Mit diesem Protokoll-Buch fing alles an. Es brachte den Stein ins Rollen und die Vertreterversammlung dazu, die Geschichte der KBV-Vorgängerorganisation KV Deutschland im 3. Reich aufzuarbeiten. Gezeigt wurde es zur Eröffnung der neuen Ausstellung. Gekommen waren auch Mitglieder des israelischen und deutschen Parlaments.
O-Ton Prof. Karl Lauterbach,
Die Rolle der Medizin im Nationalsozialismus gehört zu den dunkelsten Kapiteln in unserer Zunft und in unserer Geschichte. Der hippokratische Eid, das ärztliche Handeln in den Dienst der Menschheit zu stellen. In sein Gegenteil verkehrt. Die Erinnerung und Aufarbeitung der Verbrechen des Nationalsozialismus in Deutschland, wo immer sie noch nötig ist, sie darf nie zu einem Abschluss kommen. Ich schätze sehr, dass die Kassenärztlichen Vereinigungen sich dieser Aufgabe widmen.
Systemerkrankung. Arzt und Patient im Nationalsozialismus – so der Titel der Wanderausstellung, mit der das Zentrum für Antisemitismusforschung der TU-Berlin seine Forschungsergebnisse präsentiert. Initiator des Projekts war die KBV-Vertreterversammlung.
O-Ton Petra Reis-Berkowicz, Vorsitzende der KBV-Vertreterversammlung
„Da gab es ein Schlüsselerlebnis dazu. Und es war eben dieses Auffinden dieser Ledertasche mit diesem Protokollbuch darin. Und dass es eine historische Bewandtnis hat und einen hohen Wert hat, das war dann sofort klar. Was machen wir damit?
Und wir sind da sehr stolz darüber, dass jetzt die VV hier so mitgezogen hat und einstimmig immer beschlossen hat, jawohl, wir bringen das zu Ende in dem Sinne, dass wir diese Wanderausstellung dann fertigen lassen und das wissenschaftlich aufarbeiten lassen.“
2018 begannen Wissenschaftler des ZfA mit der Aufarbeitung. Scheinbar unzählige Akten, Dokumente und Fotos wurden im Kölner Archiv der KBV gesichtet, durchforscht und digitalisiert. Die Suche nach verwendbarem Material glich teilweise der Suche nach der Nadel im Heuhaufen.
Dr. Ulrich Prehn, Kurator der Wanderausstellung
Manchmal steckten auch eindeutig Dinge, die da nicht, irgendwie in den Sachzusammenhang nicht gehörten, steckten auf einmal drin und fielen uns entgegen. Und das war, glaube ich, das Interessante und als klar war, dass wir eben, dass es genug Material gibt, um Fallgeschichten zu entwickeln, war es natürlich besonders von Interesse, eben sozusagen zwischen diesen manchmal ganz langweiligen Akten auf einmal auf einen Fall zu stoßen. Zum Beispiel diese Konfliktgeschichte um Gerta Disselkamp, einer unangepassten KVD-Angestellten im Rheinland. Und das sind solche Geschichten, die uns einfach interessiert haben und die, wo wir auch gedacht haben, es macht eben Sinn, genau Fallgeschichten zu erzählen und persönliche Schicksale zu erzählen, um damit eben auch größere Zusammenhänge deutlich zu machen.
Es sind Geschichten von Tätern und Opfern, die zeigen, wie menschenverachtend Ärzte und ihre Organisationen im Dritten Reich gegen Juden und Andersdenkende agierten. Diese Gräueltaten nun zu benennen und in einer Ausstellung zu veröffentlichen, setzt ein wichtiges Zeichen in der heutigen Zeit.
O-Ton Orit Farkash-Hacohen, Vizepräsidentin der Knesset des Staates Israel
„Ich nehme viel Hoffnung mit. Seit dem 7. Oktober hat Israel eine sehr schwierige Zeit durchgemacht und macht sie immer noch durch. Und hier zu sein und die erstaunliche Arbeit zu sehen, die die KBV geleistet hat. Sechs Jahre Arbeit und Forschung. Mir wurde gesagt, dass 900 Archive durchsucht wurden. Und zu sehen, dass all das für die Wahrheit und gegen Antisemitismus spricht, ist in Zeiten wie diesen nicht selbstverständlich.“
Um die beeindruckenden Geschichten möglichst vielen Menschen zu präsentieren, geht die Ausstellung ab Februar 2025 auf Wanderschaft durch die 17 Kassenärztlichen Vereinigungen. Bis Ende Januar können Besucher sie in den Räumen der KBV in Berlin ansehen.
O-Ton Petra Pau, Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages
„Ich finde erst mal bemerkenswert, dass sich die KBV tatsächlich ihrer historischen Verantwortung stellt und das in einen Kontext stellt, in der Verantwortung für heute, für die Demokratie, aber auch natürlich für den Berufsstand. Und ich hoffe sehr, dass diese Ausstellung natürlich hier an diesem Ort steht. Aber viel für viel wichtiger halte ich es, dass sie an die Universitäten kommt. Dort, wo Ärztinnen und Ärzte und alle, die im Gesundheitswesen in irgendeiner Weise tätig sind. Am Anfang, bevor man auch ins Berufsleben einsteigt, ja zum Nachdenken anregen und vor allen Dingen daran erinnern, warum man Ärztin oder Arzt wird.“
Eine Fallgeschichte erinnert an Herbert Lewin, ein jüdischer Arzt, der die Shoah überlebte und später als Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland eine wichtige Rolle einnahm. Der Platz vor KBV und Bundesärztekammer trägt seinen Namen. Eine Gedenktafel erinnert hier an sein Schicksal und das der vielen jüdischen Ärztinnen und Ärzte im NS-Regime.