 Stunden statt 3 Stunden.
Beispiel 1: Nach ausgeheilter osteosynthetisch versorgter distaler Radiusfraktur rechts besteht die Indikation zur Entfernung der winkelstabilen Platte. Die betroffene Person leidet an einer Demenz. Der Eingriff wird ambulant durchgeführt, um eine rasche Rückführung in die gewohnte Umgebung zu ermöglichen. Die sich anschließende häusliche Betreuung durch die pflegenden Angehörigen ist sichergestellt. Wegen anhaltender Desorientiertheit ist eine verlängerte Nachbeobachtung erforderlich. Insgesamt erfolgt postoperativ über 3,5 Stunden hinweg eine Überwachung bzw. Nachbeobachtung in den Räumen der ambulant operierenden Einrichtung.
Der Eingriff wird mit dem OPS-Kode 5-787.k6 verschlüsselt. Für den Eingriff an Knochen und Gelenken der Kategorie D2 wird die GOP 31132 angegeben sowie für die insgesamt 3,5 Stunden postoperative Überwachung plus verlängerter Nachbeobachtung:
- Überwachungskomplex ambulant (GOP 31503):
max. 120 Minuten- Verlängerte postoperative Nachbeobachtung (GOP 31530):
90 Minuten (3x GOP 31530 à 30 Minuten)
Hinweis: Insgesamt wäre hier eine Nachbeobachtung von bis zu 4 Stunden möglich (120 Minuten Überwachungskomplex ambulant plus 120 Minuten verlängerte postoperative Nachbeobachtung)Beispiel 2: Ein rechtsseitiger Einriss des Labrum glenoidale wird arthroskopisch refixiert. Die betroffene Person leidet an einem Diabetes mellitus. Medizinische Erfordernisse wie schwankende Blutzuckerwerte machen eine verlängerte Nachbeobachtung erforderlich. Bei stabiler Stoffwechselsituation kann nach insgesamt 7 Stunden Überwachung bzw. Nachbeobachtung eine Entlassung in die Häuslichkeit erfolgen. Der Eingriff wird mit dem OPS-Kode 5-814.0 verschlüsselt. Für den endoskopischen Gelenkeingriff (Arthroskopie) der Kategorie E6 wird die GOP 31146 angegeben sowie für die insgesamt 7 Stunden postoperative Überwachung plus verlängerter Nachbeobachtung:
- Überwachungskomplex ambulant (GOP 31506):
max. 360 Minuten- Verlängerte postoperative Nachbeobachtung (GOP 31530):
60 Minuten (2x GOP 31530 à 30 Minuten)
Hinweis: Insgesamt wäre hier eine Nachbeobachtung von bis zu 12 Stunden möglich (360 Minuten Überwachungskomplex ambulant plus 360 Minuten verlängerte postoperative Nachbeobachtung)