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Stand 27.02.2020

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Kapitalinteressen in der Gesundheitsversorgung

Stellungnahme der KBV zur öffentlichen Anhörung "Kapitalinteressen in der Gesundheitsversorgung" am 4. März 2020

Die vertragsärztliche Berufsausübung war bis 2004 von der ausschließlichen Berufsausübung in Selbstständigkeit geprägt. Nach Nachweis der erforderlichen Qualifikationen erbringen Vertragsärzte und -psychotherapeuten mit der Zulassung zur vertragsärztlichen Berufsausübung persönlich ärztliche und psychotherapeutische Leistungen für ihre Patienten und rechnen diese Leistungen selbst gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung ab.

Dieser Grundsatz bedingt, dass sowohl die medizinische Leistung als auch ihre Trägerschaft in Personalunion erbracht werden. Für beide Bereiche, Patientenversorgung und Betrieb der Praxis bzw. Abrechnung der Leistung, übernehmen Ärztinnen und Ärzte unmittelbar Verantwortung, stehen dafür ein und haften entsprechend. Diese Rollenidentität prägt die vertragsärztliche Berufsausübung bis heute und begründet eine hohe Kontinuität einer persönlichen Versorgung durch Vertragsärzte und –psychotherapeuten. Eine der nachhaltigsten Investitionen in die Gesundheitsversorgung einer Region ist deshalb auch die Niederlassung eines selbstständigen Arztes mit in der Regel sehr langen Niederlassungszeiten.

Bedingt durch technischen Fortschritt und damalige Vorstellungen einer mit Effizienzerwartungen verbundenen marktwirtschaftlichen Orientierung der vertragsärztlichen Versorgung wurde 2004 dieser Grundkontrakt der Personenidentität von Leistungserbringung und Trägerschaft der Leistung aufgekündigt. Mit der Einführung medizinischer Versorgungszentren (MVZ) wurde die Trägerfunktion von der Funktion der Leistungserbringung getrennt und zunächst sogar die Aktiengesellschaft als Trägerin der erbrachten Leistungen zugelassen.

Der Gründerkreis wurde initial sehr weit gefasst und im Laufe der Jahre nach Erkennen von Fehlentwicklungen auf Vertragsärzte, zugelassene Krankenhäuser und wenige andere Organisationsformen eingeschränkt. Als zulässige Gesellschaftsform wurde die Aktiengesellschaft zurückgenommen, zwischenzeitlich ist die GmbH die häufigste Gesellschaftsform eines MVZ (2018: 2.050 von 3.173 MVZ – ohne gGmbH).

Zwischenzeitlich haben sich MVZ als eine Strukturvariante der Versorgung etabliert und bewährt. Zum 31.12.2018 waren bundesweit 3.173 MVZ zugelassen, in denen 19.740 Ärzte tätig waren (durchschnittlich 6,2 Ärzte pro MVZ) – was ca. 11 Prozent aller an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte entspricht. Mit dem GKV-Versorgungsstärkungsgesetz 2016 und der Zulassung fachgleicher MVZ hat eine neue Gründungswelle eingesetzt, ein Drittel aller MVZ sind zwischenzeitlich fachgleiche MVZ.

Wie zu erwarten war, wird die Möglichkeit, über den Kauf eines zugelassenen Krankenhauses bundesweit MVZ gründen zu können, genutzt. Mit 42 Prozent Anteil an der Trägerschaft aller MVZ stellen Krankenhäuser vor Vertragsärzten und sonstigen Trägern Ende des Jahres 2018 erstmals die größte Gruppe unter den MVZ-Gründungsberechtigten dar. Da Krankenhäuser in privater Trägerschaft zugelassen sein können, kann dies das Einfallstor für Hedgefonds und andere Investoren in die vertragsärztliche Versorgung darstellen.

Mit dem Kauf einer vergleichsweise kleinen Klinik wird die bundesweite Berechtigung zur Gründung von MVZ erworben, was einschlägige Geschäftsmodelle begründet. Unbenommen davon sind auch Konzentrationsprozesse insbesondere im spezialisierten und hochspezialisierten Bereich zu verzeichnen, die aus MVZs in der Trägerschaft von Vertragsärzten hervorgegangen sind und deren Größe eine Fortführung in traditioneller vertragsärztlicher, individueller Trägerschaft nahezu ausschließen. Der Begriff „Investor“ ist somit nicht scharf abzugrenzen und erschwert eine klare Zuordnung der MVZ.

Für alle Teilnehmer an der vertragsärztlichen Versorgung gelten die gleichen Struktur- bzw. Qualitätsvoraussetzungen der Leistungserbringung. Ärztliche und psychotherapeutische Kollegen und Kolleginnen erbringen in allen Zulassungsformen medizinische Versorgung, die von Patienten wertgeschätzt wird. Die Kassenärztlichen Vereinigungen überprüfen im Sinne der Gleichbehandlung die Qualitäts- und Abrechnungsvoraussetzungen erbrachter Leistungen bei allen Praxen und Einrichtungen und schreiten bei objektivierbaren Fehlern bis hin zum Betrug ein.

