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PraxisNachrichten: Hinterher ist man immer schlauer

Proteste von Niedergelassenen

Der eigentliche Skandal ist die Unterfinanzierung – Gassen kritisiert Ethikdiskussion

16.02.2023 - KBV-Chef Dr. Andreas Gassen hat sich gegen wiederholte Vorwürfe von Politikern und Krankenkassen verwahrt, protestierende Ärzte würden sich unethisch verhalten. Immer auf die Verpflichtung der Ärzte abzustellen, ihre Patienten versorgen zu müssen, sei ein „unzulässiges Argument“, sagte er in einem Video-Interview.

Das Problem sei vielmehr, dass die Kolleginnen und Kollegen, gerade weil sie sich ihren Patienten verpflichtet fühlten, schon seit Jahren Leistungen erbringen würden, die sie nicht bezahlt bekämen, betonte Gassen. Das sei der eigentliche Skandal. Jetzt bei Protesten „immer wohlfeil zu sagen, das dürfen die gar nicht und das wäre völlig unethisch, mag vielleicht in einer Talkshow oder in einer Schlagzeile der Boulevardpresse greifen, geht aber völlig am Thema vorbei“, fuhr er fort.

Gassen: Da hilft die Ethikdiskussion nicht

Gassen verwies auf die seit vielen Jahren andauernde Unterfinanzierung im ambulanten Bereich. Das versuchten die Kolleginnen und Kollegen zum Teil wider besseres Wissen zu kompensieren, indem sie trotzdem noch Patienten versorgten, obwohl sie kein Geld mehr dafür bekämen. Gassen: „Und das ist der eigentliche, zu kritisierende Punkt. Und da hilft die Ethikdiskussion an der Stelle nun wirklich nicht.“

Gassen bezog seine Kritik insbesondere auf jüngste Äußerungen von Politik und Krankenkassen zu den Protesten der HNO-Ärzte, die bestimmte ambulante Operationen bei Kindern aufgrund der schlechten Bezahlung nicht mehr anbieten wollen.

„Es ist ja häufig der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt“, erklärte Gassen den wachsenden Protestwillen in der Ärzteschaft. Die Abwertung kleinerer Operationen wie im HNO-Bereich sei nicht die Ursache für diese insgesamt hohe Unzufriedenheit, sondern das „letzte Mosaiksteinchen“. Wenngleich sei schwer nachvollziehbar, dass Operationen überhaupt abgewertet würden, vor allem, wenn man sehe, dass die Krankenhäuser teilweise das zehnfache Geld für den gleichen Eingriff bekämen.

Deutlich über 95 Prozent des Leistungsgeschehens findet Gassen zufolge ambulant statt. Wenn das überhaupt keine Abbildung in der Vergütung finde, seien die Kolleginnen und Kollegen „irgendwann dann wirklich erbost“. Insofern sei der Protest gut nachvollziehbar.  

Die Krankenkassen wären gut beraten, das nicht einfach pauschal abzutun, sondern gemeinsam mit der KBV einen konstruktiven Weg zu suchen, wie diese Schieflage beseitigt werden könne, fuhr der Vorstandsvorsitzende fort. Sie müssten als allererste ein Interesse daran haben, „dass diese extreme Geldverschwendung, die das Erbringen ambulanter Leistungen im stationären Setting hat, beendet wird“.

Ärzteprotest richtet sich nicht gegen die Patienten

Die Proteste von Ärzten richten sich Gassen zufolge „niemals gegen die Patienten“, sondern seien in deren Sinne. „Denn wenn die Struktur der niedergelassenen Praxen wegbricht, weil sie schlicht und ergreifend wirtschaftlich nicht mehr durchhaltbar ist, dann geht die Versorgung verloren, wie wir sie kennen“, warnte er. Von daher seien die Proteste auch als Hilferuf zu verstehen. Es gehe nicht darum, den Patienten Leistungen vorzuenthalten. Doch wenn die Leistungen chronisch unterfinanziert seien, könnten sie irgendwann nicht mehr angeboten werden.

Gassen sieht hier zunächst die gemeinsame Selbstverwaltung in der Pflicht. Es gebe „erste zaghafte Signale“ der Krankenkassen, sagte er. Notwendig sei zudem eine politische Rahmensetzung, mit der die ambulanten Strukturen gestärkt würden. Gleichzeitig sollten die Krankenhäuser, die für die Versorgung benötigt würden, vernünftig mit Geld ausgestattet werden. Was nicht funktionieren werde, wenn das Ganze einfach Ambulantisierung genannt werde, aber alles weiterlaufe wie bisher.

Wenn die Weichen falsch gestellt würden, sei das ein fatales Signal für die Niederlassung, sagte Gassen. „Wir werden dann kaum noch junge Kolleginnen und Kollegen finden, die unter diesen Rahmensetzungen ihre berufliche Lebensentscheidung in der Niederlassung sehen. Und ich glaube, das kann sich niemand in Deutschland wünschen.“

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