„Gesundheitsgesetze: viel Masse, noch wenig Klasse“
Der Vorstand der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) hat bei der heutigen Vertreterversammlung (VV) in Berlin die zahlreichen Unzulänglichkeiten der aktuellen Gesetzesvorhaben von Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach kritisiert und eine „durchdachte und in sich schlüssige Gesundheitspolitik mit Augenmaß“ gefordert.
Berlin, 13. September 2024 – „Zahllose Gesundheitsgesetze sind in der Pipeline, kaum eines ist ausgereift und geeignet, die Versorgung zu verbessern“, sagte KBV-Vorstandsvorsitzender Dr. Andreas Gassen in Richtung Bundesgesundheitsministerium (BMG). Beispielhaft nannte er das Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG), dessen Überweisung in den Vermittlungsausschuss und sein dortiges Scheitern wahrscheinlicher würden. „Nun würden wohl die wenigsten Menschen außerhalb des Ministeriums dem KHVVG überhaupt eine Träne nachweinen, denn es wird extrem teuer. Und dass es wirklich einen Ambulantisierungsschub auslösen wird, glaubt niemand mehr“, konstatierte Gassen. Allerdings mache dann auch eine, an sich notwendige, Notfallreform nur noch wenig Sinn. Die von Karl Lauterbach versprochene „Generalüberholung“ des Gesundheitswesens scheitere oft schon an den handwerklichen Unzulänglichkeiten seiner Gesetze.
Mit Blick auf die laufenden Finanzierungsverhandlungen zeigte sich der KBV-Chef zuversichtlich, dass die gemeinsame Selbstverwaltung eine Einigung zum Orientierungswert erziele. Gassen mahnte aber zugleich: „Das ändert natürlich nichts an der grundsätzlichen Unterfinanzierung der Praxen über viele Jahre hinweg. Die Notwendigkeit, die Finanzierungssystematik grundsätzlich zu verändern, ist unbestreitbar.“ Man brauche endlich eine nachhaltige Finanzierung der Praxen, um die ambulante Versorgung in diesem Land zu sichern. Gassen: „Die vorgegebene Systematik für die jährlichen Finanzierungsverhandlungen mit den Kassen reichen dafür nicht aus.“
„Gelinde gesagt, herausfordernd“, nannte der stellvertretende KBV-Vorstandsvorsitzende Dr. Stephan Hofmeister die Verknüpfung der Entbudgetierung mit neuen Vorhalte- und Versorgungspauschalen im Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG). „Zumal Letztere kein neues Geld bringen, sondern sie bringen vor allem eins: Umverteilung innerhalb der Hausärzteschaft!“, so Hofmeister. Der KBV-Vize kritisierte die Auffassung des Bundesrechnungshofs, wonach die Budgetierung die Versicherten vor „nicht erforderlichen Leistungen“ schütze. „Die Entbudgetierung sorgt dafür, dass alle notwendigerweise erbrachten ärztlichen Leistungen bezahlt werden!“, hielt Hofmeister entgegen und warnte zugleich: „Wenn das GVSG aufgrund der gesetzgeberischen Fristen bis zum Ende der Legislatur gar nicht mehr kommt, dann ist mutmaßlich auch die Entbudgetierung bis auf Weiteres nichts als heiße Luft des Ministers.“
Hofmeister begrüßte die mit anderen Institutionen erarbeitete Lösung in der Frage nach der Sozialversicherungspflicht im ärztlichen Bereitschaftsdienst. Zugleich warnte der KBV-Vize: „Die jetzt erreichte Lösung betrifft nur einen Teilaspekt des Not- und Bereitschaftsdienstes.“ Der Dienst als solcher und dessen Sicherstellung bleibe eine ungeheure Herausforderung für Ärztinnen und Ärzte und die KVen; die eigentlichen Probleme seien nach wie vor ungelöst und drohten durch die zu erwartende Gesetzgebung noch gravierender zu werden. Das neue Notfallgesetz solle Ende September erstmalig im Bundesrat beraten werden. Hofmeister: „Nach jetzigem Stand schafft es mehr Probleme, als es Lösungen bietet: Es belastet einseitig die KVen hinsichtlich personeller und finanzieller Ressourcen, es verursacht mit zusätzlichen Vereinbarungspflichten hohen bürokratischen Aufwand und ist überdies sowohl in zeitlicher als auch organisatorischer Hinsicht völlig unrealistisch.“
KBV-Vorstandsmitglied Dr. Sibylle Steiner betonte, es brauche einen engagierten Veränderungswillen in der Politik – insbesondere bei den Digitalisierungsprojekten. Die Pläne von Bundesgesundheitsministerium (BMG) und gematik bei der elektronischen Patientenakte (ePA) seien überaus ambitioniert: „Die Modellregionen Hamburg und Franken haben vier Wochen, um das Zusammenspiel von unterschiedlichen elektronischen Patientenakten der Krankenkassen mit über 100 Praxisverwaltungssystemen zu testen. Vier Wochen: Eine Herausforderung für unser Gesundheitssystem!“ KVen und KBV bereiteten die Praxen zwar intensiv auf die Einführung der ePA vor – es brauche bei einem so engen Zeitplan aber schnelle, aufwandsarme und unkomplizierte Technik, die auch entsprechend finanziert gehöre. Die Krankenkassen würden bei ihren Versicherten Erwartungen wecken, die die Praxen mit dieser ePA nicht erfüllen könnten. Steiner: „Daher fordern wir die Krankenkassen und das BMG auf, die Versicherten über die tatsächlichen Inhalte der ePA sowie über ihre Rechte und Befugnisse zu informieren – und zwar wahrheitsgemäß.“
Immerhin einige Lichtblicke gäbe es bei den Reformplänen des Ministers, stellte Steiner fest. Beim sogenannten „Gesundes-Herz-Gesetz“ (GHG) etwa habe die Kritik der KBV Wirkung gezeigt und das BMG sei von seinen staatsmedizinischen Ideen am Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) vorbei abgerückt. Und auch das Gesundheits-Digitalagentur-Gesetz (GDAG) erfülle die Forderung der KBV, Praxisverwaltungssystemen (PVS) qualitative und quantitative Anforderungen zu stellen. Genau hinschauen müsse man Steiner zufolge allerdings beim Kleingedruckten: Das GHG setze beispielsweise weiterhin ohne medizinische Evidenz auf generelle Lipid-Screenings bei Kindern und Jugendlichen. Und das GDAG enthalte weiterhin Sanktionsdrohungen und Bußgelder gegen Praxen. Deshalb wandte sich die KBV-Vorständin persönlich an den Minister: „Bei sinnvollem Wandel können Sie auf unsere Unterstützung und Tatkraft zählen. Bei allem, was einer evidenzbasierten und zukunftsfesten ambulanten Versorgung entgegensteht, können Praxen und Patienten darauf zählen, dass wir nicht müde werden, uns immer wieder aufs Neue für die Beständigkeit des Bewährten und den Wandel zum Besseren einzusetzen.“