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Stand 06.05.2024

Reden

Bericht von Dr. Andreas Gassen an die Vertreterversammlung

Rede des KBV-Vorstandsvorsitzenden am 06. Mai 2024

Sehr geehrte Damen, sehr geehrte Herren,

Herzlich willkommen auch von mir zur Sitzung der Vertreterversammlung der KBV hier in Mainz – aus gegebenem Anlass heute mit späterem Beginn, dazu gleich mehr.

Den Film, den wir eben gesehen haben, haben Millionen Menschen in ganz Deutschland in den vergangenen Wochen im öffentlich-rechtlichen und im Privatfernsehen gesehen. Ebenso wie eine zweite Version, welche die Patientenperspektive spiegelt. Beide Spots sind der vorläufige mediale Höhepunkt unserer gemeinsamen Kampagne „Wie sind für Sie nah.“ Die Filme sprechen für sich. Sie zeigen, was die ambulante Versorgung in Deutschland – noch – ausmacht und was auf dem Spiel steht, wenn die entsprechenden Strukturen wegbrechen, oder besser gesagt: absichtlich weggebrochen werden.

Diese Sorge ist leider sehr konkret und berechtigt. Laut einer großen Umfrage des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung überlegen 61 Prozent der Ärzte und Psychotherapeuten aufgrund der aktuellen Rahmenbedingungen, früher als geplant ihre Praxis aufzugeben; betrachtet man die Ärzteschaft allein, sind es sogar 70 Prozent. Sie sind „nah am Leben – und nah am Aufgeben“, wie es auf einem unserer Kampagnenmotive heißt.

Am 22. April haben wir die Kampagne offiziell im Rahmen einer Pressekonferenz gestartet. Dabei waren auch Frau Dr. Mattern, gynäkologische Kollegin aus Berlin, sowie Herr Schaps, Hausarzt aus Wilhemshaven, die selbst bei der Kampagne mitgemacht haben und ihre Motivation hierzu eindrücklich vor der Presse schilderten.

Dass sie mit diesem Bedürfnis nicht allein sind, zeigt die Tatsache, dass wir binnen kurzer Zeit über 300 Bewerbungen von niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten sowie Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten erhalten haben, die sich gerne aktiv vor der Kamera für die Kampagne engagieren wollten. An dieser Stelle noch mal vielen Dank an alle, die ihre Unterstützung angeboten haben!

Auf der Kampagnen-Website „www.rettet-die-praxen.de“ finden sich Videos und O-Töne der Kolleginnen und Kollegen sowie Zahlen, Daten und Fakten zur Situation in den Praxen.

Kurz vor dem Start der Kampagne hat das Meinungsforschungsunternehmen Civey Ende März/Anfang April über 5.000 gesetzlich Versicherte befragt. Über 62 Prozent, also fast zwei Drittel, sahen, dass die Praxen sich aktuell in einer Notlage befinden. Die ambulante Versorgung hat für die Bürgerinnen und Bürger eine sehr hohe Bedeutung: Fast 90 Prozent bewerteten dieses Thema als wichtig oder sehr wichtig. Diese Botschaft sollten alle verantwortlichen Politiker hören und ernst nehmen.

Die Hälfte der Befragten macht sich Sorgen darüber, dass die von ihnen genutzte Praxis in naher Zukunft schließen könnte. Dabei ist es für die allermeisten Menschen, nämlich 86,3 Prozent der Befragten, sehr wichtig, eine Praxis in Wohnortnähe zu haben. Diese Nähe ist ein entscheidendes Kriterium bei der Wahl eines Arztes oder einer Ärztin. Bemerkenswert ist, dass etwas mehr als die Hälfte der Befragten angibt, das Thema wohnortnahe ärztliche Versorgung durch Praxen sei ein wichtiger Punkt bei der Wahlentscheidung für oder gegen eine Partei.

Leider scheint das den politisch Verantwortlichen, vor allem im Bundesministerium für Gesundheit (BMG), entweder nicht klar oder aber schlicht egal zu sein. Der Minister produziert mit seinen Gesetzesvorlagen ständig nur Pseudo-Lösungen – oder schafft gar neue Probleme, wie jetzt mit dem sogenannten Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG).

