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Gassen: Europawahl zeigt Unzufriedenheit der Bevölkerung über Gesundheitspolitik

Sie waren zuletzt als Redner auf der VV der KZBV. Warum?

Dr. Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der KBV:
Ja, das war erneut ein Termin, wo wir die Geschlossenheit der Leistungserbringer demonstriert haben. Es war ja auch der stellvertretende Präsident der ABDA da. Und das haben wir in der Vergangenheit ja schon mehrfach gemacht, zuletzt sogar mit der DKG vor der Bundespressekonferenz. Und insofern ist das das Signal, dass die Leistungserbringer in der gesamten Breite erhebliche Probleme mit der aktuellen Gesundheitspolitik haben.
Warum ist ein solcher Schulterschluss verschiedener Verbände noch notwendig?
Also zum einen ist es natürlich etwas Besonderes, wenn formal so unterschiedliche Bereiche wie Krankenhaus und Niederlassung gemeinsam eine politische Forderung positionieren oder gleichzeitig politische Entwicklungen kritisieren. Das an sich ist ja schon ein deutliches Signal. Der deutsche Gesundheitssektor beschäftigt 4,5 Millionen Menschen. Wir haben erhebliche Sorgen, dass die Gesetzgebung, die im Moment auf den Weg gebracht wird, wenn sie so umgesetzt würde, zu massiven Verschlechterungen der Gesundheitsversorgung führen würde. Das ist offensichtlich weder beim Bundesgesundheitsminister so angekommen noch beim Bundeskanzler. Beide haben auf entsprechende Schreiben nicht reagiert. Möglicherweise ist auch das aktuelle Wahlergebnis bei der Europawahl auch die Quittung für eine aus Sicht der Bevölkerung verfehlte Gesundheitspolitik. Denn Gesundheitspolitik ist für viele Menschen sehr, sehr wichtig. Die medizinische Versorgung in Praxen und Krankenhäusern und Apotheken ist für die Menschen in diesem Land ein ganz wesentlicher Punkt und führt bei ganz vielen dazu, auch die politische Wahlentscheidung zu beeinflussen. Und von daher können wir unser Angebot nur erneuern. Wir stehen für konstruktive Diskussionen bereit, haben auch viele Verbesserungsvorschläge vorgebracht, mit denen die Gesetzgebung dann auch erfolgreich werden könnte. Und wir können nicht wirklich verstehen, warum man diese Vorschläge nicht aufgreift, und in die Diskussion tritt, sondern einfach vom grünen Tisch her diese Gesetzesvorhaben so anschiebt.

Ist Ihnen der Minister nicht in einigen Punkten entgegengekommen?

Die Punkte, in denen er uns wirklich entgegenkommt, sind mit unbewaffnetem Auge schwierig zu erkennen. Die Endbudgetierung ist ja nun kein wirklicher Punkt, in dem er uns entgegenkommen ist, sondern ein Versprechen aus dem Koalitionsvertrag, was seit drei Jahren nicht erfüllt ist. Noch ist es auch nicht Gesetz. Einige Dinge sind glücklicherweise etwas entschärft worden. Die Thematik der Vorhalte- und sonstigen Pauschalen muss eben deutlich differenzierter betrachtet werden. Und wir haben eine im Ansatz durchaus richtige Regelung, was die Regresse betrifft. Trotz alledem würde diese Regelung so nicht reichen. Deshalb haben wir auch hier noch eine kleine Ergänzung vorgeschlagen. Aber viele andere Dinge sind ganz und gar nicht entschärft, sondern sollen im parlamentarischen Verfahren erneut vorgebracht werden. Das sind die Primärversorgungszentren, das sind die Gesundheitskioske. Insofern muss man sagen, hat man fast den Eindruck, dieser Gesetzentwurf ist nur formal etwas entschärft worden, damit er überhaupt das Kabinett passiert. Es gibt aber unverändert die Positionierung des Gesundheitsministers, dass diese Dinge im Urentwurf auch wieder aufs Tapet kommen sollen. Und das sind Dinge, die wir klar ablehnen. Und von daher ist das parlamentarische Verfahren wirklich wichtig. Und die Abgeordneten des Deutschen Bundestages sollten sich ihrer Verantwortung hier wirklich bewusst sein, dass sie zum einen über die Versorgung der Menschen in diesem Land entscheiden und damit mittelbar, da Versorgung durch Praxen, Apotheken und viele andere inhabergeführte Strukturen auch sozialer Kit in unserer Gesellschaft darstellen, durchaus eine Verantwortung für diese Gesellschaft an sich haben, die ja erheblichen Zentrifugalkräften ausgesetzt ist. Und die Europawahlen geben ja nur einen ersten Vorgeschmack, was im Laufe des Jahres an der Wahlurne noch passieren kann.

