Bericht von Dr. Andreas Gassen an die Vertreterversammlung
Rede des KBV-Vorstandsvorsitzenden am 1. März 2024
Sehr geehrte Frau Vorsitzende, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen!
„Es ist unstrittig, dass Deutschland, wenn es um das Gesundheitssystem geht, ein Entwicklungsland ist. Wir liegen – das wird unterschiedlich bewertet – 10 oder 15 Jahre zurück, nichts funktioniert.“
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wissen Sie, von wem diese Aussage stammt? Von niemand geringerem als dem für unser Gesundheitswesen zuständigen Minister, Herrn Prof. Lauterbach persönlich. Er stellte diese Diagnose bei der Haushaltsdebatte im Deutschen Bundestag Anfang Februar. Erst im weiteren Verlauf der Rede wird klar, dass er sich vor allem auf das Thema Digitalisierung bezieht, denn er sagte weiter: „Wir hatten kein E-Rezept, keine elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und keine elektronische Patientenakte. Die Daten konnten mithilfe der künstlichen Intelligenz nicht verwertet werden. Das alles hat nicht funktioniert.“
Ohne Frage ist Deutschland eigentlich nirgendwo mehr gut aufgestellt und tatsächlich eher der kranke Mann Europas. Die Verkehrsinfrastruktur liegt danieder, wir sind kaum verteidigungsfähig, was einen angesichts der zunehmenden Bedrohung durch Russland unruhig schlafen lässt. Die Industrie wandert zunehmend ab, die Wirtschaft lahmt, das Bildungssystem produziert zwar Abertausende Abiturienten mit einem Numerus Clausus von 1,0 oder besser, kommt aber aus den Negativschlagzeilen nicht heraus. Wir haben das niedrigste Wirtschaftswachstum der EU, aber ständig steigende Sozialausgaben. Interessanterweise wird diese Gesamtmisere von Mitgliedern der Bundesregierung eher selten thematisiert, sondern die Missstände werden ignoriert und schöngeredet, aber ausgerechnet das Gesundheitssystem identifiziert Karl Lauterbach als größte Baustelle.
Lieber Minister Lauterbach: Das Gesundheitswesen ist einer der wenigen Leuchttürme in unserem Land, noch funktioniert es sehr gut. Die Welt schaut mit Hochachtung auf diese Leistung. Aber wenn Sie so weitermachen, wird die Leistungsfähigkeit unseres Gesundheitssystems dem generellen negativen Trend nach unten folgen. Dass die geplante Gesetzgebung nicht wirklich der Weisheit letzter Schluss ist, zeigt das Cannabisgesetz: Kein Problem gelöst – viele neue geschaffen!
Die eben zitierte Aussage des Bundesgesundheitsministers ist noch aus mehreren anderen Gründen bemerkenswert.
Erstens: Die Qualität eines Gesundheitssystems bemisst sich Herrn Lauterbach zufolge am Vorhandensein einer elektronischen Patientenakte und am Einsatz künstlicher Intelligenz. Und nicht etwa an einem flächendeckenden und niedrigschwelligen Zugang zu ärztlichen und psychotherapeutischen Leistungen.
Zweitens: Der Minister redet in der Vergangenheitsform, als wären sämtliche Probleme mit der Digitalisierung Schnee von gestern.
Und drittens: Dank Herrn Lauterbach erwacht Deutschland aus dem Dornröschenschlaf und holt nun endlich alle gesundheitspolitischen Versäumnisse der drei vergangenen Legislaturperioden auf.
Bei der Anhörung im Petitionsausschuss des Bundestages am 19. Februar habe ich noch einmal die dringend notwendigen Änderungen angemahnt, die wir im letzten August gemeinsam verabschiedet haben, und auf die zunehmend prekäre Situation der Praxen hingewiesen.
Meine Ausführungen kommentierte der Minister wie folgt: „Viele der Bedenken, der Probleme, der Schwierigkeiten, die Kollege Gassen vorgetragen hat, möchte ich so bewerten: Das stimmt.“ Dann führte er weiter aus, es sei politisch „so viel liegen geblieben“ in den letzten 16 Jahren, deshalb seien es jetzt so viele Gesetze, die er machen müsse. Dabei übersieht er geflissentlich, dass seine Partei und auch er als Person an der Gesundheitspolitik der zurückliegenden Legislaturperioden – mit Ausnahme der schwarz-gelben Regierungskoalition 2009 bis 2013 –, zumindest aber während der vergangenen zehn Jahre durchaus maßgeblichen Anteil hatten, wenn auch nicht als ressortverantwortlicher Minister.
