Appell an die Politik: Die ambulante Versorgung darf nicht hinten runterfallen
07.03.2025 - Der Vorstand der KBV hat an die künftige Bundesregierung appelliert, den ambulanten Bereich nicht weiter zu vernachlässigen. „97 Prozent der Gesundheitsversorgung findet in den Praxen statt“, sagte der Vorstandsvorsitzende Dr. Andreas Gassen auf der heutigen Vertreterversammlung in Berlin.
Aus diesem Grund müssten „Investitionen in die Infrastruktur auch Investitionen in Praxen“ sein, forderte Gassen mit Blick auf die von Union und SPD geplanten milliardenschweren Investitionen in die Infrastruktur des Landes. Der Investitionsstau im ambulanten Bereich belaufe sich aktuell auf 1,8 Milliarden Euro.
Gassen: Zweckentfremdung der GKV-Gelder muss aufhören
Zur Sicherung der Versorgung brauche es zusätzliche Mittel, mahnte der KBV-Chef. „Wir brauchen eine Finanzierung der digitalen Infrastruktur, die Ausfinanzierung der Leistungsinanspruchnahme durch ALG-2-Empfänger und die Entlastung der gesetzlichen Krankenversicherung von versicherungsfremden Leistungen.“ Nicht zuletzt angesichts der Selbstverständlichkeit, mit der der Bund gesamtgesellschaftliche und Infrastruktur-Aufgaben über die Sozialkassen querfinanziere, warnte Gassen: „Diese Zweckentfremdung von Geldern, die eigentlich in die Patientenversorgung gehören, muss aufhören!“
Vor dem Hintergrund der jüngsten Forderungen des AOK-Bundesverbandes, die Entbudgetierung von Kinder- und Jugend- sowie Hausärzten zurückzunehmen und gleichzeitig Terminangebote der Praxen auszuweiten, stellte Gassen klar: „Die Ausgaben für die ambulante ärztliche Behandlung machen gerade einmal 16 Prozent der jährlichen Leistungsausgaben der gesetzlichen Krankenkassen aus. Wir sind nicht der Kostentreiber im Gesundheitswesen!“ Niemand habe also einen Grund, sich über das Preis-Leistungsverhältnis im ambulanten Bereich zu beschweren – außer die Praxen selbst.
Hofmeister: „Praxen sind keine staatliche Verfügungsmasse“
Der stellvertretende KBV-Vorstandsvorsitzende Dr. Stephan Hofmeister forderte von der künftigen Bundesregierung echte Bereitschaft zum sachlichen Dialog und zum Zuhören sowie weniger Sprunghaftigkeit und mehr Verlässlichkeit im Handeln. Dazu gehöre die Gewährleistung stabiler Rahmenbedingungen und weniger Einmischungen in den Alltag der Praxen.
„Wir brauchen nicht mehr, sondern weniger politisches Mikromanagement, denn wir sind Angehörige eines Freien Berufes“, konstatierte Hofmeister. Im System würden selbstverständlich die Regeln des SGB V gelten, aber die Praxen seien „keine staatliche Verfügungsmasse“, fuhr er fort und fügte hinzu: „Jenseits dieser Verpflichtungen sind wir frei in all unseren Entscheidungen – sowohl medizinisch-fachlich als auch unternehmerisch.“ Leider gebe es maßgebliche Akteure, nicht nur in der Politik, die „diese simple Tatsache geflissentlich ausblenden“.
Entbudgetierung bedeutet kein zusätzliches Honorar
Hofmeister begrüßte, dass die Ampel-Koalition noch die hausärztliche Entbudgetierung auf den Weg gebracht hat. Zugleich wies er darauf hin: „Entbudgetierung bedeutet kein ,zusätzliches‘ Honorar, wie es die Krankenkassen behaupten! Es bedeutet schlichtweg, dass die in den Praxen erbrachten Leistungen nach entsprechend sachlich-rechnerischer Prüfung endlich vollständig ohne Zwangsrabatt bezahlt werden. Nicht mehr und nicht weniger.“
Allerdings liege der Teufel im Detail, weil die praktischen Probleme, die die Umsetzung des Gesetzestextes aufwerfe, nicht beseitigt worden seien. Die KBV werde nun in enger Abstimmung mit den Kassenärztlichen Vereinigungen im Bewertungsausschuss verhandeln. „Dabei geht es um teilweise sehr technische Feinheiten, die aber wichtig sind“, erklärte Hofmeister.
Steiner: Gezielte Anreize statt Sanktionen
KBV-Vorstandsmitglied Dr. Sibylle Steiner rief die kommende Bundesregierung dazu auf, die ambulante Versorgung endlich als tragendes Element des Gesundheitswesens zu begreifen. „Das geplante Sondervermögen für die Infrastruktur muss deshalb mit einem Praxiszukunftsgesetz einhergehen“, so Steiner. Zudem müsse die Digitalisierung endlich als Unterstützung dienen – und nicht als Hindernis. „Der weitere Digitalisierungsprozess in der ambulanten Versorgung muss durch gezielte Anreize statt Sanktionen vorangetrieben werden.“
Zugleich forderte Steiner erneut das längst überfällige Bürokratieentlastungsgesetz. Ein solches müsse vor allem sinnlosen Abrechnungs- und Wirtschaftlichkeitsprüfungen durch die Einführung von Bagatellgrenzen ein Ende setzen, damit die niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen sich wieder dem widmen können, was ihre eigentliche Aufgabe sei: „Patienten zu behandeln und Menschen zu heilen.“
Vor diesem Hintergrund machte Steiner auch klar, dass es in Zeiten von Fachkräftemangel und Praxensterben ein „Weiter so“ nicht geben könne. Gute Medizin brauche gute Rahmenbedingungen. Entscheidend sei der Nutzen für die Versorgung, an dem sich Projekte wie die elektronische Patientenakte (ePA) messen lassen müssten. Nach dem bisherigen Verlauf in den ePA-Testregionen zeigte sich Steiner skeptisch, was den bundesweiten Rollout betrifft: „Erst wenn sich die ePA im Praxisbetrieb bewährt hat und alle Sicherheitslücken geschlossen sind, kann sie bundesweit starten."
Übersicht: Kosten und Leistungen der ambulanten Versorgung
Die Praxen übernehmen 97 Prozent der Versorgung – und das Ganze für gerade mal 16 Prozent der Leistungsausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung. Auch die Steigerungsraten sind im Vergleich zu anderen Bereichen moderat. Diese und weitere Zahlen hat die KBV auf einem Faktenblatt zusammengestellt.