Logo-KBV

KBV Hauptnavigationen:

Sie befinden sich:

 
Stand 06.12.2024

Reden

Bericht von Dr. Stephan Hofmeister an die Vertreterversammlung

Skript der Rede des stellvertretenden KBV-Vorstandsvorsitzenden am 06. Dezember 2024

Sehr geehrte Frau Vorsitzende, liebe Petra,

liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

sehr geehrte Damen und Herren,

Sie sehen mich ohne Papier zum Pult laufen. Ich habe lange überlegt im Vorfeld und konnte mich nicht überwinden, einfach einen Bericht wie immer abzugeben. Warum? Seit drei Jahren ungefähr stehen wir hier und sagen bei jeder Vertreterversammlung, das Gesetz könnte kommen, könnte auch nicht kommen, es könnte so werden, könnte schlimm werden.

Heute müsste ich Ihnen sagen: Wie Sie sehen, sehen Sie nichts. Ich habe fertig. Das wäre eine sehr kurze Rede. So einfach möchte ich es Ihnen nicht machen. Ein bisschen Gedanken habe ich mir gemacht. Ich glaube aber, heute ist es mir lieber, ich spreche zu Ihnen aus dem Herzen, aus dem Bauch. Das ist ein gewisses Risiko. Und der eine oder andere Journalist freut sich vielleicht, wenn ich irgendwo entgleise. Ich versuche, mich zu beherrschen.

Um den Bogen ganz weit aufzuspannen: Wir haben noch immer zwei fürchterliche Kriege, nicht weit entfernt von uns. Beide durch Aggressoren ausgelöst und unter beiden Kriegen leiden unendlich viele Menschen. Der eine, das wissen Sie, in der Ukraine, der andere im Mittleren Osten. Für beide sind wir nicht ursprünglich verantwortlich. Möglicherweise. In beide sind wir in irgendwie mindestens entfernt involviert. Und beide sollten uns zeigen, wie fragil die Welt ist, in der wir leben und mit welchen ernsthaften Problemen sich andere Menschen in unserer Nähe auseinandersetzen müssen. Und das relativiert für mich im Alltag und auch im Dialog, zum Beispiel mit meinen inzwischen erwachsenen Kindern, immer wieder sehr stark die Themen.

Ich bin deswegen froh, dass wir die Aufarbeitung der Verbrechen der Kassenärztlichen Vereinigung Deutschlands (KVD), mit Ihnen zusammen gemeinsam über viele Jahre jetzt zu einem musealen Neubeginn gebracht haben, nämlich zu einer Ausstellung, die in Zukunft weltweit sogar per Internet angeschaut werden kann. Der Titel ist nicht von mir, es ist ein Buchtitel, aber die „Banalität des Bösen“ ist das, was mir sofort eingefallen ist, wenn man guckt, wie dort die Aktenordner sauber und ordentlich, in deutscher Manier, bürokratisch sozusagen, dieses Furchtbare dokumentieren – und wie langsam auch die Ärzteschaft immer weiter reinrutscht und nicht nur Mitläufer, sondern ganz klar Mittäter ist.

Und wir alle stehen immer, ich bin da immer so ein bisschen ambivalent, auf dem Deutschen Ärztetag und schwören unseren hippokratischen Eid. Ich stehe da und denke „Naja, ist schon richtig“, aber offenbar hat ihn da die große Mehrheit vergessen. Ich finde dieses Gedenken deshalb unendlich wichtig und bin froh, dass wir das machen. Das muss lebendig bleiben in unseren Köpfen. Und uns muss klar sein, dass wir nicht, weil wir Ärztinnen und Ärzte oder Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten sind, gefeit sind, bei solchen Dingen nicht nur zuzuschauen, sondern mitzumachen. Und deswegen dieses große Bild.

Jetzt will ich mich ein bisschen wieder konzentrieren auf das, was uns wirklich betrifft. Eine Sache aber noch, die in dem Zusammenhang wichtig ist und die ich nicht verhehlen möchte. Frank Dastych, du hast es gestern auch mal angesprochen, die Bundesärztekammer (BÄK) kümmert sich auch inzwischen darum: das Thema Resilienz.

Wenn ich über solche Krisen spreche, die nicht weit von uns stattfinden, dann muss uns inzwischen auffallen, wenn durchgeschnittene Datenkabel, brennende Eisenbahnen, Knotenpunkte und Angriffe auf die Charité oder auch die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) stattfinden, dass wir längst in einer Auseinandersetzung sind und das Thema Resilienz und die Frage, ob wir nicht auch als Gesundheitswesen, als ambulantes, damit zu tun haben müssten und uns wenigstens Gedanken machen müssten, was da möglicherweise auf uns zukommt.