Kürzlich gab es Vorwürfe an das Umwelt- und das Wirtschaftsministerium, wonach sachliche Hinweise zum Atomausstieg absichtlich unter den Tisch gekehrt und ignoriert worden seien, weil politisch eine andere Entscheidung gewollt war. Wer das gestrige Interview mit Karl-Ludwig Kley, ehemaliger Aufsichtsratsvorsitzender von E.ON, zu diesem Thema gelesen hat, wird hieran kaum noch zweifeln können. 

Was ich weiß, ist, dass unsere Hinweise zur Verbesserung der ambulanten Versorgung vom BMG in weiten Teilen konsequent ignoriert werden. Möglicherweise passt hier auch die versorgungspolitische Realität nicht zur politischen Ideologie. Zwar sind neue arztersetzende und zentralistische Strukturen wie die Gesundheitskioske oder Primärversorgungszentren aktuell erst einmal raus aus dem Gesetzentwurf zum GVSG. Sie können aber davon ausgehen, dass das BMG versuchen wird, diese durch die Hintertür wieder reinzubekommen, als Verhandlungsmasse im parlamentarischen Verfahren. Denn für das, was der Minister vorhat, braucht er Kioske und andere pseudomedizinische Strukturen, die er dann mit der omnipotenten künstlichen Intelligenz (KI) für die medizinische Primärversorgung ertüchtigen will.

Taktische Überlegungen oder schlichte Geringschätzung muss man wohl auch bei der Festsetzung des heutigen Anhörungstermins zum GVSG unterstellen. Es fällt schwer zu glauben, dass das zeitliche Aufeinandertreffen just mit dem ursprünglichen Start unserer Vertreterversammlung reiner Zufallskomik oder planerischer Inkompetenz geschuldet ist.

Bereits am Montag vergangener Woche hat die Anhörung zum Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) stattgefunden. Ein Highlight! Es waren 200 Teilnehmende bei dieser Online-Anhörung zugeschaltet. Man hat den Termin von ursprünglich 120 auf 180 Minuten verlängert. Damit blieben jedem Verband rechnerisch 54 Sekunden zur Positionierung. Deutlicher kann man als Gesetzgeber eigentlich nicht zeigen, dass einem eine solche Anhörung völlig egal ist.

Wir als KBV haben in unserer Stellungnahme zum KHVVG zum wiederholten Mal deutlich gemacht, dass die Sektoren nicht isoliert voneinander zu betrachten sind, sondern dass ein Umbau der Krankenhauslandschaft mit einer Ertüchtigung der ambulanten Versorgung und entsprechenden Investitionen einhergehen muss. Leider scheint die gesundheitspolitische Realität das BMG nicht mehr zu interessieren. Unsere Vorschläge verhallen ungehört.

Und wir lesen die Entwürfe sehr genau. Exemplarisch ist uns Folgendes aufgefallen: Die vom BMG angestrebte Errichtung eines Transformationsfonds beim Bundesamt für Soziale Sicherung, um Vorhaben der Länder zur Umstrukturierung von Krankenhausstandorten zu fördern, könnte tatsächlich rechtswidrig sein. Dieses Vorhaben verstößt gegen Regelungen zum EU-Beihilferecht, weil es – wieder einmal – eine einseitige finanzielle Förderung der Krankenhäuser vorsieht und damit die ungleichen Wettbewerbsbedingungen zum Nachteil der Praxen weiter verschärft. Ein mittlerweile vorliegendes Rechtsgutachten bestätigt diese Auffassung. Staatliche Subventionen für Tätigkeiten der Krankenhäuser im ambulanten Bereich sind demnach rechtswidrig, weil sie den Wettbewerb der Marktteilnehmer unzulässig beeinflussen.

Aber was soll´s? Die Krankenhausreform ist in den Worten des Ministers „too big to fail“, womit er wahrscheinlich meint: alternativlos. Deshalb glaubt er wohl auch, das Ganze einfach durchziehen und die Bedenken nahezu aller Akteure im Gesundheitswesen ignorieren zu können. Und seine Ambitionen gehen noch weiter. Kürzlich hat er den „Generalumbau unseres Gesundheitswesens“ angekündigt. Darunter macht er’s nicht mehr. Meines Erachtens ist das für die Menschen in unserem Land durchaus auch als Drohung zu verstehen.

