Ethikberatung im Qualitätszirkel - Tutorial
Ethikberatung im Qualitätszirkel
Ich möchte Ihnen das Modul Ethikberatung aus dem Handbuch Qualitätszirkel der Kassenärztlichen Bundesvereinigung vorstellen. Es ist eines von mittlerweile über 30 Modulen, mit deren Hilfe ärztliche und psychotherapeutische Qualitätszirkel ein Thema strukturiert bearbeiten können. Für den Moderator, die Moderatorin eines Qualitätszirkels stellt das Modul theoretische Grundlagen zur Verfügung, Arbeitsmaterialien und einen Vorschlag für den Ablauf der Moderation. Alle Module sind online verfügbar auf der Internetseite der Kassenärztlichen Bundesvereinigung unter den Stichworten „Qualitätszirkel „, „Informationen für Qualitätszirkelmoderatoren“, „Qualitätszirkelmodule“. Die synergistischen Effekte der Gruppenarbeit können dem behandelnden Arzt, Ärztin, Psychotherapeutin, Psychotherapeuten ein erweitertes Fallverständnis und Lösungsmöglichkeiten für ethische Konflikte zur Verfügung stellen. Für eine Ethikberatung wird eine geschlossene Gruppe empfohlen in Form einer Intervisionsgruppe. Zur Vorbereitung eignen die sich die im Modul zur Verfügung gestellten Arbeitsblätter in Form einer Lesearbeit im Qualitätszirkel oder einer der online verfügbaren Einführungspräsentationen.
Was soll ich tun?
Medizinisches und psychotherapeutisches Fachwissen, rechtliche Vorgaben und ethische Richtlinien können manchmal darauf keine Antwort für den Einzelfall geben. Ethikberatung im Qualitätszirkel kann helfen, Antworten auf solche und ähnliche Fragen zu finden.
Was ist richtig, was ist gut, in diesem Fall?
Kann ich das mit meinem Gewissen vereinbaren?
Ist das was andere wollen das ich tue, richtig und gut?
Macht das was ich tue noch Sinn?
Was ist in diesem Fall gerechtes Handeln?
In einer Ethikberatung wird gemeinsam nach Antworten gesucht
In einer Ethikberatung wird gemeinsam nach Antworten gesucht: mithilfe der Vermittlung theoretischer Grundlagen, die helfen können, eine Antwort im konkreten Fall zu finden, indem die Möglichkeiten einer Gruppe zur Entwicklung von Handlungsoptionen und zur Diskussion genutzt werden, indem Handlungsoptionen abgewogen werden und eine nachvollziehbare und begründete Handlungsempfehlung entwickelt wird, wobei der behandelnde Arzt/die behandelnde Ärztin Psychotherapeut/Psychotherapeutin, unabhängig vom Ergebnis einer Ethikberatung, frei und allein verantwortlich in seinen Entscheidungen bleibt.
Ethische Grundlagen
Die medizinethischen Prinzipien nach Beauchamp und Childress: Das Prinzip des Respekts vor der „Autonomie des Patienten“, das Prinzip des „Nicht–Schaden“, das Prinzip der „Fürsorge“ und das Prinzip der „Gerechtigkeit“: Diese Prinzipien stehen gleichberechtigt nebeneinander. Keines dieser Prinzipien ist von vornherein entscheidend, aber das Prinzip des Respekts vor der Autonomie des Patienten ist den anderen Prinzipien vorgeordnet, d.h. es ist vorrangig zu betrachten, es ist immer und immer gleich zu Beginn der Überlegungen in die Überlegungen mit einzubeziehen. Ethische Probleme lassen sich meistens darstellen als ein Konflikt zwischen zwei oder mehreren dieser Prinzipien.
Das Prinzip des Respekt vor der Autonomie des Patienten
Das Prinzip des Respekts vor der Autonomie des Patienten bedeutet Respekt zu haben vor dem Lebensentwurf des Patienten, vor seinen Zielen, Wünschen, vor seinen Werten, vor seinen Plänen. Es bedeutet im engeren Sinne, dass der Patient eine Entscheidungsfreiheit hat, in dem er einwilligen kann oder ablehnen kann in eine psychotherapeutische oder medizinische Maßnahme.
