Logo-KBV

KBV Hauptnavigationen:

Sie befinden sich:

 
Stand 08.12.2023

Reden

Bericht von Dr. Stephan Hofmeister an die Vertreterversammlung

Rede des stellvertretenden KBV-Vorstandsvorsitzenden am 8. Dezember 2023

Sehr geehrte Frau Vorsitzende, liebe Petra, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,

ich begrüße Sie zur letzten Vertreterversammlung (VV) der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) in diesem Jahr. Sie sehen hier im Saal unsere Nikolausstiefel, über die Andreas Gassen schon gesprochen hat. Es geht auf Weihnachten und das Jahresende zu, und das soll ja die Zeit des Innehaltens und Reflektierens sein. Eine Gelegenheit, sich auf das Wesentliche zu besinnen und das Klein-Klein des Alltags ein Stück weit hinter sich zu lassen – oder zumindest mit etwas Abstand zu betrachten. Doch nicht nur aus dieser vorweihnachtlichen Stimmung heraus möchte ich zu Beginn meiner Rede gerne ein paar allgemeinere Gedanken mit Ihnen teilen, bevor ich noch einmal auf Themen unseres Versorgungsalltags zu sprechen komme.

Letztes Jahr um diese Zeit, auf der Dezember-VV 2022, habe ich gesagt, dass es angesichts des Kriegs in der Ukraine für mich nicht möglich sei, einen Bericht à la „Business as usual“ zu halten. Leider hat sich die Weltlage seither nicht verbessert, im Gegenteil. Sie ist in diesem Jahr eher ein Stück dunkler und trauriger geworden! Selbst unser sicheres und wohlhabendes Deutschland fühlt sich nicht mehr so sicher und nicht mehr so wohlhabend an, wie es Jahrzehnte lang der Fall war. Die Sorge um die Zukunft der gesundheitlichen Versorgung, die von vielen Menschen hierzulande bislang mehr geahnt als tatsächlich erlebt wird, diese Sorge ist nur eine von vielen. Viele vermeintliche Gewissheiten werden in diesen Zeiten erschüttert. Vielleicht ist Ihnen folgender Gedanke auch schon gekommen: Das Gefühl, dass die eigene Kindheit und Jugend im Großen und Ganzen sorgenfreier und unbelasteter war als die der jungen Generation heute, als die der eigenen Kinder und womöglich Enkel, das tut weh.

Das Erleben der scheinbaren Handlungsunfähigkeit der Regierenden und das eigene Gefühl der Ohnmacht sind für viele Menschen ein Problem. Im ungünstigen Fall führt dieses Gefühl zu Starre und Resignation oder aber zur Aggression. Die Folge ist Angriff statt Dialog, ist Konfrontation statt Reflexion. Absurderweise ist dabei heutzutage oft nicht ein Mangel an Kommunikation das Problem, sondern ein „zu viel“. Nämlich dann, wenn diese Kommunikation nicht mehr in Form eines Austauschs stattfindet, sondern in Form verbaler Schnellschüsse, oft salvenartig und – dank Social Media – mit maximaler Reichweite. Auf Aktion folgt umgehend Reaktion, eine differenzierte Betrachtung und Auseinandersetzung findet kaum noch statt. Dieses Phänomen erleben wir überall, im persönlichen Alltag ebenso wie in der Politik, sogar zwischen Staaten. Es gibt nur noch Schwarz und Weiß, wer nicht die eigene Meinung teilt, ist sofort ein Gegner; Radikalisierung ist die Folge und eine solche können wir derzeit in vielen westlichen Demokratien beobachten.

Ich bin sehr froh darüber, dass es uns als KV-System nach wie vor gelingt, anders miteinander umzugehen! Hier findet Dialog statt, und zwar im Dienst der Sache, nicht des Recht-Habens um jeden Preis. Wir sind nicht immer im Konsens, aber stets im Austausch, und darauf kommt es an. In schwierigen Zeiten wird man entweder sich selbst der Nächste oder man setzt auf die Gemeinschaft. Wir als Vertretung der Ärztinnen und Ärzte, Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten haben uns für Letzteres entschieden. Das zeigen die vielen konzertierten Aktionen, sei es der Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) oder von Berufsverbänden, die wir seit dem Spätsommer überall im Land sehen. Auch die Apotheken und ihre Verbände sind hör- und sichtbar, ebenso wie die Zahnärzte und die Medizinischen Fachangestellten.

