KBV-VV: Rationale Leitlinien-gestützte Verordnungen in der Wirtschaftlichkeitsprüfung schützen
Die Vertreterversammlung (VV) der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) hat heute bei ihrer Sitzung in Essen folgende Resolution zur Wirtschaftlichkeitsprüfung verabschiedet:
Essen, 15. Mai 2023 – Die Vertreterversammlung setzt sich dafür ein, dass medizinisch begründete Entscheidungen im Rahmen der Verordnungen stärker als bisher geschützt werden. Die Vertreterversammlung appelliert an das Bundesministerium für Gesundheit, bürokratische Kontrollen in der Wirtschaftlichkeitsprüfung dahingehend zu überarbeiten, dass der Raum für medizinisch rationale Verordnungsentscheidungen gesichert wird. Medizinisch rationale Entscheidungen dürfen nicht Ausgangspunkt für Wirtschaftlichkeitsprüfungen sein.
Es bedarf einer gesetzlichen Klarstellung, wonach die Verordnungen im Rahmen des Off-Label-Uses und von Arzneimitteln der Anlage III der Arzneimittel-Richtlinie im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung unter die Differenzkostenberechnung nach § 106b Abs. 2a SGB V fallen.
Begründung:
KBV und GKV-Spitzenverband hatten sich im Jahr 2020 in den Rahmenvorgaben Wirtschaftlichkeitsprüfung auf eine Regelung geeinigt, wonach Verordnungen im Rahmen des Off-Label-Uses sowie Verordnungen von Arzneimitteln der Anlage III der Arzneimittel-Richtlinie in die Differenzkostenberechnung nach § 106b Abs. 2a SGB V einzubeziehen sind. Nach dieser Vorschrift ist die Nachforderung im Rahmen einer Wirtschaftlichkeitsprüfung auf die Differenz zwischen der wirtschaftlichen und der tatsächlichen Verordnung begrenzt. Diese Rahmenvorgaben wurden seitens des GKV-Spitzenverbandes im Jahr 2021 gekündigt. Über eine Neuregelung konnte mit dem GKV-Spitzenverband keine Einigung erzielt werden. Das Bundesschiedsamt hat im Mai 2022 eine Bestimmung festgesetzt, wonach generell und ohne Ausnahmen unzulässige Verordnungen von der Differenzkostenberechnung ausgenommen sind. Eine hiergegen gerichtete Klage der KBV wurde vom Landessozialgericht Berlin-Brandenburg mit Urteil vom 26. April 2023 im Ergebnis abgewiesen mit der Begründung, dass letztlich nicht erkennbar sei, ob der Gesetzgeber eine so weitreichende Möglichkeit habe treffen wollen, unzulässige Verordnungen in die Differenzkostenberechnung einzubeziehen. Das Gericht hat – ebenso wie bereits das Bundesschiedsamt – ausgeführt, dass dies nur im Wege einer gesetzlichen Klarstellung erreicht werden könne.
Wir sind weiterhin der Auffassung, dass sich bereits aus dem Wortlaut der Gesetzesbegründung und der Systematik der einschlägigen Regelungen ergibt, dass ein genereller Ausschluss unzulässiger Leistungen aus der Differenzkostenberechnung rechtswidrig ist und werden daher gegen das Urteil Revision beim Bundessozialgericht einlegen. Vor dem Hintergrund der Einschätzung des Bundesschiedsamts und des Landessozialgerichts (LSG) Berlin-Brandenburg, wonach die Einbeziehung unzulässiger Verordnungen in die Differenzmethode im Gesetzgebungsverfahren zum § 106b Abs. 2a SGB V nicht hinreichend zum Ausdruck gekommen sei, fordern wir den Gesetzgeber zu einer Klarstellung im Sinne einer medizinisch sachgerechten und rationalen medizinischen Versorgung auf.
Der Einsatz von Arzneimitteln im Off-Label-Use ist beispielsweise Therapiestandard bei neurologischen und onkologischen Indikationen sowie in der Pädiatrie. Bei diesen Indikationen werden häufig Arzneimittel verordnet, die für das konkrete Anwendungsgebiet nicht zugelassen sind, die jedoch in den Leitlinien medizinischer Fachgesellschaften für die jeweiligen Indikationen empfohlen werden und teilweise sogar erheblich preisgünstiger sind als zugelassene Arzneimittel. Im Nachgang werden die Voraussetzungen des Off-Label-Uses häufig von den Krankenkassen abgelehnt, obwohl es sich bei all diesen Verordnungen um medizinisch sachgerechte und rationale Verordnungen handelt.
Wie Verordnungen im Off-Label-Use wird auch der gesetzlich vorgesehene begründete Ausnahmefall von den Verordnungsausschlüssen bzw. -einschränkungen der Anlage III der Arzneimittel-Richtlinie von Krankenkassen meist nicht akzeptiert. Bei Verordnungen von Arzneimitteln der Anlage III der Arzneimittel-Richtlinie liegen ebenfalls in der Regel Indikationen vor, bei denen der Versicherte einen Anspruch auf Arzneimittelversorgung zu Lasten der GKV hat. Vor diesem Hintergrund stände eine Nachforderung in voller Höhe der Verordnungskosten nicht in Einklang mit dem Sinn und Zweck des § 106b Abs. 2a SGB V, im Fall einer unwirtschaftlichen Verordnung die Nachforderung auf den Differenzbetrag gegenüber dem verordnungsfähigen Arzneimittel zu begrenzen.
In Fällen Leitlinien-konformer rationaler Verordnungen bzw. Verordnungen zur Behandlung von Erkrankungen, bei denen der Versicherte einen Anspruch auf Arzneimittelversorgung zu Lasten der GKV hat, muss ausgeschlossen sein, dass die Verordnungskosten in voller Höhe regressiert werden. Die Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung fordert den Gesetzgeber daher zu einer entsprechenden Klarstellung auf.