Viele der Regelungen, die er heute geißelt, hat er seinerzeit selbst mit initiiert, angefangen bei den Krankenhaus-DRG (Diagnosis Related Groups) bis zur Neupatientenregelung, die er als Minister kürzlich wieder abgeschafft hat. Jetzt zu rufen „Haltet den Dieb!“ erscheint da schon gewagt oder dokumentiert Gedächtnislücken, die wir ja auch schon von unserem Bundeskanzler kennen.
Aber sei’s drum. Entscheidender als der Blick zurück ist das Handeln nach vorn. Und da steht sich der Minister selbst im Weg. Durch den Hang, ein Vorhaben zwingend mit einem anderen zu verknüpfen, löst Lauterbach keine Probleme, sondern erschafft ständig neue. Man kann einen Stau eben nicht auflösen, indem man immer neue Fahrzeuge auf die Straße lässt. So geschehen bei der Verknüpfung der Krankenhausreform mit dem Transparenzgesetz, und ähnlich scheint es bei der hausärztlichen Entbudgetierung zu laufen.
Es würde die Mitarbeitenden im Bundesministerium für Gesundheit (BMG) einen Handstreich kosten, die Abschaffung der Budgetierung im hausärztlichen Versorgungsbereich nach dem Muster der Kinder- und Jugendärzte einfach im Rahmen eines Artikelgesetzes zu formulieren. Aber man hat Größeres vor. Die hausärztliche Vergütungssystematik soll von Grund auf reformiert und alles in das große Fass „Versorgungsgesetz I“ gekippt werden, bei dem immer noch keiner weiß, was alles darin ist. Es gibt bisher nämlich immer noch keinen Referentenentwurf. Und Herr Lauterbach sagt dazu lapidar, die Ärzte hätten jetzt schon 16 Jahre gewartet, da käme es auf vier Wochen mehr auch nicht an.
Wir warten aber nicht erst ein paar Wochen auf die Umsetzung dieses Versprechens, sondern mindestens schon, seit diese Regierung das Ziel der hausärztlichen Entbudgetierung explizit in ihren Koalitionsvertrag geschrieben hat!
Wir haben es mit einem rezidivierenden Phänomen zu tun: Ob bei dem Gespräch, dass wir als KBV-Vorstand in Folge der Aktion #PraxenKollaps im November 2023 mit dem Minister hatten, ob beim sogenannten Krisengespräch am 9. Januar im BMG oder am 19. Februar im Petitionsausschuss – die Ankündigungen und Zusagen bleiben stets das, was sie sind: bloße Ankündigungen.
Manch einer nennt es politischen Ehrgeiz, aus fast jedem Vorhaben eine Jahrhundertreform oder gar eine „Revolution“ zu machen, wie der Minister es auch gerne behauptet. Andere nennen es Realitätsverlust. Es wäre gut, wenn man vor lauter großen Plänen nicht vergisst, den ersten und dann auch die nächsten Schritte zu gehen. Das ist nicht kleinteilig, sondern wäre professionell. Und wir brauchen zwingend diese längst versprochenen ersten Schritte, um die ambulante Versorgung zu entlasten: nämlich die hausärztliche Entbudgetierung, die Abschaffung von Regressen und dann bitte auch endlich die Abschaffung der unsäglichen Sanktionen gegen Praxen, die im Zuge der Digitalisierung bestimmte Vorgaben oft nicht erfüllen können. Alle drei Maßnahmen wären schnell umsetzbare Maßnahmen für den Gesetzgeber. Und sie wären wichtige Schritte für die Praxen und damit wichtig für die Menschen in unserem Land, weil sie ein erster Schritt zur Sicherstellung der Versorgung wären!
Wir bräuchten nämlich keine Gesundheitskioske für „die Ärmsten der Armen in Stadtteilen, in denen wir keine Ärzte mehr haben“, wie Sie es formuliert haben, Herr Minister! Gestalten Sie die Rahmenbedingungen einfach so, dass Ärzte und Psychotherapeuten sich auch dort um die Menschen kümmern können, ohne dabei Gefahr zu laufen, selbst in finanzielle oder gesundheitliche Nöte zu geraten! Denn es ist gerade ein besonderes Merkmal unserer Gesundheitsversorgung, dass sie niederschwellig, unabhängig von Alter, Herkunft, Religion, Versichertenstatus und Einkommen allen Menschen offensteht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die mehr als 100.000 Praxen leisten dies bisher noch – aber wie lange noch? Im System der niedergelassenen Praxen leisten die Kolleginnen und Kollegen einen enormen gesellschaftlichen Dienst. Sie sind der letztlich verbliebene soziale Kitt in einer sich ändernden Gesellschaft. Einer Gesellschaft, die sich angesichts einer zusehends hilflosen Politik und schwieriger werdenden Rahmenbedingungen zunehmenden Zentrifugalkräften und dem Werben von Rattenfängern an den politischen Rändern, die vermeintlich einfache Lösungen propagieren, ausgesetzt sieht.
