Gassen fordert Minister-Machtwort zur gematik: „Der Schwanz darf nicht mit dem Hund wedeln!“
Der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Dr. Andreas Gassen, hat auf der heutigen Vertreterversammlung in Bremen an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach appelliert, bei den Digitalisierungsvorhaben der gematik strategisch umzusteuern.
Bremen, 23. Mai 2022 - „Lieber Herr Minister Lauterbach, wenn Sie Ihre Aussage ernst meinen, dass es bei der Digitalisierung erstens um Versorgungsverbesserungen gehen muss, zweitens, dass Funktionalität wichtiger ist als ein Stichtag und drittens, dass Betroffene zu Beteiligten gemacht werden sollen, dann bedarf es einer kompletten Neuausrichtung dieses Prozesses – und eines Machtwortes des Bundesgesundheitsministeriums in Richtung gematik“, sagte Gassen.
„Es darf hier nicht länger der Schwanz mit dem Hund wedeln!“ Die KBV sei bereit und willens, einen echten Prozess einer strategischen Neuausrichtung der gematik zu unterstützen.
Gassen kritisierte gematik-Chef Leyck Dieken – unter anderem für das kürzlich bekannt gewordene Vorhaben, den Rollout des elektronischen Rezepts (eRezept) am 1. September flächendeckend in den KV-Regionen Bayern und Schleswig-Holstein zu beginnen, ohne vorab mit den Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) gesprochen zu haben.
„Und das Ganze in einer Phase, in der viele Praxen schon das Ärgernis eines Konnektoraustauschs bewältigen müssen – eine weitere völlige Fehlplanung, die die gematik zu verantworten hat!“, bemängelte der KBV-Chef.
Angesichts der unvorhersehbaren Entwicklung der Corona-Pandemie im Herbst warnte Gassen: „Seriöserweise sollte tunlichst vermieden werden, erneut dunkle Bedrohungsszenarien an die Wand zu werfen. Das heißt im Umkehrschluss aber nicht, dass die Politik die Hände in den Schoß legen darf.
Im Gegenteil.“ Bundesregierung und Länder müssten jetzt Vorkehrungen treffen, damit im Herbst nicht wieder Hektik ausbreche und am Ende womöglich erneut gesellschaftliche Einschränkungen herangezogen und „mit was auch immer“ begründet würden.
Zudem forderte der KBV-Chef eine umfassende wissenschaftliche Bewertung des bisherigen Umgangs mit der Pandemie: „Was wir aber dringend zeitnah brauchen, ist eine Evaluation der bisherigen Coronamaßnahmen. Und zwar von einer unabhängigen Kommission und nicht von denjenigen, die die Maßnahmen selbst entwickelt oder empfohlen haben.“
Aus dieser Evaluation müsse sich ableiten lassen, welche Maßnahmen gegebenenfalls im Herbst sinnvoll und erfolgversprechend sein können – und welche nicht. Es gehe um eine umfassende Betrachtung ohne Tunnelblick.
Gassen zeigte sich verwundert, dass Bund und Länder bei Corona ähnlich wie bei der Digitalisierung Abermillionen Euro in Maßnahmen steckten, deren Nutzen mit Fug und Recht bezweifelt werden könnten.
„Man hat jedoch kein Geld übrig für all die Medizinischen Fachangestellten in unseren Praxen, die sich in der Pandemie krumm gemacht haben bis zur Erschöpfung“, so der KBV-Vorstandsvorsitzende.
Immerhin sei es gelungen, dass der steuerfreie Betrag von Boni, die auch Arztpraxen als Arbeitgeber zahlen könnten, von 3.000 auf 4.500 Euro angehoben wurde: „Das ist aus unserer Sicht der mindeste Beitrag einer staatlichen Anerkennung der Leistungen des Praxispersonals.“
Mit Sorge sieht Gassen das Vordringen privater Geldgeber bei Medizinischen Versorgungszentren (MVZ): „Hier ist angesichts der Entwicklungen zweifellos besondere Aufmerksamkeit und eine klare Positionierung geboten.“
In manchen Fachgebieten, wie der Augenheilkunde und der Radiologie, seien bereits zu viele Praxen von Private Equity aufgekauft und zu Ketten beziehungsweise Zentren akkumuliert worden.
Gassen: „Dort werden im Zweifelsfall nur noch die Leistungen angeboten, die eine entsprechende Rendite versprechen. Es droht eine versorgungstechnische Monokultur. Das dürfen wir nicht zulassen.“