Stichwort doppelte Facharztschiene: Die sieht der Minister ja kritisch…

Ja, doppelte Facharztschiene. Unfug wird nicht wahrer dadurch, dass man ihn häufig wiederholt. Die doppelte Facharztschiene ist so ein Scheintoter, vor vielen Jahren schon mal durchs Dorf getrieben. Wir haben in Deutschland keine doppelte Facharztschiene. Wir haben Krankenhausstrukturen, in denen natürlich auch Fachärzte beschäftigt sind, aber sehr viele Kolleginnen und Kollegen in Weiterbildung, also eben noch keine fertig weitergebildeten Fachärzte, während in der Niederlassung ausschließlich Fachärzte, entweder im Bereich der klassisch fachärztlichen Versorgung oder der Allgemeinmedizin, tätig sind. Interessanterweise wird die Facharztschiene als doppelt angesehen und soll abgeschafft werden, indem man die Fachärzte perspektivisch ans Krankenhaus verlagert. Gleichzeitig haben wir eine hausärztliche Grundversorgung, die hoffentlich niemand aus den Praxen verbannen will. Gleichzeitig etabliert der Minister aber hier die doppelte Hausarztschiene an den zukünftigen 115 G-Krankenhäusern. Wie das zusammenpasst, konnte mir noch niemand erklären. Es zeigt aber eine völlig andere Vorstellung von Versorgung als offensichtlich die Vorstellung, die der Rest der Bevölkerung dazu hat, denn die positioniert sich sehr klar und legt großen Wert auf die wohnortnahe Versorgung durch Haus- und Fachärzte in Praxen und hat wenig Interesse an Großstrukturen, die an Krankenhäusern angelagert sind, an Gesundheitskiosken, die eine Versorgung light darstellen. Insofern ist hier wirklich Umdenken erforderlich, sonst gehe ich davon aus, dass auch bei zukünftigen Wahlentscheidungen hier sehr deutlich gemacht werden wird, dass das nicht das ist, was die bundesdeutsche Bevölkerung mit ihrer Gesundheitsversorgung erreichen möchte.

Welche Rolle spielt die Selbstverwaltung derzeit noch?

Ja gut, die Selbstverwaltung ist im Prinzip der entscheidende Organisator der Versorgung in diesem Land. Das tun wir und insbesondere natürlich die regionalen KVen unverändert. Das machen sie auch im Wesentlichen sehr erfolgreich, das darf man nicht unterschätzen. Es ist ja nicht so, dass wir in Deutschland jetzt eine schlechte Versorgung hätten. Das ist nicht im ambulanten Bereich der Fall und ich würde auch sagen, dass die Versorgung im Krankenhaus im internationalen Vergleich nicht so schlecht ist. Sie ist aber in beiden Bereichen perspektivisch gefährdet und sie ist akut gefährdet durch die Gesetzgebung. Was wir brauchen, sind verbessernde Maßnahmen. Hier brauch es einen klaren Plan, das können durchaus auch kleine Schritte sein, die auch noch nicht mal alle immens viel Geld kosten, aber was wir brauchen, ist ein klares Bekenntnis zur Versorgung durch Praxen in der Fläche, inhabergeführt und nicht durch irgendwelche Großstrukturen, ob die nun Kommunen, Krankenhausträgern oder irgendwelchen Investoren gehören, ist am Ende des Tages egal. Das ist letztlich das gleiche Produkt und es ist dann wohlfeil sich die Investoren sozusagen als Feindbild zu generieren und zu sagen, das wollen wir nicht, gleichzeitig aber Kommunen als Träger der Gesundheitsversorgung oder Krankenhauskonzernen das Wort zu reden. Wir wollen eine Versorgung, die durch inhabergeführte Praxen stattfindet, ob das Einzelpraxen, Doppelpraxen oder arztgeführte MVZ sind, ist an der Stelle egal und hier erwarten wir ein klares Bekenntnis des Ministers und der Regierung zu dieser Versorgung, die in Deutschland seit vielen Jahrzehnten von den Menschen geschätzt wird.