Seit Ulla Schmidt, der Parteivorgängerin im Amt von Karl Lauterbach, beruft sich fast jeder neue Gesundheitsminister oder -ministerin auf deren Aussage, dass man in diesem Ressort immer „die Torte im Gesicht“ habe. Ich persönlich kann mich jedoch an keinen Minister erinnern, der es geschafft hat, sämtliche Akteure des Gesundheitswesens derart gegen die eigene Politik aufzubringen. Das liegt zum einen an den Inhalten. Noch mehr aber liegt es an der Art, wie Herr Lauterbach Politik macht und vor allem daran, wie er kommuniziert und von wem er sich beraten lässt. Er suggeriert Bürgernähe in Talkshows und mit seiner ständigen Präsenz auf Social Media. Gleichzeitig schafft er es, Politik auf einem fast ausschließlich theoretisch hergeleiteten, akademisch verbrämten Niveau zu betreiben. Was oft fehlt, ist der Abgleich mit der Realität. Und wenn dieser dann unvermeidbar kommt, wird es ein langer und mühsamer Prozess, der dazu führt, dass Gesetzentwürfe mehrfach angekündigt, wieder verworfen und neu verhandelt werden, während die Zeit davonläuft. Der Dialog mit denen, die Dinge tatsächlich umsetzen müssen und auch können, ist hingegen eher oberflächlich, teils von oben herab und er findet oft zu spät statt.

Papier ist bekanntlich geduldig, aber unsere Geduld ist endlich, Herr Minister Lauterbach! Was dieses Land jetzt braucht, sind weder Anbau-Clubs für Cannabis noch flächendeckende Gesundheitskioske. Was es jetzt braucht, ist ein Plan, wie die medizinische und psychotherapeutische Versorgung von morgen sichergestellt werden kann. Setzen Sie endlich die richtigen Prioritäten, gerade angesichts finanzieller Engpässe! Wir brauchen keine Phrasen und keine leeren Versprechen mehr, sondern Taten.

Anfang November hat der Minister uns als KBV-Vorstand im persönlichen Gespräch gesagt, er wolle unseren im Rahmen der Krisensitzung am 18. August und seither immer wieder artikulierten Forderungen „weiträumig entgegenkommen“. Wir wissen immer noch nicht, was das konkret bedeutet. Ein erster Lackmus-Test werden die von ihm schon lange angekündigten Maßnahmen zum Bürokratieabbau sein, wozu auch das Thema Wirtschaftlichkeitsprüfungen und Regresse gehört, zu dem Sibylle Steiner noch sprechen wird. Aus unserer großen Umfrage zur Lage in den Praxen wissen wir, dass 91 Prozent der befragten Ärzte und Psychotherapeuten sich durch die Vielzahl administrativer Aufgaben überlastet fühlen – bei den Hausärzten sind es sogar 94 Prozent.

Dieselben Zustimmungswerte ergeben sich bei der Frage, ob die durch Bürokratie und Digitalisierung verursachten Belastungen die Patientenversorgung einschränken. 85 Prozent der hausärztlichen Praxen sehen die Patientenversorgung insbesondere durch die Regressbedrohung gefährdet. Von unseren sieben Forderungen, die wir im August an den Bundesgesundheitsminister adressiert haben, ist der Bürokratieabbau diejenige, die von den hausärztlich tätigen Kolleginnen und Kollegen als die wichtigste erachtet wird, mit 90 Prozent Zustimmung.