Tatsächlich listet das BMG derzeit 15 Gesetze auf, die möglichst noch vor der Sommerpause in knapp zwei Monaten ins Kabinett sollen, darunter das GVSG, das Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz, das Gesetz zur Errichtung einer Digitalagentur, ein Apothekenreform-Gesetz, die Notfallreform, ein Gesundheitssicherstellungsgesetz, das Gesundes-Herz-Gesetz, ein Patientenrechtegesetz sowie das bereits seit über zwei Jahren angekündigte Bürokratieentlastungsgesetz. Die Entbürokratisierung müsse „dramatisch“ ausfallen. Wir sind gespannt. Die Zeit wird jetzt natürlich knapp. Die Politik hat halt 2,5 Jahre für die bahnbrechende Cannabislegalisierung verschwendet. Der Rest muss dann jetzt im Hauruckverfahren finalisiert werden. Die Prioritätensetzung erstaunt den geneigten Betrachter allerdings schon.

Einen wesentlichen Beitrag zur Entlastung von Bürokratie erhofft sich das BMG künftig vom Einsatz der KI – ein neues Spielfeld, das Minister Lauterbach als wissenschaftliches Hobby für sich entdeckt hat. Nach eigenen Aussagen hat er sich hierin mittlerweile eine beachtliche Kompetenz erworben und sich eingelesen. Niemand zweifelt an den Einsatzmöglichkeiten von KI, vor allem wenn es um Verwaltung und Dokumentation geht oder bei wissenschaftlichen Fragestellungen, bei denen große Datenmengen durchsucht werden müssen. In vielen Bereichen der Medizin wird KI längst als unterstützendes Tool genutzt, ohne darüber viel Aufhebens zu machen.

Herr Lauterbach sieht die KI jedoch als aktiven Part in der Arzt-Patienten-Interaktion, etwa beim ärztlichen Gespräch. Die Spracherkennungssoftware könne die Kommunikation mit den Patienten mitverfolgen, alles Wichtige direkt in die elektronische Patientenakte übertragen und parallel auch gleich selbst eine Überweisung ausstellen, schwärmt der Minister – quasi „Alexa“ in der Praxis. Vielleicht werden dann in naher Zukunft die Diagnosen je nach Schweregrad von der KI gleich noch mit passender Musik unterlegt.

Liest man dann allerdings gleichzeitig aktuelle Meldungen über Studien, die vor gefährlichen Hackerangriffen auf zunehmend digitalisierte Autos und damit einhergehende Gefahren für die Insassen warnen und wenn etliche Automobilhersteller ganze Modellreihen einstellen, da die Cybersicherheit dieser Fahrzeuge nur mit unwirtschaftlich hohem Aufwand zu realisieren wäre, dann kann man angesichts dieses unkritischen Technologie-Enthusiasmus eines Gesundheitsministers zumindest nachdenklich werden.

Automobilexperten empfahlen Cybersicherheit jüngst nicht umsonst als „unerlässlichen Hygienefaktor“ in der Autoproduktion. Das sollte doch wohl erst recht für den Gesundheitsbereich gelten. Ganz abgesehen davon mutet es etwas wirklichkeitsfremd an, Deutschland als Vorreiterland in Sachen Digitalisierung und KI im Gesundheitsbereich etablieren zu wollen, solange das elektronische Rezept unverändert immer wieder Probleme macht und es immer noch keine vernünftige digitale Netzabdeckung hierzulande gibt.

Dennoch lautet das neue Motto von Herrn Lauterbach „KI in all policies“; in allen neuen Gesetzen will er KI mitdenken. Wir wären schon froh, wenn das BMG sich erst einmal auf die Qualität und Konsistenz der Gesetze konzentriert – vielleicht könnte KI ja dabei helfen?

Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch wenn Karl Lauterbach sich gerne zukunftsorientiert gibt und immer wieder beteuert, er wolle die Versorgung in den Praxen stärken, sind das, freundlich formuliert, reine Lippenbekenntnisse. Der Minister hat andere Pläne. So hat er kürzlich, zufällig in die Diskussion um das GVSG hinein, einen alten Hut aus der gesundheitspolitischen Mottenkiste geholt: die sogenannte doppelte Facharztschiene. Solche Doppelstrukturen in Klinik und Praxis könne man sich nicht länger leisten, meint der Minister. Muss man eigentlich auch nicht – die gibt es nämlich gar nicht.

Fachärztliche Leistungen, die in Praxen stattfinden, können die Krankenhäuser schon aus personellen Gründen meist gar nicht mehr erbringen und der medizinisch-technische Fortschritt trägt seinen Teil zu dieser Verlagerung bei. Alle Welt geht den Weg einer stärkeren Ambulantisierung der Versorgung. Damit ist aber nicht gemeint, überflüssige Krankenhausstandorte zu pseudo-ambulantisieren, um sie am Leben zu erhalten. Niemand würde freiwillig als Ärztin oder Arzt in diesen Strukturen bleiben oder gar dorthin wechseln. Das hat man offensichtlich, vielleicht KI-unterstützt, erkannt und die Lösung ist schon skizziert.