Das Gute an der Anhörung im Petitionsausschuss war, dass dort auch Parlamentarierinnen und Parlamentarier anwesend waren, die keine Gesundheitspolitiker sind und die nach unserem Empfinden ein echtes Interesse und in gewissem Sinne auch einen freieren Blick auf die Dinge hatten. Diese Abgeordneten machen in ihren Wahlkreisen nämlich genau die Erfahrungen, die wir seit Monaten artikulieren und vor deren Folgen wir warnen: Praxen ohne Nachfolger schließen, Öffnungszeiten müssen reduziert werden, da zu wenig Personal vorhanden ist und das noch verbleibende auf dem Zahnfleisch geht.
Dazu hier noch mal ein paar Aussagen ärztlicher Kolleginnen und Kollegen:
Eine Hausärztin aus Hamburg: „Wir können keine neuen Patienten mehr aufnehmen, weil bei uns zwei langjährig beschäftigte Medizinische Fachangestellte (MFA) gehen. (…) Wir finden keine Nachbesetzung, obwohl wir attraktive Arbeitszeiten und gute Tarifeingruppierung anbieten. So müssen wir sogar Praxiszeit und Angebot reduzieren.“
Eine Gynäkologin mit Gemeinschaftspraxis in Zwickau: „Wir können seit längerem bei gleichbleibenden Sprechzeiten und enormer Arbeitsdichte die Praxis nur noch im Defizit betreiben.“
Ein Hausarzt aus Eisenberg in Rheinland-Pfalz: „Wir (heute ein Arzt, fünf MFA) hatten 140 Patienten in vier Stunden am Morgen. Dies bedeutet 35 Patientenkontakte pro Stunde! Da musst du ‚nervlich kerngesund‘ sein.“1
Ein Kinder- und Jugendarzt aus Berlin: „Wir hatten im 4. Quartal 2022 nach zwei Monaten 2.160 Kinder in der Praxis gesehen. Der Berliner Kinderärztedurchschnitt liegt bei knapp 1.100 pro Quartal. Ich habe also doppelt so viele Kinder in zwei Monaten gesehen. Das geht an die Substanz ...“2
Das sind keine düsteren Zukunftsszenarien; das ist die Beschreibung des Ist-Zustands, das ist hier und jetzt! Und deshalb muss Politik jetzt handeln! Denn jede Praxis, die schließt, ist für die Versorgung der Menschen verloren.
Allein um die Versorgung auf dem heutigen Niveau aufrechtzuerhalten, bräuchten wir jedes Jahr durchschnittlich 2.500 Ärztinnen und Ärzte, die freiwerdende Praxissitze übernehmen. Damit die Kolleginnen und Kollegen das aber wieder tun, erwarten sie zu Recht vernünftige Rahmenbedingungen. Bis 2040 fehlen sonst kumuliert rund 40.000 Kolleginnen und Kollegen. Da können wir als KBV und Kassenärztliche Vereinigungen (KVen) noch so sehr werben, Förderprogramme ausloben und dergleichen mehr. Die Grenzen der Möglichkeiten der Sicherstellung sind bald erreicht, in manchen Regionen sind sie schon überschritten.
Und deswegen brauchen wir jenseits der einfach umzusetzenden Sofort-Maßnahmen, die ich vorhin erwähnt habe – Entbudgetierung zunächst der Hausärzte, wie vor mehr als zwei Jahren versprochen, Abschaffung sämtlicher Regresse sowie Digitalisierungssanktionen – weitere grundlegendere Veränderungen. Dazu gehört eine Anpassung der Preissystematik in der vertragsärztlichen Versorgung, die es ermöglicht, den Orientierungswert an aktuelle wirtschaftliche Entwicklungen anzupassen. Denn die Steigerungen allein der letzten drei Jahre entsprechen – trotz des jüngsten „Rekordabschlusses“ im Bewertungsausschuss 2023 – weniger als der Hälfte, teilweise gar nur einem Drittel anderer Vergleichswerte wie etwa dem Veränderungswert der stationären Vergütung, der Entwicklung der Grundlohnsumme, der Verbraucherpreise oder des Tarifvertrags für die MFA.