Aber ist die Selbstverwaltung auch noch schlagkräftig?

Die Selbstverwaltung trifft ja jeden Tag Entscheidungen und viele dieser Entscheidungen haben durchaus erhebliche Tragweite. Sie geschehen nur häufig abseits vom Publikumsinteresse. Das ist ja auch gut und richtig so. Nicht alle diese Entscheidungsfindungen sind so furchtbar spannend für Außenstehende, aber natürlich sind die extrem relevant für die Versorgung und wenn die Selbstverwaltung am Ende des Tages nicht noch so gut funktionieren würde, sehe es ist in Deutschland tatsächlich anders aus, denn wir haben ja einen Stau an Problemen, die gesetzgeberisch bisher nicht angegangen werden. Wir haben jetzt zum Beispiel mit den gesetzlichen Krankenkassen einen weiteren kleinen Schritt in Richtung Förderung der Ambulantisierung getan mit Hygienezuschlägen. Dass man über das Ergebnis in der Höhe streiten kann, ist völlig klar. Wir empfinden es als deutlich zu niedrig, die Krankenkassen wahrscheinlich als fast schon zu hoch. Entscheidend ist aber, dass man trotz all dieser unterschiedlichen Positionen sich am Ende des Tages hat einigen können und das werden wir auch in Zukunft tun. Wir werden weitere Punkte, die uns wichtig erscheinen, mit den gesetzlichen Krankenkassen verhandeln im Rahmen der gemeinsamen Selbstverwaltung und ich glaube, da sind wir relativ einig mit den Kassen. Auch die schätzen die gemeinsame Selbstverwaltung als hohen Wert ein und fühlen sich, so habe ich es zumindest wahrgenommen, von der Politik hier an der Stelle auch nicht unbedingt unterstützt. Insofern werden wir das tun, was wir tun können und werden aber auch gleichzeitig die Forderung an die Politik herantragen, dass man dieses Erfolgsmodell der gemeinsamen Selbstverwaltung nicht versucht zu kannibalisieren, wie es ja einige unumwunden tun, sondern im Gegenteil zu stärken, weil das indirekt natürlich auch die Stärkung der Art und Weise ist, wie wir Gesundheitsversorgung in Deutschland organisieren.

Deshalb die Kampagne „Wir sind für Sie nah“?

Also die Kampagne soll ja sehr deutlich machen, welchen Wert die Praxen für die Versorgung darstellen, und das eben nicht nur aus Sicht der Kolleginnen und Kollegen, die die Praxen betreiben, sondern viel wichtiger aus Sicht der Patienten und die Aussage ist sehr eindeutig, muss man sagen. Die Patienten haben zum einen ein enorm großes Vertrauen in ihre Praxen, gleichzeitig haben sie eine enorm große Sorge, dass diese Praxen perspektivisch nicht mehr vor Ort sein werden und diese Sorge ist berechtigt und das muss man glaube ich in der Deutlichkeit auch nochmal herausstellen. Es ist eben nicht so, dass die Versorgung durch Praxen unkaputtbar ist, sondern das ist ein fragiles Konstrukt, das sind viele Einzelunternehmen und man darf nicht unterschätzen, viele dieser Unternehmer sind bereits in einem Alter 60 und älter, das heißt, deren Berufstätigkeit läuft einem Ende entgegen und es wäre wichtig, dass wir Nachwuchs gewinnen, die in diese Fußstapfen treten, das ist aber bei der unsicheren Gesamtkonstellation im politischen Raum verständlicherweise schwierig, insofern ist das ein weiterer Grund warum wir hier klare Richtungsentscheidungen und eine Zusage für die Praxen einfordern, damit eben junge Kolleginnen und Kollegen mit entsprechendem Vertrauen und Zusicherung den Weg in die Niederlassung gehen können, um diese Gesundheitsversorgung auch in Zukunft sicherzustellen.

Die Bevölkerung ist auch mit der Gesundheitspolitik der Bundesregierung nicht zufrieden. Dies haben aus Sicht von KBV-Vorstandsvorsitzendem Dr. Andreas Gassen die Ergebnisse der Europawahl gezeigt. Das Gesundheitssystem, sowohl ambulant als auch stationär sei in Gefahr. Diese Einschätzung teilten verschiedenste Verbände im Gesundheitswesen, was zuletzt in gemeinsamen Auftritten sichtbar wurde.