Hofmeister: „Volle Versorgung ohne Praxen – das geht nicht!“
Vor dem langsamen Zerstören des Fundaments der ambulanten Versorgung hat Dr. Stephan Hofmeister, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), die Politik auf der heutigen Vertreterversammlung in Berlin gewarnt.
Berlin, 23. September 2022 – „Die ambulante Versorgung steht auf zunehmend tönernen Füßen“, sagte Hofmeister und bezog sich dabei unter anderem auf die geplante Abschaffung der Neupatientenregelung.
Dies sei ein weiterer Schlag mit der Abrissbirne, mit der die Politik – „trotz anderslautender Bekundungen im Koalitionsvertrag!“ – gegen die Praxen vorgehe. Dass das Haus „ambulante Versorgung“ bröckle, hätten bislang vor allem die Praxen zu spüren bekommen.
„Die Patienten kümmert nicht, mit welchen Widrigkeiten ihr Arzt oder ihre Ärztin zu kämpfen hat, so lange sie gut versorgt werden“, so der KBV-Vize. „Aber das wird sich bald ändern! Das ist keine Drohung, sondern eine zwangsläufige Folge der aktuellen Politik.“
Mittlerweile seien auch Landräte und Bürgermeister zunehmend alarmiert. Hofmeister: „Wenn in den Kommunen Praxen schließen und die Menschen keinen Arzt mehr finden, dann merkt auch die Politik vor Ort, dass sich die Dinge in die falsche Richtung entwickeln.“
Hofmeister erinnerte daran, dass sich der heutige Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach 2019 vehement für die Neupatientenregelung, nach der entsprechende Behandlungen ohne Abschläge finanziert werden, eingesetzt habe. Ohne die gesetzlich verbriefte Zusage, die Arbeit zumindest für diese neuen Patienten vollständig bezahlt zu bekommen, könnten die Praxen die Strukturen, in die sie dafür investiert hätten, nicht aufrechterhalten.
„Und damit ist Ihre Aussage, Herr Minister Lauterbach, es werde keine Leistungskürzungen für die Versicherten geben, am Ende des Tages nichts anderes als Wählertäuschung!“, so Hofmeister.
Die Gesamtsituation habe fast schon etwas Schizophrenes an sich, konstatierte der KBV-Vize. „Auf der einen Seite gebiert die Politik ständig neue Ideen, wo, wie und durch wen gesundheitliche Versorgung außerhalb der Krankenhäuser angeboten werden könnte.“
Mal seien es die Apotheken, mal ganz neue Gesundheitsberufe wie die Community Health Nurse, neuerdings seien es Gesundheitskioske. Hofmeister: „Aber wo sollen das Personal und die finanziellen Mittel für all diese Parallelstrukturen herkommen? Will man wirklich den Praxen diese Ressourcen entziehen, um im Gegenzug 1.000 Gesundheitskioske zu finanzieren?“
In Deutschland seien über 4.000 Hausarztsitze nicht besetzt, hinzu kämen über 9.500 offene Stellen für Medizinische Fachangestellte, erklärte Hofmeister. „Was nützt den Menschen ein Gesundheitskiosk, wenn keine Praxis angebunden ist, welche bei Bedarf Patienten aufnehmen kann?“
Hofmeister stellte klar: „Herr Minister Lauterbach: Volle Versorgung, ohne Praxen – das geht nicht!“ Es gebe kein Substitut für Ärzte, auch wenn Politik die Wählerinnen und Wählern das glauben machen wolle. „Es drängt sich der Eindruck auf, dass man hier einen schleichenden Systemwechsel herbeiführen will“, so Hofmeister.
Der KBV-Vize machte deutlich: „Es geht in dieser Angelegenheit nicht nur um Geld.“ Aber was definitiv nicht helfe, sei, wenn man den Praxen das Geld, dass ihnen zugesagt worden sei, auch noch wegnehme.
Diese mangelnde Verlässlichkeit, verbunden mit einem weit über der Inflation liegenden Betriebskostenanstieg in den letzten Jahren, zuzüglich der derzeit explodierenden Energiepreise und der Weigerung der gesetzlichen Krankenversicherung und des Staates, die Versorgung zu stützen – all das helfe in keinster Weise, die Niederlassung in eigener Praxis als attraktives Zukunftsmodell für den Nachwuchs zu präsentieren.
„Im Gegenteil. Die älteren Praxisinhaberinnen und -inhaber hören früher auf, jüngere kommen nicht nach. Diese Abwärtsspirale ist bereits in vollem Gang“, mahnte Hofmeister.
Der KBV-Vize nannte drei Mechanismen, um gegenzusteuern: Neben einer auskömmlichen Finanzierung sei dies eine echte Entbürokratisierung beziehungsweise die Befreiung der Ärztinnen und Ärzte von tätigkeitsfremden Aufgaben und eine funktionierende Digitalisierung, welche die Arbeit in der Praxis vereinfache und verbessere, statt sie zusätzlich zu verkomplizieren und zu verteuern.
„Es geht um den Erhalt der Struktur der ambulanten ärztlichen und psychotherapeutischen Versorgung!“, betonte Hofmeister. „Wir brauchen keine Ersatzstrukturen, wenn dafür gesorgt ist, dass das Vorhandene funktionieren kann.“