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Stand 07.03.2025

Reden

Bericht von Dr. Stephan Hofmeister an die KBV-Vertreterversammlung

Rede des stellvertretenden KBV-Vorstandsvorsitzenden am 07. März 2025

Sehr geehrte Damen, sehr geehrte Herren,

Heute vor einer Woche, und damit früher als erwartet, sind Union und SPD in die Sondierungen für eine mögliche Regierungskoalition eingestiegen. Fast zeitgleich, nämlich am 1. März, ist das nach dem Bruch der Ampel schon totgesagte Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG) in einer Minimalversion in Kraft getreten. Wider Erwarten hatten sich SPD, Grüne und FDP kurz vor Ende der Legislatur nach vielem anhaltenden Drängen aller Beteiligten doch noch auf eine Entbudgetierung der hausärztlichen Vergütung geeinigt. Der GKV-Spitzenverband bezeichnete den Beschluss als eine „zusätzliche Honorarerhöhung“ für die Hausärzteschaft. Auf diese Formulierung gehe ich gleich noch ein.

Diverse Kassenvertreter postulierten die Erwartung, dass es damit auch „mehr Leistungen“ von Hausärzten geben müsse. Und Gesundheitsminister Lauterbach verkündete prompt, dass es „nun einfacher wird, Termine zu bekommen“.

Dass der AOK-Bundesverband sich nicht zu schade ist, die Rückabwicklung jeglicher Entbudgetierung zu verlangen, auch die der Kinder- und Jugendärzte, und gleichzeitig noch mehr und schnellere Termine von den Praxen zu fordern, dazu hat Andreas Gassen sich schon positioniert und dem ist nichts hinzuzufügen.

Es fällt schwer, den eben erwähnten Akteuren – Kassen und Minister – eine Unkenntnis der tatsächlichen Sachlage zu unterstellen. Deshalb kann man derartige Aussagen leider nur als eines bezeichnen: als bewusste Irreführung der wenig informierten Öffentlichkeit. Entbudgetierung bedeutet eben kein „zusätzliches“ Honorar oder gar eine Honrarerhöhung. Es bedeutet schlichtweg, dass die in den Praxen erbrachten Leistungen nach entsprechend sachlich-rechnerischer Prüfung endlich vollständig ohne Zwangsrabatt bezahlt werden. Nicht mehr und nicht weniger. Das haben wir schon sehr lange gefordert und insofern ist es gut, dass die ehemaligen Regierungskoalitionäre sich diesbezüglich noch einmal zusammengerauft haben.

Der Teufel liegt allerdings im Detail. Denn was nun verabschiedet wurde, ist beinahe der Originaltext des Abschnitts zur Entbudgetierung im ursprünglichen Entwurf des GVSG. Im Lauf des Gesetzgebungsverfahrens haben wir als KBV immer wieder auf eine Reihe praktischer Probleme in der Umsetzung hingewiesen. Wir haben diese in vielen Arbeitstreffen, sowohl mit dem Ministerium als auch mit den Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen), unseren Gremien und dem Hausärztinnen- und Hausärzteverband diskutiert. Es gab Einigkeit, dass es einer gesetzlichen Überarbeitung bedarf und auch eine Verständigung dazu, was wie geändert werden müsse. Dass diese Korrekturen nun nicht gekommen sind, kann ebenfalls nicht mit Unkenntnis entschuldigt werden; hier muss man politische Absicht unterstellen. Der Schwarze Peter liegt nun bei der Selbstverwaltung im Bewertungsausschuss. Wir als KBV stellen uns natürlich dieser Aufgabe und werden, in enger Abstimmung mit den KVen, im Bewertungsausschuss verhandeln.

Die Entbudgetierung soll laut Gesetz zum vierten Quartal 2025 wirksam werden. Das ist sportlich. Insbesondere die notwendige Festsetzung der Hausarzt-MGV, also des Anteils der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung (MGV), der für die hausärztliche Versorgung vorzusehen ist, wird eine Herausforderung, nicht nur kalkulatorisch, denn sie wirkt in jeder KV anders. Wir hatten bereits einen Konsens mit dem Bundesgesundheitsministerium erzielt, dass das Gesetz diesbezüglich nachgebessert werden soll. Das ist nicht geschehen. Entgegen anders lautender Gerüchte ist es allerdings nicht so, dass der fachärztliche Bereich von der Berechnung betroffen sein wird, weil es für den hausärztlichen Bereich bei einer MGV bleibt, die aber zukünftig von den Krankenkassen als Topf mit offenem Deckel gezahlt wird.

Von Anfang an kritisch gesehen haben wir die Verknüpfung der Entbudgetierung mit den neuen hausärztlichen Pauschalen. Die durch die neue Vorhaltepauschale zu ändernde Strukturvergütung für das Vorhalten bestimmter Angebote in den Praxen wird zwangsläufig zu einer Umverteilung führen, denn sie muss laut Gesetz ausgabenneutral eingeführt werden.