Glücklicherweise werden wir den jüngsten Tarifabschluss der MFA von 7,4 Prozent dieses Jahr direkt in die Verhandlungen für 2025 einpreisen können. Das heißt jedoch nicht, wie manch einer gerne behauptet, dass wir schon allein aufgrund dieses Abschlusses eine Anpassung des Orientierungswerts (OW) von sieben Prozent geltend machen können. Denn die Personalkosten machen lediglich einen Anteil von 23 Prozent am Gesamtergebnis der OW-Anpassung aus. Damit ist schon jetzt absehbar, dass die Niedergelassenen unter der geltenden Systematik auch im kommenden Jahr die zu niedrige Anpassung des OW nicht werden aufholen können.
Während die Krankenhäuser, und zwar auch solche, die erkennbar keine Zukunft haben, über den gerade von Bund und Ländern beschlossenen Transformationsfonds weitere 50 Milliarden Euro erhalten sollen – neben den etlichen Milliarden, die sie in der Vergangenheit bereits zugesprochen bekommen haben –, müssen wir als Vertragsärzte uns ständig vorhalten lassen, dass mit 46 Milliarden Euro ja wohl mehr als genug Geld für den ambulanten Bereich zur Verfügung stünde. Um es nochmal für alle politisch Verantwortlichen deutlich zu machen: Wir reden von 46 Milliarden Euro für die gesamte ambulante Versorgung der gesetzlich Versicherten mit 560 Millionen Behandlungsfällen versus 88 Milliarden Euro – also fast das Doppelte – für die stationäre Versorgung mit weniger als 17 Millionen Behandlungsfällen (2022).
Überdies scheinen auch manche Kassenvertreter über die Vergütungsregularien nicht ausreichend Bescheid zu wissen. Wie sonst ist zu erklären, dass der ehrenamtliche Vorsitzende des Verbands der Ersatzkassen (vdek) die Erwartungshaltung der Krankenkassen gegenüber den Ärzten jüngst mit folgendem Vergleich formuliert haben soll: „Wenn Sie beim Tischler einen Auftrag geben, erwarten sie Leistung und dafür wird bezahlt.“3
Stimmt! Der Tischler liefert aber über das bestellte und bezahlte Möbelstück hinaus kein weiteres ohne Geld!
Diese peinliche verbale Entgleisung eines ehrenamtlichen Kassen- und früheren Gewerkschaftsfunktionärs war ein echtes Eigentor. Sie zeigt, wie weit sich mancher von den Realitäten in diesem Land bereits entfernt hat! Vielleicht ist derjenige aber auch einfach nicht richtig informiert oder fehlt ihm das Verständnis, die Informationen angemessen zu verarbeiten. Nicht genug damit, dass Kassenverbände die Tatsachen unter den Tisch kehren oder nicht verstehen, sie erdreisten sich sogar, zusätzliche Forderungen gegenüber der Ärzteschaft zu erheben. So hat eben jener vdek eine Erhöhung der Mindestsprechstundenzeiten auf „mindestens“ 30 Wochenstunden verlangt. Hierzu ein Zitat einer Hausärztin aus Bad Segeberg: „Ich arbeite im Schnitt 50 bis 60 Stunden die Woche, weil wir neben der Sprechstunde, Hausbesuchen, Telefon- und Videosprechstunden mit der ganzen Bürokratie und den Telematikinfrastruktur-Umstellungen einfach nicht fertig werden. Ich bin jeden Sonntag noch mal drei bis vier Stunden in der Praxis, um Renten-Anträge, Reha-Anträge, Arbeitsamtsanfragen, Anfragen der Krankenkassen und so weiter zu beantworten.“ Die meisten Ärztinnen und Ärzte hätten liebend gern mehr Zeit für ihre Patientinnen und Patienten – aber nur, wenn dafür im Gegenzug vieles von dem wegfiele, was die Kollegin beschreibt und was nichts mit der eigentlichen medizinischen oder psychotherapeutischen Versorgung von Patienten zu tun hat.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Mut zum großen Wurf, zur „Revolution“, die der Minister so gerne für die Krankenhausreform, für seine Digitalisierungsvorhaben, ja sogar für die Cannabisfreigabe reklamiert, der fehlt an anderer Stelle umso schmerzhafter, etwa bei der Ambulantisierung, die bekanntermaßen ja ebenfalls als Ziel im Koalitionsvertrag festgeschrieben ist. An die Ausgestaltung des Paragrafen 115f SGB V, der sektorengleichen Vergütung für ambulantisierbare Leistungen, sind wir mit großen Erwartungen herangegangen, das Ergebnis ist bislang enttäuschend. Der Startkatalog ist deutlich zu klein, und von den berühmten gleich langen Spießen für Krankenhäuser und Niedergelassene kann längst nicht die Rede sein, nehmen Sie nur das Thema Sachkosten, um ein Beispiel zu nennen. Derzeit laufen die dreiseitigen Verhandlungen zur Erweiterung des Katalogs. Geprüft werden dabei unter anderem endoskopische Galleneingriffe. Das sind alles kleinteilige und von unterschiedlichen Interessenlagen geprägte Beratungen, so dass es vermutlich noch einiger Geduld bedarf, bis dieser Bereich der Versorgung tatsächlich im Praxisalltag ankommt.