Exklusive systematische Hinweise, sowohl zum signifikant häufigeren Abrechnungsbetrug oder zur selektiven Auswahl eines spezifischen Leistungsspektrums von „Investoren-MVZ“ im Unterschied zu MVZ, die nicht von „Investoren“ geführt werden, liegen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) nicht vor. Auswertungen der KBV zeigen gleichwohl, dass MVZ überwiegend in verstädterten Gebieten anzutreffen sind, was angesichts der häufig spezialisierten Ausrichtung von MVZ wenig überrascht.

Ungleichbehandlungen von zugelassenen Vertragsärzten in Gemeinschaftspraxen oder Einzelpraxen ergeben sich hingegen aus systematischen Gesichtspunkten. Durch die Größe von MVZ und deren Integration in weitergehende Wertschöpfungsketten fällt es investorengestützten MVZ leichter, Vertragsarztsitze zu erwerben, als dies niederlassungswilligen Ärztinnen und Ärzten möglich ist.

Durch die überwiegend in Anstellung ausgeübte Tätigkeit kann in einem MVZ bei Ausscheiden eines Arztes/Ärztin problemlos die Nachbesetzung über die Einholung der Genehmigung für den Nachfolger erfolgen. Bei zugelassenen Vertragsärzten, die in Selbstständigkeit ihren Beruf ausüben, wird hingegen bei Nachbesetzung eine Überprüfung der Versorgungsnotwendigkeit des Vertragsarztsitzes vorgenommen und das Verfahren für die Nachfolge durch Ausschreibung geöffnet. Weiterhin ist die Haftungsfrage bei MVZ in genossenschaftlicher Trägerschaft ungleich weniger stringent gelöst als bei zugelassenen Vertragsärzten.

Um zu verhindern, dass weite Teile der vertragsärztlichen Versorgung in Großkonglomerate mit ausschließlich abhängig beschäftigen Ärztinnen und Ärzte überführt werden, hat die Kassenärztliche Bundesvereinigung deshalb in ihrer Stellungnahme zum TSVG Vorschläge zur Weiterentwicklung der einschlägigen Gesetzespassagen eingebracht. Zunächst aufgegriffene Reforminhalte wurden wider Erwarten im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens zurückgenommen (u. a. Begrenzung des Leistungsspektrums von Dialyse-MVZ auf Dialyseleistungen, Beschränkung des Leistungsspektrums von Krankenhaus-MVZ auf das Leistungsspektrum des gründenden Krankenhauses, Betriebsstätte des MVZ im Einzugsgebiet des Krankenhauses). Die KBV bekräftigt deshalb die in ihrer Stellungnahme vom 10.01.2019 vorgebrachten Reforminhalte.

Die Gründung von MVZ durch Kommunen wiederum erfolgt, wenig überraschend, sehr zögerlich. Nach den Statistiken der KBV sind zum 31.12.2018 vier MVZ in kommunaler Trägerschaft eingetragen. Eine Möglichkeit der Überführung kleiner Krankenhäuser in ambulante Strukturen kann hier möglicherweise in der näheren Zukunft eine sichtbarere Entwicklung bewirken.

Auch hier stellt sich jedoch die Frage, ob Kommunen in Anbetracht ihrer heute schon breiten Verantwortung für relevante Bereiche der Daseinsvorsorge, wie Bildung oder Nahverkehr, zusätzlich das Themenfeld ambulante ärztliche Versorgung in Eigenregie übernehmen wollen. In enger Kooperation mit der jeweiligen Kassenärztlichen Vereinigung und Zusammenschlüssen von Ärzten sind Modelle entstanden, die einen wirtschaftlichen Betrieb ambulanter Einrichtung zur Sicherung der Patientenversorgung ermöglichen. Insofern sollte der Eigenbetrieb von MVZ durch Kommunen auf diejenigen Fälle fokussiert werden, in denen Kommunen mit dem Ziel einer spezifischen Standortpolitik zusätzliche Versorgungsangebote investiv unterstützen und sich entsprechend einbringen wollen. Darüber hinaus gehende Anreize zur Etablierung kommunaler MVZ hält die KBV für nicht hilfreich.

Mit der Grundsatzentscheidung, Leistungserbringung und Trägerschaft zu entkoppeln und der Einführung anderer Formen der Trägerschaft als der des persönlich haftenden Arztes, wurden Entwicklungen in Gang gesetzt, deren Folgen ohne drastische Eingriffe derzeit schwer umkehrbar erscheinen.

Die KBV unterstützt in dieser Frage grundsätzlich alle Versuche, durch mehr Transparenz der Versorgungsformen und durch Schaffung gleichberechtigter Voraussetzungen für die Leistungserbringung durch selbstständige Vertragsärzte die individuelle, persönliche Prägung der vertragsärztlichen Versorgung konsequent zu erhalten.

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