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Kriedel: „Die Grenze des Machbaren ist längst weit überschritten“

Dr. Thomas Kriedel, Vorstandsmitglied der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), übte auf der digitalen Vertretersammlung seiner Organisation deutliche Kritik am scheidenden Bundesgesundheitsminister und bot der neuen Bundesregierung einen konstruktiven und offenen Dialog an.

Berlin, 3. Dezember 2021 – „Wir begrüßen ausdrücklich, dass die Ampelkoalition künftig die Digitalisierung an der Versorgung ausrichten will. Um sie in diesem Sinne gemeinsam, pragmatisch und vorwärtsgerichtet zu gestalten, stehen wir bereit: mit unserer Erfahrung und auch mit den bisher gemachten Erfahrungen mit der Telematikinfrastruktur 1.0“, betonte Kriedel. Im Interesse der Patientinnen und Patienten müsse die Digitalisierung von morgen gemeinsam und gemeinschaftlich für alle gestaltet werden und nicht auseinanderdividiert für einzelne Gruppierungen.

Kritik übte Kriedel an Noch-Gesundheitsminister Jens Spahn. „Er tritt die Motivationsbremse noch weiter durch und wirft in den letzten Wochen seiner Amtszeit den Ärzten und Psychotherapeuten das vor, was er selbst verursacht hat: Ihnen sei die Digitalisierung pauschal ‚zu anstrengend, zu schnell und zu teuer‘.“ Zu anstrengend sei sie, weil sie trotz Pandemie-bedingter Belastungen unbeirrt durchgedrückt werde, weil sie noch nicht funktioniere, Versorgungsrealitäten außer Acht lasse und weil sie so schlecht gemacht sei, dass sie viel Zeit und Nerven koste. „Ja, die Digitalisierung ist für die Praxen auch zu schnell. Weil die Technik noch nicht soweit ist, um im Praxisalltag zu bestehen. Und ebenfalls ja: Die Digitalisierung ist zu teuer. Weil den Ärzten und Psychotherapeuten Sanktionen drohen für Dinge, die sie selbst nicht steuern können“, kritisierte Kriedel.

Zudem drehe sich das politisch vorgegebene Finanzierungssystem zwischen Finanzierungsvereinbarung und teils monopolistischer Preisgestaltung zum Nachteil der Praxen im Kreis. „Wir stellen eine zunehmende Diskrepanz zwischen den Beträgen fest, die durch die Erstattungspauschalen gedeckt sind, und den Preisen, die die Industrie tatsächlich in Rechnung stellt“, so Kriedel. Die Höhe der Unterfinanzierung schwanke je nach Hersteller und Konfiguration der jeweiligen IT-Ausstattung. „Wir müssen vermutlich von etwa 9.000 Euro für fünf Jahre ausgehen. Der Markt hat sich eben nicht wie versprochen selbst reguliert. Er hat vielmehr die gesetzliche Nachfrage-Garantie genutzt“, so Kriedel. Da die Nachfrage im kommenden Jahr durch ablaufende Konnektoren noch steige, forderte Kriedel eine ausreichende Finanzierungsvereinbarung. „Die Kosten für gesetzlich angeordnete Digitalisierungsmaßnahmen müssen komplett gedeckt sein. Wenn wir bis zum Jahresende kein zufriedenstellendes Ergebnis erreichen können, werden wir ins Schiedsamt gehen“, kündigte Kriedel an.

„Die Praxen wollen versorgen, sie wollen impfen – und sie wollen auch digitalisieren. Aber: Die Grenze des Machbaren ist längst weit überschritten“, betonte Kriedel. Doch schon jetzt müssten die Ärztinnen und Ärzte Technik in ihren Praxen installieren, die heute schon veraltet sei und oft nicht funktioniere. Technische Schwierigkeiten seien auch bei der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) und dem elektronischen Rezept (eRezept) ein großes Problem. In der Fokusregion Berlin-Brandenburg hätten es bisher von den angestrebten 1.000 echten und abgerechneten eRezepten gerade einmal 42 über die Ziellinie geschafft. Das seien umgerechnet nicht einmal zwei eRezepte pro Testwoche – und das bei einer Anwendung, die ein bis zwei Millionen Mal pro Tag genutzt werden solle. „Bei diesen tatsächlichen Testmengen und Ergebnissen kann doch niemand seriös behaupten, dass das eRezept uneingeschränkt funktionieren wird. Und trotzdem halten gematik und BMG eisern am Starttermin 1. Januar fest“, sagte Kriedel.

Wie bei der eAU. Doch dort sehe es nicht besser aus. „Zu ihren ersten Erfahrungen haben uns 1.569 Praxen berichtet – in unserer Online-Befragung Anfang November. Nur 4 Prozent der befragten Praxen konnten bislang erfolgreich eine eAU an die zuständige Krankenkasse versenden“, erklärte Kriedel. „Was macht die Praxis dann? Hinterhertelefonieren, erklären, Ärger abfangen, ausdrucken, nachsenden.“ Auch angesichts der aktuellen Gemengelage sei der KBV nichts anderes übrig geblieben, als eine Richtlinie zur Anwendung der eAU und des eRezeptes zu erstellen. „Ohne sie würde die Arbeitsfähigkeit der Praxen massiv eingeschränkt werden – für wer weiß wie lange. Trotzdem sollten Praxen die jeweils noch fehlenden Komponenten beschaffen, sobald sie verfügbar sind“, betonte Kriedel.