Plötzlich kommt auch die Krankenhauskommission mit diesem „Untoten“ um die Ecke und sekundiert artig dem Minister. In ihrer jüngsten Stellungnahme fabuliert die Kommission darüber, wie die „doppelte Facharztschiene“ zu überwinden sei. Nämlich indem „nicht primärärztliche Fachärztinnen und Fachärzte nur noch an oder in Kooperation mit Krankenhäusern“ tätig sein sollen. Hier seien verschiedene Modelle denkbar, durch die „eine selbstständige Facharzttätigkeit weiterhin möglich sei“.

Das ist dann schon irgendwie großzügig. Auch sei „nicht in allen Fällen eine ausschließliche Tätigkeit von Fachärztinnen und Fachärzten auf dem Krankenhauscampus sinnvoll“, heißt es weiter. Alle, die unser Gesundheitssystem kennen, werden einwenden, dass eine ausschließlich im Krankenhaus stattfindende fachärztliche Versorgung in den meisten Fällen nicht sinnvoll ist.

Die haus- und fachärztlichen Praxen bewältigen über 550 Millionen Behandlungsfälle jährlich in ihren angeblich „überflüssigen Doppelstrukturen“. Es dürfte interessant werden, wie diese Leistungsmenge an dann verbliebene Krankenhausstandorte verlagert werden soll – Strukturen, die aktuell insgesamt 14 Millionen Fälle stationär versorgen und knapp neun Millionen im Notdienst.

Eine der größten Errungenschaften des deutschen Gesundheitswesens ist die wohnortnahe niedrigschwellige haus- und fachärztliche sowie psychotherapeutische Versorgung durch mehr als 100.000 Praxen. Das sehen die Bürgerinnen und Bürger ganz genauso und sie werden sich hier auch nicht für dumm verkaufen lassen.

Der Wunsch, die stationär fehlenden Kolleginnen und Kollegen sozusagen zwangsbeglückend in die Krankenhäuser zu holen, zeigt schon ein besonderes Verständnis unseres Gesundheitswesens. Es ist zwar verständlich, dass man gerne mehr weitergebildete Kollegen im Krankenhaus hätte, dafür aber das ganze System abzuwracken, ist schon speziell.

Eigentlich sollte es ja nicht verwundern, dass eine Krankenhauskommission ausschließlich vom Krankenhaus her denkt. Dieser einseitige Blick hilft den Krankenhäusern aber auch nicht. Wir brauchen leistungsstarke stationäre Strukturen, die stationäre Grund- und Maximalversorgung verlässlich anbieten. Dafür brauchen sie eine vernünftige Finanzierung und Planungssicherheit, aber nicht eine Zuteilung neuer Aufgaben, die anderswo bereits effizienter und besser erbracht werden.

Als Begründung ihrer Überlegungen führt die Kommission ernsthaft an, dass in den allermeisten Gesundheitssystemen der Welt rein ambulant und losgelöst von Krankenhäusern arbeitende Arztpraxen auf den primärärztlichen, das heißt ohne Überweisung tätigen Bereich beschränkt seien. Im Gegenzug zur „Verstationierung“ der fachärztlichen Versorgung müsse auch hierzulande das Primärarztsystem ausgebaut werden bis hin zu der Überlegung, eine primärärztliche Steuerung in der GKV verpflichtend zu machen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, solche Einlassungen sind entlarvend. Es ist offenkundig, dass Teile der Politik, und zwar konkret die aktuelle Leitung des BMG, einen kompletten Systemwechsel wollen. Karl Lauterbach sagt ja auch unverblümt, dass er das ganze Gesundheitssystem umkrempeln will. Die Krankenhäuser werden immer weiter für ambulante Leistungen geöffnet. Da es dort aber viel zu wenige Fachärztinnen und Fachärzte gibt, sollen die inhabergeführten Praxen abgewickelt werden und als erster Schritt die fachärztliche Versorgung als reine Angestelltenstruktur ans Krankenhaus gebunden werden. Als nächstes folgt dann die hausärztliche Versorgung.

