Mit statt gegen die gemeinsame Selbstverwaltung: So wird der Neustart der Gesundheitspolitik ein Erfolg
06.12.2024 - Einen gesundheitspolitischen Neustart hat der Vorstand der KBV bei der heutigen Vertreterversammlung in Berlin gefordert. Nach dem Scheitern der Ampel-Koalition müssten Herausforderungen in der Gesundheitsversorgung endlich evidenzbasiert statt ideologisch angegangen werden. Es brauche wieder mehr politische Verlässlichkeit.
„Was wir mit einer neuen Bundesregierung brauchen, ist ein kompletter Neustart der Gesundheitsgesetzgebung“, forderte KBV-Vorstandsvorsitzender Dr. Andreas Gassen mit Blick auf die Bilanz der gescheiterten Ampel-Regierung. Gesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach warf er „nichts weniger als einen Wortbruch“ vor, dass eines der wenigen sinnvollen Vorhaben der Ampel in der Gesundheitspolitik, nämlich die Entbudgetierung der Hausärzte, wohl nicht mehr komme. Gassen: „Die Entbudgetierung der Kinderärzte zeigt, wie einfach dieser Schritt gewesen wäre, wenn er wirklich gewollt gewesen wäre.“
Ruf nach einem „Pakt für die Selbstverwaltung“
Der KBV-Chef betonte, es sei sträflich und unklug, die Kompetenz und den Sachverstand der Selbstverwaltung zu ignorieren oder gar als Lobbyismus zu desavouieren. Er rief dazu auf, einen gemeinsamen „Pakt für die Selbstverwaltung“ aus Kassenzahnärztlicher Bundesvereinigung, Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände, Deutscher Krankenhausgesellschaft und KBV zu schließen. „Denn wir sind es, die die medizinische Versorgung der Menschen in Deutschland organisieren! Wir sind die tragenden Säulen unseres Gesundheitssystems“, sagte Gassen. Er betonte, auch den GKV-Spitzenverband als Ansprechpartner „nicht ganz vergessen“ zu wollen.
Er kündigte an, dass die KBV in den nächsten Wochen auf die Partner in der Selbstverwaltung aktiv zugehe. „Gemeinsam organisieren und gewährleisten wir die Versorgung – das tut nicht die Politik, sondern das tun die Praxen, Apotheken und Krankenhäuser vor Ort!“, so Gassen. Es bedürfe künftig vor allem einer verlässlichen Gesundheitspolitik, die stabile gesetzliche Leitplanken setze und ansonsten den Akteuren der gemeinsamen Selbstverwaltung die nötige Beinfreiheit lasse, die in ihren Zuständigkeitsbereich fallenden Dinge im Sinne der Subsidiarität selbst zu regeln. Gassen: „Es ist Zeit, dass wir die Gesundheitspolitik vom Kopf auf die Füße stellen.“
Hofmeister: Politik muss echte Ambulantisierung wollen
„Ideologie hat im Gesundheitswesen nichts zu suchen. Hört auf die Vorschläge, die wir aus der Selbstverwaltung als Kenner und pragmatische Praktiker liefern können“, appellierte der stellvertretende Vorstandsvorsitzende, Dr. Stephan Hofmeister, in Richtung der Gesundheitspolitiker. „Ich wünsche mir, dass eine neue Bundesregierung mit uns gemeinsam nach Lösungen sucht – und vor allem eine echte Ambulantisierung der Versorgung anstrebt“, erklärte er weiter. Was von der Politik zuletzt als „Ambulantisierung“ bezeichnet worden sei, sei lediglich eine Öffnung der Krankenhäuser gewesen und habe mit Ambulantisierung nichts zu tun, kritisierte Hofmeister.
Steiner: „Digital und ambulant vor stationär“
Verlässlichkeit in der Gesundheitspolitik forderte auch KBV-Vorstandsmitglied Dr. Sibylle Steiner. Eine neue Bundesregierung müsse endlich „die wichtigen Aufgaben in der Gesundheitsversorgung in sinnvolle und effektive Gesetze gießen.“ Zu häufig laute die Devise in der Politik noch „digital vor ambulant vor stationär.“ „Wir sagen dagegen: digital und ambulant vor stationär“, machte Steiner klar.
Es brauche ein Umsteuern weg von Sanktionen, hin zu Anreizen für die Niedergelassenen. Steiner: „Die Tage der Vorherrschaft von Bürokratie, technischer Dysfunktionalität und einer politischen Misstrauenskultur gegenüber Ärzten und Psychotherapeuten, die ihren Ausdruck in unsinnigen Wirtschaftlichkeitsprüfungen, überflüssigen Qualitätsprüfungen, Sanktionen und Bußgeldern finden, müssen enden.“
Dies gelte auch für die bevorstehende Einführung der elektronischen Patientenakte (ePA). Zum einen müsse die gematik zeitnah dazu befähigt werden, Vorgaben für Dienste der Telematikinfrastruktur (TI) und Praxisverwaltungssysteme zu machen und für eine störungsfreie TI zu sorgen. Zum anderen sei sicherzustellen, dass die ePA vor dem bundesweiten Roll-Out in Echtbetrieb funktioniert. Die ePA-Testphase in den Modellregionen ab Mitte Januar werde man „gemeinsam mit den KVen sehr eng begleiten“, so Steiner. „Wir werden der gematik und dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) die gewonnenen Erkenntnisse darüber zurückspiegeln, was von wem zu tun ist, bevor der bundesweite Roll-Out ausgerufen werden kann.“
Steiner: Digitalisierung funktioniert nur gemeinsam
Dabei berge die ePA an sich großes Potenzial: 72 Prozent der Vertragsärztinnen und Vertragsärzte erhofften sich beispielsweise vom digitalen Krankenhaus-Entlassbrief einen echten Nutzen. Für eine funktionierende Digitalisierung müssten aber alle Betroffenen an einem Strang ziehen. Das schließt für Steiner auch die Krankenkassen mit ein, die ihre Versicherten bisher unzureichend über ihre Widerspruchsmöglichkeiten bei der ePA informierten.
Problematisch sei hierbei auch, dass zwar Ärzte und Psychotherapeuten gesetzlich verpflichtet seien, ihre Patientinnen und Patienten vor der Einbringung sensibler Daten über Widerspruchsrechte zu informieren, Krankenkassen bei dazu im Zusammenhang stehenden Verordnungs- und Abrechnungsdaten aber nicht. „Das gefährdet Patientenrechte und die Arzt-Patienten-Beziehung“, warnte Steiner.