Ärztliche Versorgung: „Freie Bahn“ für den notwendigen Strukturwandel – Versorgungsziele und regionale Besonderheiten stärker berücksichtigen – Positionspapier der KBV
Unser Ziel
Wir wollen die ambulante Versorgung weiter stärken. Hierzu wollen wir die rechtlichen Möglichkeiten für den Aufbau und die nachhaltige Sicherung krankenhausergänzender und krankenhausersetzender Strukturen in der vertragsärztlichen Versorgung schaffen und notwendige Versorgungsstrukturziele festlegen.
Die Gesamtvertragspartner sollen die Höhe der morbiditätsbedingten Vergütungen der Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) unter Beachtung der vorhandenen Kosten-, Versorgungs- und Morbiditätsstruktur sowie der zu entwickelnden ambulanten Versorgungsstrukturen so anpassen, dass die vereinbarten Ver-sorgungsstrukturziele sowie bestehenden Strukturen sachgerecht finanziert werden.
Die Herausforderung
Deutschland verändert sich. Der demografische Wandel ist keine Zukunftsprognose mehr. In der kommenden Legislaturperiode gehen die ersten Generationen der ‚Babyboomer‘ in den Ruhestand. Die demografische Entwicklung verändert auch Lebensbedingungen und Regionen in Deutschland: Bevölkerungswachstum konzentriert sich auf wenige Metropolen; in vielen ländlichen Regionen hingegen wird die Bevölkerung weiter zurückgehen und im Schnitt viel älter und hilfsbedürftiger werden. Die Lebenserwartung steigt, auch für Menschen mit chronischen Krankheiten. Fazit: Durch die Ruhestandswelle, die veränderte räumliche Verteilung und die Zunahme behandlungsbedürftiger Menschen werden Anforderungen an die Leistungsfähigkeit der Sozialversicherung stark steigen.
Für die medizinische Versorgung im Alltag heißt das: effizienter werden, vermeidbare Ausgaben reduzieren. Möglichkeiten dazu bestehen. Der medizinisch-technische Fortschritt schafft laufend mehr Optionen ambulanter Versorgung, wo bisher eine Krankenhausbehandlung notwendig war. Die Chancen hat der Sachverständigenrat Gesundheit in seinem Gutachten 2012 herausgearbeitet: Die Ambulantisierung der Medizin kann den Ausgabenanstieg im Gesundheitswesen mindern. Einsparpotenziale, die in einigen Regionen bereits zum Teil realisiert werden, bestehen in der für Patienten belastenden stationären Versorgung; sie müssen genutzt und die ambulante Versorgung wo immer möglich gefördert werden.
Handlungsbedarf im Gesundheitswesen
Die Politik muss jetzt die Weichen für den notwendigen Strukturwandel stellen. Voraussetzung für eine Bereinigung oder Veränderung verzichtbarer Krankenhauskapazitäten ist ein gezielter Ausbau bzw. eine nachhaltige Sicherung der vertragsärztlichen Versorgung. Studien belegen: Wo dies geleistet wurde, entstehen weniger vermeidbare Krankenhausfälle; die Versorgung ist effizienter. An diesen ‚Best-Practice-Beispielen‘ sollte die weitere Entwicklung und Bewertung der Versorgungsstrukturen und -prozesse orientiert werden. Dazu bedarf es einer Weiterentwicklung der Rechtsgrundlagen für die Regelversorgung.
Der Lösungsansatz in 5 Punkten
1. Versorgungsziele und Investitionspläne für eine zukunftsfähige ärztliche Versorgung
Krankenkassen und KVen müssen vorausschauend agieren können. Nach geltender Rechtslage wird die Weiterentwicklung der Gesamtverträge durch einen rückwärts gewandten Datenkranz begrenzt. Behandlungsmöglichkeiten werden so durch Ereignisse bestimmt, die vor drei bis vier Jahren stattgefunden haben. So kann jedoch nicht zeitnah und vorrausschauend auf das Schließen von Krankenhausabteilungen reagiert werden, die kurzfristig zu einem höheren vertragsärztlichen Versorgungsbedarf der Versicherten führen. Stattdessen müssen ambulante Versorgungsstrukturen schrittweise entwickelt und an Versorgungszielen der Zukunft ausgerichtet werden. Damit die Krankenkassen dies finanzieren können und zugleich entlastet werden, müssen bestehende Regelungen im vertragsärztlichen wie stationären Vertrags- bzw. Vergütungssystem verändert werden. Mit wenigen Änderungen im SGB V können die Zukunftschancen hierdurch nachhaltig verbessert werden.
2. Vorfahrt für regionale Entscheidungskompetenz
Die mit dem Versorgungsstrukturgesetz begonnene Re-Regionalisierung der Gesamtverträge hat sich bewährt, muss aber weiter geführt werden. Der Gesetzgeber muss die Gesamtvertragspartner dazu verpflichten, kassenartenspezifisch Maßnahmen zur Förderung des ambulanten Versorgungspotenzials und zur nachhaltigen Sicherung vorteilhafter vertragsärztlicher Strukturen zu vereinbaren, um vermeidbare Krankenhausfälle zu reduzieren.
3. Was gut ist kann noch besser werden
Wer effiziente, zukunftsfähige Versorgungsstrukturen schaffen und erhalten will, darf sich nicht an bundesdurchschnittlichen Kennzahlen des Versorgungsbedarfs und der Vergütung orientieren. Entsprechende Mittelwerte dürfen deshalb kein Referenzwert für die Weiterentwicklung der Gesamtverträge sein. Bei der Wahl der Versorgungsziele und der Bewertung bestehender ambulanter Strukturen sollten sich die Gesamtvertragspartner vielmehr am Beispiel der Regionen orientieren, in denen das ambulante Potenzial bereits am besten realisiert und die oben genannten Herausforderungen bereits bestens gemeistert werden. Diese wünschenswerten und bedarfsgerechten Versorgungsstrukturen müssen dann angemessen finanziert werden.
4. Genaues Hinsehen ist ein Muss
Regionale Besonderheiten der Morbiditätsstruktur der Patienten und regionale Besonderheiten der Kos-ten- und Versorgungsstruktur können bislang nicht adäquat berücksichtigt werden; die sachgerechte Anpassung der Aufsatzwerte für den Behandlungsbedarf ist eine wesentliche Voraussetzung für den Aufbau leistungsfähiger ambulanter Versorgungsstrukturen bzw. deren nachhaltigen Sicherung.
5. Klare Perspektiven bieten
Wer Investitionen in zukunftsweisende Versorgungsstrukturen fördern will, muss stabile Rahmenbedingungen gewährleisten. Versorgungsziele können nicht jährlich wechseln. Für strukturelle Weiterentwicklungen der Versorgung müssen Krankenkassen und KVen mehrjährige Vereinbarungen schließen können.