Man hat das in Corona gesehen, man hat es im Ahrtal gesehen, punktuell oder auch systemisch. Dann meine ich, wird es höchste Zeit, dass wir uns, auch wir als Funktionäre in unseren Institutionen, damit beschäftigen müssen, ob wir auch nur ansatzweise auf so etwas vorbereitet sind. Die Alternative ist Vogel-Strauß-Politik: Kopf in den Sand und so tun, als käme es nicht, das wäre Biedermeier. Ich halte das für angemessen, dass wir uns im nächsten Jahr auch mit diesen Themen intensiv auseinandersetzen.

Wenn wir jetzt zurückschauen auf die Gesundheitspolitik und das ist ja nun mal unser Auftrag und unsere Aufgabe, dann war es zu Beginn der Ampelkoalition so, dass auch ich, der vielleicht sehr kritisch betrachtet hat, ob diese drei Parteien zusammengehören und ob das gehen kann angesichts der optimistischen, geposteten Bilder am Anfang mit den fröhlich sich Umarmenden, gedacht hat, vielleicht muss ich meine Vorurteile zur Seite legen, vielleicht machen die mal etwas Neues, disruptiv, wer weiß schon.

Und dann kam Cannabis und danach nur noch Unsinn. Ob es da einen ursächlichen Zusammenhang gibt, weiß ich nicht. Da müsste man vielleicht mal eine Studie machen – liegt aber irgendwie auf der Hand.

In der Gesundheitspolitik ist aus meiner Sicht etwas passiert, was für uns absolut schädlich ist. Es ist nämlich ideologisch gearbeitet worden. Und Andreas Gassen hat schon gesagt, ich stehe hier auch als Hausarzt, deswegen sage ich es noch mal: Es ist bitter enttäuschend, wenn eine Sache, die eindeutig im Koalitionsvertrag geregelt ist und die am Beispiel der Kinderärzte ganz leicht exekutierbar war – zum Glück, für die Kinderärzte völlig richtig und gut – nicht klappt, weil man etwas überlädt mit komplett systemändernden ideologischen Vorstellungen, die alle auch noch mit durchmüssen. So funktioniert weder Politik noch das reale Leben.

Und Ideologie hat bei uns im Gesundheitswesen nichts zu suchen. Die funktioniert nicht. Wir brauchen pragmatische Lösungen. Wir brauchen kein neues Gesundheitssystem, wir brauchen evolutionäre Weiterentwicklung.

Und dazu gibt es uns. Deswegen hat man einmal die Selbstverwaltung mit all ihren Komplikationen und Schwierigkeiten. Und die ist umständlich und für die Politik nicht gut kontrollierbar, das kann ich alles verstehen, aber hier sitzen lauter Fachleute. Und ich will nicht nur uns ansprechen. Auch alle da draußen, alle niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen mit ihren Teams, zeigen doch jeden Tag, dass es geht. Die haben Ideen, die machen das. Und wir sehen in Corona, dass sie sogar zu Hochleistung fähig sind, zu Leistungen, die über das hinausgeht, was sie sowieso schon jeden Tag stemmen müssen, befähigen. Und dass sie auch da sind, wenn man sie alle braucht.

Und deswegen ist es für mich ganz wichtig, dass wir uns in einer hoffentlich dann neuen Bundesregierung und auch neuen Parlament durchsetzen können und Gehör finden zu sagen, „lasst uns doch einige wenige Dinge machen, lasst uns nicht an allen Rädern gleichzeitig drehen“. Und hört auf die Vorschläge, hört auf das, was wir liefern können. Denn wir sind doch so, dass wir sagen, das ist machbar und bisher auch geliefert haben, was wir für machbar erklärt haben.

Und wenn wir zu irgendwas sagen „Das ist nicht machbar, 24/7-Fahrdienst, landauf, landab“, dann ist das auch so. Wer soll es denn machen? Das ist schon bemerkenswert, wenn dieselben Politikerinnen und Politiker an der Vier-Tage-Woche rumdenken und an verkürzter Lebensarbeitszeit und ansonsten noch Work-Life-Balance-Gesetzen für Arbeitnehmer, gleichzeitig aber für die Praxen „Samstag, Sonntag, 24/7“ reinschreiben.

