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KBV-Vorstand: Lauterbach will das Gesundheitswesen neu ausrichten – Großstrukturen statt Praxen

18.07.2024 - Mit den Gesetzesvorhaben von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach droht nach Einschätzung des Vorstands der KBV ein schleichender Systemwandel. Lauterbach setze auf Großstrukturen, die durch Kommunen oder den Staat gesteuert würden, nicht auf inhabergeführte Praxen, stellten Dr. Andreas Gassen, Dr. Stephan Hofmeister und Dr. Sibylle Steiner am Mittwoch vor Journalisten heraus. Dabei kritisierten sie zugleich den fehlenden Dialog.

Er habe den Eindruck, Lauterbach wolle nicht nur die fachärztliche Versorgung ans Krankenhaus verlegen, sondern auch die hausärztliche Versorgung, sagte KBV-Vorstandsvorsitzender Gassen und fügte hinzu: „Das ist eine 180-Grad-Wendung.“ Gleichzeitig würden den Vertragsärzten immer mehr Verpflichtungen aufgebürdet. So sollen sie künftig tagsüber neben ihrer Praxistätigkeit in Integrierten Notfallzentren (INZ) tätig sein.

Entsprechend deutlich fiel die Kritik der Vorstände an den Gesetzesvorhaben aus. So enthalte das Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz bis auf das „kleine Pflänzchen“ der Entbudetierung der hausärztlichen Leistungen und der Einführung einer Bagatellgrenze von 300 Euro bei der Wirtschaftlichkeitsprüfung von Verordnungen nichts, was die ambulante Versorgung verbessere.

Kioske und KI statt Praxen

Wenn die Politik schon das Gesundheitswesen grundlegend reformieren wolle, „dann mit Sorgfalt und im Dialog“, forderte Vizechef Dr. Stephan Hofmeister. Beides vermisse man derzeit. Der Minister spreche zwar mit allen, aber es gebe keine wirkliche Beteiligung. Auch die geplanten Jahrespauschalen für Hausärzte, die „einen tiefen, komplexen Eingriff“ in die Versorgung darstellten, seien wie andere Vorhaben nicht mit der KBV abgestimmt. Jetzt werde versucht nachzuschärfen, um das Schlimmste zu verhindern.

Anstatt die Praxen zu stärken, setze man auf Gesundheitskioske, KI oder Primärversorgungszentren, kritisierten die Vorstände. „Das ist ein Paradigmenwechsel“, dass der Arzt oder die Ärztin nicht mehr der erste Ansprechpartner für die Patienten sein soll, sagte Hofmeister. Wenn ein anderes System gewollt sei, dann müsse man das der Bevölkerung sagen.

Bewährte Prinzipien werden über Bord geworfen

Die Politik will Hofmeister zufolge immer mehr „durchregieren“. Diese „Grenzverletzung halten wir für schädlich.“ Jüngstes Beispiel ist das geplante Gesunde-Herz-Gesetz, mit dem der Minister an dem Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) vorbei die Verordnung von Lipidsenkern per Gesetz regeln will, obwohl der G-BA bereits dazu berät. Bewährte Prinzipien der evidenzbasierten Medizin, Methodenbewertung und des Wirtschaftlichkeitsgebots werden einfach „über Bord geworfen“, kritisierte Vorstandsmitglied Steiner.

Positiv bewertete Steiner die geplante Bagatellgrenze bei der Wirtschaftlichkeitsprüfung. Dadurch könnten rund 70 Prozent der Arzneimittelregresse verhindert werden. Ein großes Problem seien aber weiterhin Off-Label-Use-Verordnungen. Die ständige Unsicherheit, ob eine Regressforderung erhoben werde, sei untragbar und schrecke junge Ärzte von einer Niederlassung ab. Mit den vertraulichen Erstattungsbeträgen für Arzneimittel, die Lauterbach einführt, werde sich die Regressgefahr noch erhöhen, prophezeite Steiner.

„Unser Gesundheitssystem ist im Vergleich zu anderen Ländern relativ teuer. Dafür bekommen die Menschen aber eine umfangreiche Versorgung“, sagte Gassen. Nirgendwo könnten Patienten einfach mit ihrer Chipkarte jeden Arzt aufsuchen. Und die Politik baue eine zu hohe Erwartungshaltung auf, ergänzte Hofmeister und sagte: „Es kann nicht 24/7 für alle alles geben.“ Er warnte nochmals vor einer Öffnung der geplanten Integrierten Notfallzentren auch tagsüber. „Dann geht der Arzt ins INZ und nicht in die Praxis.“

Forderung nach Steuerung

„Wir brauchen eine Steuerung“, fordern die drei Vorstände. Bei einem Wahltarifmodell könnten sich die Versicherten zwischen unterschiedlichen Versicherungstarifen entscheiden, sagte Gassen. Patienten, die bereit seien, sich durch einen Arzt steuern zu lassen, bekämen von ihrer Krankenkasse eine Rückerstattung.

Bundeskabinett beschließt Gesetzentwürfe

Das Bundeskabinett hat am Mittwoch vier Gesetzentwürfe im Gesundheitsbereich beschlossen. Dazu gehören die Notfallreform und das Gesundheits-Digitalagentur-Gesetz, die beide auch die ambulante Versorgung betreffen. Die parlamentarischen Beratungen zu den Gesetzentwürfen sollen nach der Sommerpause beginnen.

Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Reform einer Notfallversorgung (PDF) (17.07.2024)

Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Schaffung einer Digitalagentur (17.07.2024)

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