Kioske bilden in dieser schönen neuen Welt in Kooperation mit „community health nurses“ und den umgewandelten Krankenhäusern nach Paragraf 115g (neu) sowie zusätzlich neu gegründeten primärärztlichen Versorgungszentren die Struktur für den ersten Patientenkontakt – natürlich KI-unterstützt.

Allgemeinmediziner werden in dieser Welt nur noch an Level-Ii-Krankenhäusern oder sektorübergreifenden Versorgungszentren – oder wie auch immer die Buden dann heißen mögen, die bereits heute als Krankenhäuser nicht mehr gebraucht werden – weitergebildet und dort tätig sein. Steuern tut dann je nach Kassenlage und Justierung die KI, die das sowieso alles viel besser kann als Ärztinnen und Ärzte und Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten.

Es ist offensichtlich, welche Ideologie und welches strategische Ziel dahinterstehen: nämlich eine Zentralisierung unseres Gesundheitswesens nach skandinavischem oder britischem Vorbild und die Vernichtung der wohnortnahen Grundversorgung in inhabergeführten Praxen. Die Praxen in der im GVSG geplanten Art und Weise in Einheitsstrukturen zu zwingen und diejenigen, die das nicht wollen, ganz aus der Versorgung herauszudrängen, ist daher nur logisch. Die Praxis um die Ecke wird damit zum Relikt – oder zur privatärztlichen Option für Besserverdienende wie etwa im NHS-gebeutelten Großbritannien.

Tatsächlich stellt sich die Frage, welches dieser Modelle das eigentliche Relikt ist. Der Sachverständigenrat für Gesundheit hat in seinem aktuellen Gutachten erneut den Abbau von Überkapazitäten im stationären Sektor, die Reduktion von Belegungstagen sowie eine Ausweitung der sektorengleichen Vergütung angemahnt, um die Ambulantisierung zu fördern und damit die personellen und finanziellen Ressourcen besser einzusetzen.

Die Weiterbildung spielt in dem Gutachten auch eine Rolle. Der Rat empfiehlt beispielsweise, Weiterbildungsabschnitte für bestimmte Facharztgruppen verpflichtend im ambulanten Sektor durchzuführen, um die Ambulantisierung voranzutreiben. Das macht auch durchaus Sinn. Objektiv weniger Sinn macht es, Krankenhäuser, die im Rahmen der geplanten Reform als in alter Form nicht mehr notwendig erachtet werden, mit allen möglichen Trostpflästerchen zu versorgen und sie ersatzweise zu Schwerpunktzentren der Weiterbildung für Allgemeinmedizin, sektorübergreifende Versorgung et cetera zu machen, anstatt die freiwerdenden personellen und finanziellen Ressourcen sinnvoll einzusetzen.

Wer soll denn an diesen Häusern die Weiterbildung der Kolleginnen und Kollegen fachlich kompetent übernehmen? Wer soll sektorübergreifend auch im Bereich des ambulanten Operierens tätig werden?

Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch wir haben das Thema ärztliche Weiterbildung in den zurückliegenden Monaten intensiv bearbeitet. Die Gesamtzahl der weiterbildenden Vertragsärztinnen und -ärzte ist in den letzten drei Jahren (2021 bis 2023) um mehr als 2.000 gestiegen, auf derzeit über 18.270. Die Zahl der Weiterzubildenden ist um mehr als 2.500 gestiegen auf jetzt über 18.800.

Außerhalb der allgemeinmedizinischen Weiterbildung gibt es derzeit rund 8.900 Weiterbilderinnen und Weiterbilder sowie rund 9.200 Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung. Den größten Zuwachs verzeichnen die allgemeinen fachärztlichen Gebiete wie Urologie und Dermatologie sowie die Kinder- und Jugendmedizin. Das ist eine erfreuliche Entwicklung; es zeigt sich aber auch, dass die bisherigen Finanzmittel zur Förderung der fachärztlichen Weiterbildung absehbar nicht ausreichen werden.

Im Dezember hatte die Vertreterversammlung deshalb den Antrag gestellt, Vorschläge für eine Reform der Struktur und Finanzierung der ambulanten Weiterbildung von Hausärzten, Fachärzten und Psychotherapeuten zu erarbeiten. Seither haben wir sowohl mit den fachärztlichen Vorständen der Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) als auch mit den Psychotherapeuten intensiv über die Thematik und mögliche Lösungsansätze, für die wir als KBV Vorschläge erarbeitet haben, beraten. Bei den Hausärzten zeichnet sich eher wenig Änderungsbedarf am derzeitigen Förderungsmodell ab.

