Gassen: Ein Zurück zur kompletten Budgetierung bedeutet für die Versicherten weniger medizinische Versorgung
Als „rückwärtsgewandt und innovationsfeindlich“ hat der Vorstand der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) die jüngsten Vorschläge der AOK zur „Weiterentwicklung der ambulanten Versorgung“ kritisiert. Diese hatte der Bundesverband der Krankenkasse in einem Positionspapier zur Bundestagswahl unterbreitet.
Berlin, 7. Juli 2021 – „Wenn die Finanzlage der AOK so schlecht ist, dass ihr nichts Besseres einfällt, als wieder alle Leistungen budgetieren zu wollen, dann soll sie das klar und deutlich sagen: Ein Zurück zur kompletten Budgetierung bedeutet für die Versicherten weniger medizinische Versorgung. Es geht um Leistungskürzungen. Und es geht auch um neue innovative Leistungen, von denen gesetzlich Krankenversicherte nicht mehr profitieren können, weil sie dann schlichtweg nicht finanziert werden“, erklärte der Vorstandsvorsitzende der KBV, Dr. Andreas Gassen. Der AOK fehle offenbar der Mut, dies den Menschen im Land zu sagen.
Den Weg zurück ins letzte Jahrtausend, als die strenge Budgetierung in der ambulanten Versorgung mit den jetzt immer noch spürbaren fatalen Folgen eingeführt wurde, werde die KBV nicht mitgehen, betonte Gassen. Noch immer erhielten die Vertragsärzte und -psychotherapeuten nicht alle Leistungen in voller Höhe bezahlt. „Sie werden garantiert nicht noch mehr unbezahlt arbeiten“, sagte er auch mit Blick auf die extrem hohe Belastung der Praxen infolge der Pandemie.
Der AOK-Ruf nach kompletter Budgetierung sei zudem ein fatales Signal an den Nachwuchs, warnte KBV-Vizechef Dr. Stephan Hofmeister und sagte: „Welche junge Ärztin oder welcher junge Arzt will dann noch ambulant tätig sein.“ Das gelte ebenso für Abrechnungs- und Wirtschaftlichkeitsprüfungen, die die AOK wieder verschärfen will. „Jedes Stückchen Fortschritt, was die Ärztinnen und Ärzte in den letzten Jahren mühsam erkämpft haben, würde mit solchen rückwärtsgewandten Maßnahmen zunichtegemacht.“
Dass die AOK ausgerechnet die Leistungen zuerst wieder eindeckeln will, die Bundesgesundheitsminister Jens Spahn eingeführt hat, damit die Patientinnen und Patienten noch schneller bei ihrem Arzt oder Psychotherapeuten einen Termin erhalten, sei besonders bemerkenswert. Wenn auch die Menge an Leistungen des ambulanten Operierens, der Psychotherapie oder die gesamte Früherkennung begrenzt werden soll, habe das fatale Auswirkungen auf die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung, prophezeit der KBV-Vorstandsvorsitzende. Auch die Ausgaben der Krankenkassen für die stationäre Versorgung würden weiter steigen.
Zu dem von der AOK vorgeschlagenen „3+1-Gremium“ auf Landesebene und der Übernahme des Sicherstellungsauftrags durch dieses Gremium führte Gassen aus: „Dass die ambulante und stationäre Versorgung vor Ort besser koordiniert werden sollte, steht außer Frage. Dazu gibt es vielerorts bereits zahlreiche Beispiele, wo das sehr gut funktioniert. Dazu bedarf es keiner neuen Gremien, von denen es im Gesundheitswesen schon genügend gibt.“ Hofmeister: „Zudem sollten sich alle Beteiligten darüber im Klaren sein, was es für die Patientinnen und Patienten bedeutet, wenn der Sicherstellungsauftrag für die ambulante Versorgung nicht mehr bei den Kassenärztlichen Vereinigungen liegt. Im Übrigen stellen nicht Gremien, sondern die ärztlichen und psychotherapeutischen Kolleginnen und Kollegen mit ihren Praxisteams die Versorgung täglich sicher!“