Voraussetzung für diese Entscheidungsfähigkeit ist immer Aufklärung. Aufklärung ist nicht nur die Vermittlung von Informationen. Wir müssen uns vergewissern, dass ein Patient die Informationen, die wir ihm mehr oder weniger gut dargestellt haben, auch aufnehmen konnte und verarbeiten konnte. Die Vermittlung von Informationen muss begleitet sein von einer Gewichtung von Informationen durch den Arzt/Ärztin/Psychotherapeuten/Psychotherapeutin mit dem Patienten gemeinsam in seinem Lebensentwurf, was bedeuten diese Informationen für den Patienten. Ein Patient kann seine Autonomie auf jeden Fall auch wahrnehmen, in dem er weitere Aufklärung ablehnt.
Respekt vor der Autonomie des Patienten
Respekt vor der Autonomie des Patienten bedeutet manchmal auch eine Einschätzung seiner Urteilsfähigkeit und gegebenenfalls die Ermittlung des Patientenwillens. Im Modul befindet sich ein Arbeitsblatt zum Thema Aufklärung, Urteilsfähigkeit und Ermittlung des mutmaßlichen Patientenwillens, das weitere Grundlagen bereithält, um den Patienten Autonomie zu ermöglichen.
Nicht-Schaden
Das Prinzip des Nicht-Schadens „primum non nocere“ ist ein sehr altes medizinethisches Prinzip, das stark bindend ist. Das Prinzip des Nicht-Schadens kann direkt in eine Handlungsempfehlung, in eine Handlungsanweisung eigentlich übersetzt werden. Ärztliches oder psychotherapeutisches Handeln soll vor allem und als erstes nicht schaden, d.h. möglicher Nutzen und Schaden einer ärztlichen oder psychotherapeutischen Handlung muss immer gegeneinander abgewogen werden. Schaden kann als körperlicher Schaden durch eine medizinische Maßnahme entstehen, aber auch im Rahmen einer Psychotherapie zum Beispiel durch Verletzung der Schweigepflicht. Die Identifikation von Risikokriterien, für Unterversorgung oder Überversorgung kann helfen, Schaden zu vermeiden. Auch dafür gibt es ein Arbeitsblatt im Modul, das es sich lohnt anzusehen.
Fürsorge
Fürsorge für einen Patienten begründet das ganz besondere Verhältnis zwischen Arzt, Psychotherapeut und Patienten. Fürsorge ist eine Haltung aus der heraus Handlungen entstehen. Das Prinzip der Fürsorge kann nicht unmittelbar in eine Handlungsanweisung übersetzt werden. Eine Voraussetzung für fürsorgliches Handeln ist Mitgefühl. Das ist sehr schön bei Beauchamp und Childress auch mit Hilfe des Gleichnisses vom barmherzigen Samariter beschrieben.
Gerechtigkeit
Das Prinzip der Gerechtigkeit fordert eine gerechte Verteilung begrenzter Ressourcen. Ressourcen sind immer begrenzt, der Bedarf ist es nicht.
Die gerechte Verteilung begrenzter Ressourcen begleitet die Menschheitsgeschichte. Eine gerechte Entscheidung muss abwägen unter anderem zwischen den Prinzipien der Gleichheit: alle Menschen sollen gleich behandelt werden. Aber ist es wirklich gerecht, wenn ein Patient mit einer Erkältung den gleichen Anteil der „Ressource Zeit des Arztes“ erhält, wie ein Patient, der gerade frisch nach einem Herzinfarkt aus dem Krankenhaus entlassen ist. Das Prinzip des Bedarfs: bedürftigere Patienten bekommen mehr Ressourcen, Demenzkranke bekommen mehr Pflegeressourcen. Das Prinzip der Effizienz: begrenzte Ressourcen sollen möglichst nutzbringend angewandt werden. Das ist zum Beispiel in der Transplantationsmedizin mit ein Prinzip was beachtet wird.
Fidelity
Ethische Konflikte als Konflikte zwischen ethischen Prinzipien
Mithilfe dieser Visualisierung soll noch einmal dargestellt werden, in welcher Beziehung die vier medizinethischen Prinzipien nach Beauchamp und Childress zueinander stehen und welche Bedeutung sie haben.