Fast 32.000 Ärztinnen und Ärzte, Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten haben sich an der Umfrage beteiligt. Die Ergebnisse sind eindeutig und ganz sicher mehr als eine Momentaufnahme. Sie sind die Beschreibung eines Zustands, der schon viel zu lange anhält. Wenn Karl Lauterbach auch diese Stimmen aus der Praxis als Lobbygeschrei abtut, dann beweist er damit endgültig, dass ihn die ambulante Versorgung nicht interessiert.

Der Wunsch, „durchzuregieren“ und kritische Stimmen aus der Versorgung auszublenden, ist allerdings kein Spezifikum SPD-geführter Ministerien. Aus Baden-Württemberg kam kürzlich die Forderung, man müsse „das Dinosauriergremium Gemeinsamer Bundesausschuss (G-BA) überwinden und ein Primat der Politik herstellen“. Solche Äußerungen sind ein weiteres Indiz dafür, dass die gemeinsame Selbstverwaltung und ihre demokratischen Strukturen von den Regierenden zunehmend als lästig angesehen werden. Selbst die Regierungskommission zur Krankenhausreform stößt in dieses Horn. Weil der G-BA sich aus Einrichtungen der Selbstverwaltung zusammensetze, seien Interessenkonflikte programmiert, welche wiederum zulasten von Innovationen und Effizienz gingen, schreibt die Kommission in ihrer siebten Stellungnahme. An diesem Befund mag sogar etwas Wahres dran sein – wir wissen alle, dass die Mühlen des G-BA oft langsam mahlen und am Ende meist ein Kompromiss steht. Aber das ist nun einmal das Grundprinzip unseres demokratischen Systems: das Abwägen unterschiedlicher Positionen und das Aushandeln von Lösungen. Dass dieses Wesen von Demokratie und Selbstverwaltung durch gewählte Politiker in Zweifel gezogen wird, ist schon bemerkenswert und ein weiteres Indiz für die Sehnsucht nach einem staatlich organisierten System.

In seiner verspäteten Antwort auf unser Forderungspapier vom 18. August schrieb Minister Lauterbach bezogen auf die Finanzierungsverhandlungen zwischen KBV und GKV-Spitzenverband, das Ergebnis verdeutliche, „dass das Prinzip der Selbstverwaltung funktioniert und dieser Grundsatz auch weiterhin prioritär beizubehalten ist“. Diese Aussage scheint aber nur zu gelten, solange das Prinzip der Selbstverwaltung die Pläne der Politik nicht infrage stellt.

In dieses Muster passt auch die Beanstandung der vom G-BA entwickelten Richtlinie zur Ersteinschätzung in Notaufnahmen durch das Bundesminsiterium für Gesundheit (BMG), über die ich im September schon berichtet habe. Ein Fortkommen bei diesem Thema ist ebenso wenig absehbar wie eine Einigung bei der Krankenhausreform. Während Bund und Länder sich hier im Kompetenzgerangel verhaken, führen wir auf Ebene derer, die diese Versorgung auch tatsächlich liefern können, weiterhin Gespräche zur Reform des Bereitschaftsdienstes.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, während das von den Ländern geforderte Vorschaltgesetz zur Krankenhausreform wohl nicht kommen wird, hat das BMG konkrete Pläne, bei der ärztlichen Versorgung weiter abzuschichten und eine Art Vorschaltuntersuchungen in Apotheken zu etablieren. Diese sollen künftig verstärkt Untersuchungen auf Risiken für Herzkreislauf-Erkrankungen, Schlaganfall und Diabetes anbieten und die Kunden zu den Ergebnissen beraten. Dies ist ein weiterer Schritt, um Apotheken zu „Praxen light“ zu machen. Um es klar zu sagen: Es handelt sich hier um eine Bagatellisierung ärztlicher, in dem Fall insbesondere hausärztlicher, Versorgung – eine Bagatellisierung, die unverantwortlich ist und die wir nicht hinnehmen können!