Das gilt offenbar für uns alle nicht und für unsere Praxis-Teams. Wo die Leute herkommen sollen und warum solche milden Gesetze und Vorgaben für weniger Arbeit für uns nicht gelten, hat sich mir noch nie erschlossen. Also auch das ist eine Sache, an die wir unbedingt ranmüssen. Mit weniger Arbeit wird man nie mehr Leistung bekommen. Das ist ein völlig unsinniger Weg.

Wenn ich in die Gesetzgebung schaue, was wir alles nicht bekommen, dann wird mir mein Herz gar nicht so schwer. Bei manchen Gesetzen kann man ganz erleichtert sagen, das hätten wir sowieso nicht gebraucht. Gut, dass es nicht kommt. Aber es gibt andere Dinge, die wir gebraucht hätten und die auch Stand heute, wenn man nicht die Arbeit verweigern würde, im Parlament immer noch machbar wären. Dazu gehört weiterhin die hausärztliche Endbudgetierung. Die könnte jederzeit noch mit einem Gesetz durchgeschoben werden, denn es gab ja eine Mehrheit dafür.

Dazu gehört zum Beispiel die Zurückschneidung der Wirtschaftlichkeitsprüfungen. Auch das war Konsens, breiter Konsens, sogar bei der Opposition. Das war völlig unstrittig. Kostet auch nichts, wäre auch technisch noch möglich, in irgendeinem Omnibus-Pizza-Gesetz mit durchzuschieben.

Genauso die für uns zugesagte, und wir haben ein Jahr gerungen, um einen Kompromiss bei Hubertus Heil in seinem Ministerium, der übrigens nie mit uns gesprochen hat. Nie. Das war ihm irgendwie nicht wichtig genug, sondern immer nur sein Staatssekretär. Aber dort haben wir mühsam und unter vielen Schmerzen bei uns allen einen Kompromiss errungen. Zudem aber zwei wesentliche, wenn nur kleine, aber wesentliche Änderungen in den Gesetzen notwendig sind. Auch die bräuchten wir ganz dringend, um Sicherheit zu haben in der Fortführung des ambulanten Bereitschaftsdienstes. Auch die kommen vermutlich nicht mehr, obwohl es technisch durchaus noch möglich wäre. Das ist für mich Arbeitsverweigerung und völlig inakzeptabel und das ist nicht im Sinne der Bürgerinnen und Bürger und der Bevölkerung Deutschlands, sondern das ist reine Selbstbeschäftigung.

Und so wie die Praxen, die jeden Tag aufstehen und hart arbeiten, wie sie ihre Patientinnen und Patienten versorgen. So wie die Selbstverwaltung, und ich meine damit wirklich alle, die Freiwilligen, die Ehrenamtlichen, die Hauptamtlichen, die Mitarbeitenden in der KBV, in den KVen ihre Arbeit machen, um die Gesundheitsversorgung aufrechtzuerhalten in Deutschland. So erwarte ich von einer Regierung und von Parlamentariern, dass sie ihre Arbeit machen. Dafür werden sie bezahlt, dafür sind sie gewählt.

Wenn wir dann weiter schauen, was jetzt kommen könnte, dann ist die große Hoffnung ja nicht, dass wir eine völlig neue Politik kriegen. Das geben die Fragen oder die Hochrechnungen im Moment überhaupt nicht her. Ob es nun die Wiederauflage einer großen Koalition gibt oder vielleicht Schwarz-Grün, rechnerisch ist im Moment kaum etwas anderes vorstellbar.

Dann erwarten wir ja nicht, dass dadurch jetzt ganz große Veränderungen kommen. Und Petra Reis-Berkowicz hat vorher schon gesagt, die Politik wird sicher im Schwerpunkt andere Themen haben. Das wird die innere wie äußere Sicherheit sein. Das wird natürlich die Wirtschaft sein mit allem, was dranhängt. Das wird die Frage der Zuwanderung sein. Und die Gesundheit kommt vielleicht nur unter ferner liefen.

Das muss gar nichts Schlechtes sein, weil, ich hatte es vorher schon gesagt, ideologische Gesundheitspolitik und eine Grundumkehr im deutschen Gesundheitswesen sind nicht hilfreich. Vielleicht hilft es also, wenn wir gar nicht ganz vorne mit dabei sind. Auf der anderen Seite gibt es ja dringende Notwendigkeiten, nachzubessern, nachzusteuern und zu korrigieren.