Die Diskussion mit Ihnen ist in vollem Gange, aber, wie Sie wissen, noch nicht abgeschlossen, da viele Faktoren und mögliche Auswirkungen zu bedenken sind. Wir bleiben gemeinsam dran und werden weiter darüber berichten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein weiteres Gesetz in der umfangreichen BMG-Vorhabenliste, die ich eingangs erwähnt habe, ist das sogenannte Gesundheitssicherstellungsgesetz. Es zielt darauf ab, unser Gesundheitswesen für große Katastrophen und auch militärische Konflikte besser zu rüsten. Das ist sicher aller Ehren wert und angesichts des Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine leider auch ein Gebot der Vernunft. Gelingen kann das aber nur, wenn man politisch bereit ist, aus Fehlern der letzten großen Krise, der Corona-Pandemie, zu lernen. Kürzlich hat die Bundesregierung den Expertenrat „Gesundheit und Resilienz“ einberufen als Nachfolgegremium des früheren Corona-Expertenrats, der im April 2023 zum letzten Mal getagt hat.

Das neue Gremium ist thematisch breiter aufgestellt und soll sich mit Fragestellungen der öffentlichen Gesundheit, Prävention und Innovation befassen, aber auch mit den Auswirkungen des demografischen Wandels auf das Gesundheitssystem et cetera. Tatsächlich sind in dem neuen Expertenrat wieder viele Professorinnen und Professoren vertreten, die die Bundesregierung schon in der Pandemie beraten haben. Und genau wie damals müssen wir feststellen, dass auch in diesem Beratungsgremium kein einziger Vertreter aus der ambulanten Versorgung sitzt. Die Praxis, im wahrsten Sinne des Wortes, scheint für die Bundesregierung auch an dieser Stelle verzichtbar – das fügt sich aber trefflich ins Gesamtbild.

Wenn das Gesundheitssicherstellungsgesetz ähnlich gut gemacht ist wie der Rest aus dem Hause BMG, dann empfehle ich Nähkurse für alle – damit sind Sie in der Lage, weiße Fahnen herzustellen, die wir dann im Ernstfall brauchen werden. Dieses Ergebnis kann sich aber keiner wünschen. Es kann nicht länger darum gehen, Visionen Einzelner umzusetzen, die nur jemand entwickeln kann, der von täglicher Vor-Ort-Versorgung und den Bedarfen der Menschen in unserem Land offensichtlich keine Ahnung hat.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen und werden unsere Patienten informieren, was droht. Vier Wahlen allein in diesem Jahr werden auch zur Abstimmung über die Art und Weise, welche Gesundheitspolitik die Menschen in diesem Land wollen.

Unsere Patientinnen und Patienten wollen keine KI-gelenkte Staatsmedizin, sondern die Sicherung ihrer bewährten Versorgung in ihren haus- und fachärztlichen und psychotherapeutischen Praxen. Diese Praxen sind nicht zuletzt wertvoller sozialer Kitt in einer Gesellschaft, die zunehmend auseinanderfällt. Die Praxen sind das Sinnbild eines Versorgungsversprechens für die Menschen in diesem Land.

Diese Versorgung wird in ihrer Gesamtheit von ärztlichen und psychotherapeutischen Praxen, von zahnärztlichen Praxen, Apotheken und Krankenhäusern komplementär gewährleistet. Jeder hat in dieser Versorgungslandschaft seine Schwerpunktaufgaben und alle brauchen sich gegenseitig. Die Pläne zum Umbau des Gesundheitswesens, die jetzt ruchbar werden, sind geeignet, diese gemeinsame Versorgung zu zerstören. Den Schaden werden die Menschen in unserem Land haben.

Deshalb fordern wir den Minister dringend auf: Vergraben Sie Ihre Papiere zum Umbau des deutschen Gesundheitswesens wieder in den Kellern, in denen sie lagen, seit Ulla Schmidt das BMG verlassen musste. Staatsmedizin war und ist eine Totgeburt. Sie schafft eine gewaltige Benachteiligung, gerade von Menschen, die unser Gesundheitssystem besonders brauchen! Daher Hände weg, lieber Herr Minister Lauterbach, von ihren radikalen Reformplänen zum Umbau der ambulanten Versorgung. Die Erfahrung des ärztlichen Alltags zeigt: Sie werden scheitern!

(Es gilt das gesprochene Wort)

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