Tatsächlich lehnen auch viele Apothekenvertreter die Pläne ab. Das Ganze ist ja auch völlig absurd: Auf der einen Seite verwässert Minister Lauterbach das pharmazeutische Kerngeschäft, indem die Anforderungen an die Apotheken vor Ort gesenkt werden und künftig etwa Filialen ohne approbierte Apothekerinnen und Apotheker, ohne Labor und ohne Notdienst möglich sein sollen. Gleichzeitig will er mit den eben beschriebenen medizinischen sogenannten Vorfelduntersuchungen die Apotheken „weiterentwickeln und zukunftsfähig machen“, wie es heißt. Diese Politik des Surrogats – auch Gesundheitskioske und Community Health Nurses fallen darunter – zieht sich wie ein roter Faden durch die aktuelle Gesetzgebung. Es werden immer neue Ersatz- und Parallelstrukturen ersonnen, statt Konzepte zur Stärkung des Vorhandenen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich noch ein paar Worte zur Entbudgetierung der hausärztlichen Versorgung sagen. Das BMG will einen entsprechenden Vorschlag mit dem schon lange angekündigten Versorgungsgesetz I vorlegen. Dieses befindet sich dem Vernehmen nach in der Ressortabstimmung. Eine Entbudgetierung nach dem Vorbild der Kinder- und Jugendärzte, wie sie das BMG vorsieht, ließe sich zügig umsetzen, die Blaupause hierfür existiert ja bereits. Natürlich wäre auch eine unbürokratischere Lösung möglich, Hauptsache ist jedoch, dass gegenüber der jetzigen hausärztlichen Vergütungssystematik keine Nachteile entstehen und kein hausärztliches Honorar verlorengeht. Auch hierfür gilt: Der Worte sind genug gewechselt, wir wollen Taten sehen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe eingangs erwähnt, dass wir zurzeit in vielen westlichen Demokratien eine politische Radikalisierung erleben, zuletzt bei unseren niederländischen Nachbarn. Im kommenden Jahr sind Europawahlen, die wir auch vor diesem Hintergrund sehr aufmerksam und kritisch beobachten werden. Wir beklagen zwar oft, dass Brüssel zu viele Dinge regeln will und teilweise eine Politik verfolgt, die wir nicht gutheißen. Ein aktuelles Beispiel ist der Umgang mit Gesundheitsdaten und die auch von Teilen des EU-Parlaments vertretene Position, solche Daten seien Gemeingut und müssten entsprechend maximal verwertet werden. Sollte es im kommenden Jahr jedoch einen Rechtsruck auch auf europäischer Ebene geben, droht ein völliges Abgleiten in die Dysfunktionalität der EU – und das wäre mit Sicherheit keine Lösung irgendeines Problems.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie im vergangenen Jahr will ich abschließend die Gelegenheit nutzen, den Mitarbeitenden der KBV für ihre Arbeit zu danken. Auch in diesem Jahr war es wieder eine tägliche Herausforderung, die sie mit Bravour gemeistert haben.

Ganz besonderer Dank gilt aber auch allen ärztlichen Kolleginnen und Kollegen, Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutinnen und -psychotherapeuten sowie allen Medizinischen Fachangestellten und weiterem Fachpersonal in den Praxen! Trotz der widrigen Rahmenbedingungen versorgen Sie tagein, tagaus die Menschen in unserem Land, und die allermeisten sind dankbar dafür. Gleichzeitig gilt auch, dass wir bei allem berechtigten Unmut über vieles, was hierzulande schiefläuft, diejenigen nicht vergessen dürfen, die in anderen Teilen Europas und der Welt unter ganz anderen, wirklich schrecklichen Bedingungen Ungeheures leisten: in Krankenhäusern und Praxen, die beschossen werden und wo es an allem Notwendigen fehlt, oder auch dort, wo es schon gar keine Krankenhäuser und Praxen mehr gibt.

Mit einem düsteren Blick auf das fast vergangene Jahr habe ich meine Rede begonnen. Weihnachten ist aber das Fest des Lichts und der Hoffnung und des Friedens! Und damit möchte ich enden, mit Hoffnung und dem Wunsch nach Frieden!

Ich wünsche Ihnen und Ihren Lieben ein gesegnetes Fest, kommen Sie gut und gesund in das neue Jahr.

(Es gilt das gesprochene Wort.)