Und so bin ich ausgesprochen dankbar, dass wir gestern in einem ersten Aufschlag gemeinsam erste klare Punkte identifizieren konnten und das im Januar auch weiter tun werden, um dann einer neuen Bundesregierung und auch neuen Parlamentariern, es werden sehr viele neue Parlamentarier sein, dann Vorschläge, konkrete Vorschläge machen zu können, was wir brauchen, damit wir die ambulante Versorgung aufrechterhalten können, optimieren können, und die Abwanderung, hier geht es ja nicht um eine Erweiterung, es geht ja erst mal darum, die Abwanderungstendenz zu stoppen.

Und es gibt keine preiswertere, wohnortnahere und menschennähere Versorgung als die ambulante Versorgung. Das ist, glaube ich, unter keinen Experten umstritten. Das ist völlig eindeutig und im Zusammenwirken mit den Krankenhäusern, die auch Planungssicherheit brauchen und natürlich auch wissen müssen, wohin die Reise geht, lässt sich da etwas machen. Und wir sind längst so weit, dass wir diese Zusammenarbeit auch fördern und fordern. Allerdings natürlich unter gleichen Voraussetzungen. Ich werde jetzt kein Referat zur Ambulantisierung halten.

Nun komme ich aber zu meinem vorletzten Punkt. Eines der Dinge, die mich bewegt hat in den Jahren dieser Legislatur und auch des Gesundheitsministers Karl Lauterbach, ist, dass viele Begriffe, die wir benutzen, erobert wurden und verändert wurden.

Dazu gehört zum Beispiel der Begriff Ambulantisierung: Das, was wir uns darunter vorstellen und was in den Gesetzentwürfen, die nun größtenteils nicht kommen, drinsteht, ist nicht Ambulantisierung. Das ist schlicht eine Öffnung der Krankenhäuser zu ungleichen Konditionen. Das hat nichts mit Ambulantisierung zu tun, auch für die Hausärzte. Andreas Gassen hat schon gesagt, die Öffnung der kleinen Krankenhäuser, die subventioniert sind, da, wo es genug Hausärzte gibt, und dann auch noch die hausärztliche Weiterbildung im Krankenhaus. Das ist eine Perversion des Systems. Das ist keine Ambulantisierung. Man hat uns den Begriff gestohlen. Wir müssen uns fast einen neuen Begriff ausdenken, denn der ist politisch belegt. Und so geht es mit einer ganzen Reihe anderer Begriffe auch, die wir ursprünglich mal identifiziert haben, als Dinge, die anzugehen sind.

Die sind einfach belegt worden, die sind genutzt worden in eine andere Richtung und haben jetzt eine völlig andere Konnotation und sind damit fast verbrannt. Und deswegen brauchen wir auch eine ganz intensive Auseinandersetzung für uns damit, wie wir auf den nächsten Gesetzgeber zugehen und mit welcher Begrifflichkeit wir arbeiten.

Das mag sehr spitzfindig klingen, aber es ist tatsächlich eine der Sachen, die Karl Lauterbach gelungen ist. Und Andreas, du hast es vorher so schön gesagt: Karl Lauterbach hat Diagnosen gestellt, die zum Teil gar nicht falsch sind. Da habe ich nachgedacht und gedacht „Naja, er hat ja Medizin studiert, und vielleicht war er da auch sehr gut“. Und vielleicht ermöglicht das tatsächlich auch, Diagnosen zu stellen. Er hat aber nie Menschen therapiert und deswegen sind seine Therapien einfach schlecht.

Und damit komme ich zum Schluss. Andreas, noch einmal, auf den ich mich beziehe, du bist heute für mich ein Lieferant für viele Dinge gewesen. Du bist gefragt worden in einer Anhörung zu einem Gesetz, was du dir wünschen würdest, wenn du drei Wünsche frei hättest, und hast zurecht gesagt, dass es eine merkwürdige, fast schon obskure Frage in einer Anhörung zu einem Gesetz ist.

Ich habe mir dann überlegt, wir sind in der Vorweihnachtszeit, was hätte ich für drei Wünsche. Ich will nicht zu pathetisch werden. Ich wünsche wirklich den Menschen, die von Krieg und Terror bedroht sind, dass der Rest der Welt zusammensteht und Lösungen findet. Ich wünsche mir gesundheitspolitisch, dass die nächste Regierung und das nächste Parlament sich rückbesinnt und auf uns hört und zur Kenntnis nimmt, dass wir können und wollen, wenn man uns lässt. Und ich wünsche Ihnen allen, mit Ihren Familien, mit Ihren Praxisteams eine gesegnete Advents- und Weihnachtszeit und freue mich auf die weitere Zusammenarbeit im neuen Jahr.

Vielen Dank

(Es gilt das gesprochene Wort.)

Download