„Black Weeks sind im Gesundheitswesen unethisch!“
Der Vorstand der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) hat bei der heutigen Vertreterversammlung in Berlin noch einmal bessere Rahmenbedingungen für die ambulante Versorgung angemahnt und nachdrücklich an die Öffentlichkeit appelliert, die entsprechende Petition zu unterzeichnen, um den drohenden Praxenkollaps abzuwenden.
Berlin, 8. Dezember 2023 – „Egal ob Sie Arzt oder Ärztin, Psychotherapeut oder Psychotherapeutin, Patient oder Patientin oder einfach an einer guten ambulanten Gesundheitsversorgung grundsätzlich interessiert sind – zeichnen Sie bitte diese Petition, falls Sie es noch nicht getan haben!“, sagte KBV-Vorstandsvorsitzender Dr. Andreas Gassen. Man dürfe nicht nachlassen im Kampf für eine sichere und qualitativ hochwertige Gesundheitsversorgung für alle.
Der KBV-Chef erinnerte daran, dass mit dem „Zero Pay Day“ am 15. November die „unbezahlte Jahreszeit“ für die Praxen begonnen habe. „Ab diesem Tag fangen die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte statistisch und im Durchschnitt betrachtet an, die meisten ihrer Patienten gratis zu behandeln.“ Nach Berechnungen des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (Zi) müssten rund 125 Millionen Arzt-Patienten-Kontakte entfallen, wenn alle Praxen ab dem 16. November schließen würden, so Gassen. „Ich kenne keinen Berufsstand, der auf Dauer bis zu sechs Wochen im Jahr ohne Bezahlung arbeiten würde. ,Black Weeks’ mögen im Einzelhandel beliebt sein, im Gesundheitswesen sind sie unethisch!“
Der stellvertretende KBV-Vorstandsvorsitzende Dr. Stephan Hofmeister kritisierte Pläne, originär ärztliche Leistungen in Apotheken abrufen zu können. „Diese sollen künftig verstärkt Untersuchungen auf Risiken für Herzkreislauf-Erkrankungen, Schlaganfall und Diabetes anbieten und die Kunden zu den Ergebnissen beraten. Dies ist ein weiterer Schritt, um Apotheken zu ,Praxen light’ zu machen“, so der KBV-Vize. „Um es klar zu sagen: Es handelt sich hier um eine Bagatellisierung ärztlicher, in dem Fall insbesondere hausärztlicher, Versorgung – eine Bagatellisierung, die unverantwortlich ist und die wir nicht hinnehmen können!“
Diese Politik des Surrogats ziehe sich wie ein roter Faden durch die aktuelle Gesetzgebung. Hofmeister: „Es werden immer neue Ersatz- und Parallelstrukturen ersonnen, statt Konzepte zur Stärkung des Vorhandenen.“ Der KBV-Vize betonte zudem, dass eine Entbudgetierung der hausärztlichen Versorgung sich nach dem Vorbild der Kinder- und Jugendärzte, wie sie das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) vorsehe, zügig umsetzen ließe. „Entscheidend ist, dass gegenüber der jetzigen hausärztlichen Vergütungssystematik keine Nachteile entstehen und kein hausärztliches Honorar verlorengeht. Auch hier wollen wir endlich Taten sehen, nicht Versprechungen hören!“, forderte Hofmeister.
Zum Handeln rief das BMG auch KBV-Vorstandsmitglied Dr. Sibylle Steiner auf. Das vorgelegte Eckpunktepapier sei zwar ein erster Lichtblick, aber insbesondere beim Thema Regresse noch viel zu vage. „Zwei Drittel der Praxen sehen die Versorgung ihrer Patientinnen und Patienten eingeschränkt, aufgrund der Regressgefahr“, so Steiner. „Was einst als Kostenkontrolle gedacht war, ist längst zum ‚Versorgungsverhinderungsmonster‘ mutiert.“ Fast 98 Prozent der Praxen stimmten darüber hinaus dafür, die Dominanz des Papierkrams endlich zu beenden.
Neben Bürokratie plagten die Niedergelassenen auch weiterhin Probleme mit ihren Praxisverwaltungssystemen (PVS). Besonders brisant dabei: „Bei Lichte betrachtet ist das PVS einer der – wenn nicht sogar der – Schlüssel zur Digitalisierung in den Praxen und damit im Gesundheitswesen insgesamt“, stellte Steiner fest. Für eine funktionierende Digitalisierung müsse das PVS „vom Türsteher zum Türöffner werden“.
Insbesondere mit Blick auf die verpflichtende Einführung des elektronischen Rezepts am 1. Januar 2024 – und perspektivisch der elektronischen Patientenakte – seien PVS-Hersteller dazu zu verpflichten, rechtzeitig und fristgerecht einheitliche Qualitätsstandards der gematik zu erfüllen. Erst kürzlich habe eine Arbeitsgruppe aus KBV und elf Kassenärztlichen Vereinigungen erarbeitet, was ein PVS zu einer guten Software für die Praxen macht. „Preis-Transparenz, Usability, verlässlicher Service und Support sowie IT-Sicherheit“, seien nur ein paar der Stichworte aus dem Entwurf eines Rahmenvertrags nach § 332b SGB V, der aktuell zur öffentlichen Kommentierung vorliege.