Ethikberatung im Qualitätszirkel
In einer Ethikberatung im QZ geht es zunächst um die Sammlung von Informationen zum medizinischen Behandlungsverlauf, zum psychotherapeutischen Behandlungsverlauf und um die Klärung der Beziehungsebene. Ethische Konflikte können sowohl als individueller Konflikt, also als Gewissenskonflikt im Arzt/im Psychotherapeuten entstehen, aber auch als Konflikt zwischen Arzt, Therapeuten und dem Patienten/der Patientin, zwischen den Angehörigen mit den Angehörigen, mit den Angehörigen anderer Berufsgruppen, die an der Behandlung beteiligt sind. In dem Moment haben wir auch ein Beziehungsproblem. In diesem Zusammenhang ist es unerlässlich, die Beziehungsebene zu betrachten und analog zum Vorgehen in der Patientenfallkonferenz das Beziehungsproblem zu formulieren und nach Lösungen zu suchen. Bei der Patientenfallkonferenz sprechen wir sowohl ein medizinisches Problem als auch ein Beziehungsproblem und suchen nach Lösungsmöglichkeiten, um eine Handlungsempfehlung für eine medizinische Problematik zu formulieren. Bei der Ethikberatung müssen wir auch das Beziehungsproblem beachten, aber auch ein ethisches Problem. Insofern überschneiden sich Patientenfallkonferenz und Ethikberatung.
Was soll getan werden? - das ethische Problem
Ein Vorschlag für die Moderation einer Ethikberatung: In der Divergenzphase geht es um eine ungewichtete Sammlung von Antworten auf die Fragen: Was möchte der Patient? Welche Handlungsoptionen gibt es? Welche Handlungsoptionen gibt es noch? Was für weitere, modifizierte Handlungsoptionen gibt es? Welche medizinethischen Prinzipien drücken sich in diesen Handlungsoptionen aus? Warum sollte man in diesem Fall ein Prinzip durchsetzen lassen in der Handlungsoption? Warum sollte man in diesem Fall einem Prinzip den Vorrang geben?
In der folgenden Konvergenzphase geht es um die Einengung der Handlungsoptionen hin zu einer Handlungsempfehlung oder einer differenzierten Handlungssempfehlung oder auch mehreren Handlungssempfehlungen. Was spricht dafür, einem medizinethischen Prinzip in diesem Einzelfall ein höheres Gewicht zu verleihen? Wie kann man eine Handlungsempfehlung für den behandelnden Arzt / Psychotherapeuten begründen? Der Arzt oder Psychotherapeut, der den Fall vorgestellt hat, bleibt in seiner Entscheidung frei und in seinem Handeln verantwortlich. Er hat aber eine begründete und transparente Handlungsempfehlung nach der er weiter vorgehen kann.
Fallbeispiele
Zum Beispiel ein Patient mit Kolon-Carcinom wird operiert mit der dringlichen Empfehlung, für eine ambulante Chemotherapie entlassen, die er aber in der Praxis ablehnt. Was soll der behandelnde Arzt /Ärztin/Psychotherapeut/Psychotherapeutin tun? Es wird natürlich entsprechend der Entscheidung des Patienten keine Chemotherapie durchgeführt. Dafür spricht natürlich die Rechtslage und das Prinzip der Autonomie. Aber es wird sorgfältig eine depressive Reaktion differenzialdiagnostisch abgeklärt, wie ist seine Lebenssituation, wie sind seine Perspektiven, wie ist seine Persönlichkeitsstruktur, auch vor der Erkrankung, und gegebenenfalls behandelt. Und es werden weitere Aufklärungsgespräche, gegebenenfalls mit Bezugspersonen, angeboten. Das entspricht dem Prinzip der Fürsorge. Und es wird in einem ausführlichen Gespräch nachdrücklich und gegebenenfalls wiederholt auf die schlechte Prognose für den Patienten ohne Durchführung der Chemotherapie ausdrücklich hingewiesen. Auch das dem Prinzip der Fürsorge entsprechend.
Solche und ähnliche Fälle lassen sich mit Hilfe einer Ethikberatung bearbeiten. In einer Gruppe entstehen erfahrungsgemäß vielfältige Lösungen und Handlungsempfehlungen, die für solche schwierigen Situationen hilfreich sind und die Frage beantworten helfen, was soll ich tun.
Ich möchte Sie herzlich dazu einladen, dieses Modul für sich zu nutzen, mit seinen theoretischen Grundlagen und dem Vorschlag für die Moderation in ihrem eigenen Qualitätszirkel.
Qualitätszirkel haben sich bei Ärzten und Psychotherapeuten als Fortbildungsinstrument bewährt. Ein neues Modul ist die Ethikberatung. Im geschützten Rahmen des Qualitätszirkels können die Teilnehmer ethische Fragen an Hand von Fallbeispielen besprechen und gemeinsam Lösungsoptionen entwickeln. Wie so etwas ablaufen kann, zeigt dieses Tutorial.