Die Abrechnung über die KVen ist bei Leistungen nach Paragraf 115f SGB V bekanntlich fakultativ. Damit kommt ein weiterer ambulanter Versorgungsbereich hinzu, bei dem wir als KV-System keinen umfassenden Einblick in das Leistungsgeschehen haben, wie auch schon beim ambulanten Operieren am Krankenhaus, bei Leistungen von Institutsambulanzen et cetera Vertragsärztliche Sicherstellung wird zunehmend erschwert, wenn der Gesetzgeber den KVen sukzessive und in immer größeren Teilen die Grundlage für die Erhebung und Verarbeitung relevanter Daten entzieht.
Dennoch gilt die Erwartungshaltung gegenüber dem KV-System in Sachen Sicherstellung unvermindert fort und wird immer dann besonders betont, wenn wir diesbezüglich auf Probleme hinweisen. Gleichzeitig entzieht Politik uns immer weiter die notwendigen Voraussetzungen für die Sicherstellung. Das mag man als Funktionärsdebatte abtun, aber mittlerweile ist es weit mehr als das. Wir sind an einem Punkt angekommen, an dem die politisch Verantwortlichen tatsächlich selbst ihrer Verantwortung gegenüber den Patientinnen und Patienten gerecht werden müssen und nicht alles auf die Selbstverwaltung schieben können, vor allem, ohne ihr die dafür nötigen Instrumente und Möglichkeiten zu geben. Sonst ist die Sicherstellung in Kürze eine „mission impossible“.
Noch, Herr Minister Lauterbach, ist Deutschland kein Entwicklungsland in Sachen Gesundheit! Sorgen Sie dafür, dass das so bleibt. Verhindern Sie, dass durch die drohende Erosion der ambulanten Versorgung in diesen fragilen Zeiten nicht noch ein weiteres Loch in das gesamtgesellschaftliche Sicherheitsgefühl gerissen wird! Unsere Vorschläge liegen auf dem Tisch. Für substanzielle und zielorientierte Gespräche stehen unsere Türen für Sie immer offen! Für eine reine Ankündigungspolitik, die den Patientinnen und Patienten in der ambulanten Versorgung überhaupt nicht hilft, stehen wir aber nicht mehr zur Verfügung!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte schließen mit einem weiteren Zitat: „Was auch immer wir tun, wir können so nicht weitermachen. Da kann man den Kopf in den Sand stecken; da kann man Bierzeltreden halten. Aber damit lösen wir nicht ein einziges Problem. Wir müssen uns den Problemen stellen …“. Auch dieses Zitat stammt von Herrn Lauterbach. Gesagt hat er es genau heute vor einer Woche in der Plenardebatte zum Cannabisgesetz. Bei der Anhörung im Petitionsausschuss des Bundestags sind Stephan Hofmeister und ich gefragt worden, welche Schulnoten wir für die Arbeit des Bundesgesundheitsministers vergeben würden. Wäre diese Rede von Herrn Lauterbach zum Cannabisgesetz ein Schulaufsatz gewesen, müsste man wohl sagen: Richtige Analyse, Thema leider verfehlt.
Vielen Dank.
(Es gilt das gesprochene Wort)
1Kurznachrichtendienst X, @drmigurr, 12.02.24
2Ärztenachrichtendienst, 04.02.2024, https://www.aend.de/article/227303
3Ärztenachrichtendienst vom 24.01.2024, https://www.aend.de/article/227131