Das Gleiche gilt für die neue Versorgungspauschale, einer Pauschale für die Versorgung sogenannter Mono-Chroniker, die wegen nur einer Erkrankung mit einem bestimmten Arzneimittel versorgt werden, aber keiner intensiven Betreuung bedürfen. Im Gegensatz zur bisherigen Chronikerpauschale soll für diese Patientinnen und Patienten die Pauschale künftig nicht quartalsweise, sondern nur ein, maximal zwei Mal im Jahr abgerechnet werden. Was geschieht, wenn der oder die betreffende Versicherte in diesem Zeitraum zu einer zweiten hausärztlichen Praxis geht und diese ebenfalls die Ziffer abrechnet? In diesem Fall muss die Kasse das Geld für die zweite Praxis zurückfordern. Ein Einschreibemodell hätte zumindest dieses Problem gelöst, war aber, obwohl der Minister im Januar 2024 dies öffentlich anerkannt hat, nicht gewünscht.

Es gibt also eine Reihe von Haken und Ösen in diesem Gesetz, nicht nur in dem, was drinsteht, sondern auch in dem, was nicht drinsteht. So sind beispielsweise Schwerpunktpraxen, etwa für Diabetologie oder Substititionstherapie, gar nicht erwähnt, könnten aber von der neuen Systematik der Vorhaltepauschale negativ betroffen sein. Auch hier werden wir eine Lösung im Bewertungsausschuss verhandeln müssen.

Die Gespräche haben begonnen, um zunächst Zeitpläne für die Verhandlungstermine aufzusetzen und die unterschiedlichen Perspektiven sowie Schwerpunkte der inhaltlichen Vorgaben zu sondieren. Einzelheiten liegen heute natürlich noch nicht vor. Die Verhandlungen zu den teilweise sehr technischen Feinheiten sind aber wichtig. Ihre Umsetzung wird darüber entscheiden, ob das sogenannte Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz seinem namentlichen Anspruch ansatzweise gerecht werden kann. Wenn das GVSG dazu beiträgt, die Versorgung zu stabilisieren und den Rückgang an Kolleginnen und Kollegen, die sich überhaupt noch als Hausärzte niederlassen wollen, zumindest aufzuhalten, wäre schon viel gewonnen.

Trotzdem kann das nur ein Anfang sein. Um Ärztinnen und Ärzten wieder mehr Freiraum zu verschaffen, sich wirklich um ihre Patientinnen und Patienten zu kümmern, bedarf es weitaus mehr. Zu einigen dieser Themen liegen für heute Anträge vor, über die wir noch beraten werden.

Themenwechsel: Der Fachkräftemangel im Gesundheitswesen, über alle Professionen hinweg, beschäftigt auch die EU-Politik. Gemeinsam mit der Bundesärztekammer haben wir im Februar eine Veranstaltung in Brüssel zu dieser Thematik organisiert, an der einige hochkarätige Mitglieder des Europäischen Parlaments und der Kommission teilgenommen haben.

Zwar gehört die Organisation des Gesundheitswesens zu den Bereichen, in denen die Mitgliedsstaaten Souveränität genießen, trotzdem hat das Ganze allein schon durch die Rolle, die die Migration hier spielt, eine supranationale Dimension. Einfach noch mehr Kräfte aus dem Ausland anzuwerben, womöglich sogar aus Drittstaaten, wie es die EU-Kommission unter anderem vorschlägt, kann jedoch nicht die Lösung für den Fachkräftemangel sein.

Hier gibt es ethische und moralische Grenzen! Vielmehr bedarf es einer übergreifenden Strategie, die Aspekte wie berufliche Mobilität, Ausbildungskapazitäten der Mitgliedstaaten, sichere und attraktive Arbeitsbedingungen sowie Unterstützung der Berufsangehörigen bei der digitalen Transformation berücksichtigt. Ein wichtiges Schlagwort hierbei ist die Zielgröße „time to treat“, also die Entlastung von nicht genuin ärztlichen oder pflegerischen Aufgaben im Fokus zu behalten.

Insbesondere das Europäische Parlament fordert hier mehr Maßnahmen auf europäischer Ebene, etwa hinsichtlich Bezahlung, Ausbildung und Arbeitsbedingungen – völlig verkennend, dass die EU gar keine Kompetenz hierfür hat. Hier gilt für uns wieder einmal: wachsam bleiben.

Dieses Erfordernis verdeutlicht ein weiteres aktuelles europäisches Ansinnen, das zunächst wie ein Schildbürgerstreich klingt: Die Europäische Chemikalienagentur prüft derzeit, ob Ethanol als gesundheitsgefährdende Substanz deklariert und aus dem Verkehr gezogen werden soll. Uns ist allen klar, dass Ethanol ein zentraler Wirkstoff für die Hand- und Flächendesinfektion in Praxen und Krankenhäusern ist. Die WHO listet ihn als „unverzichtbares Arzneimittel“.

Die mögliche Gefährdungsbeurteilung der EU gründet sich auf der toxischen Wirkung von Ethanol, wenn es getrunken wird, weshalb der Alkohol in Desinfektionsmitteln vergällt wird, um ihn ungenießbar zu machen. Es gibt keine Substanz, die Ethanol als Desinfektionsmittel in auch nur annähernd vergleichbarer Wirkung und Verfügbarkeit ersetzen könnte. Die KBV ist als eine der ersten Institutionen im Gesundheitswesen auf die drohende Katastrophe aufmerksam geworden.

Gemeinsam mit der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung, der Bundesärzte- und der Bundeszahnärztekammer, der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände sowie der Deutschen Krankenhausgesellschaft haben wir uns deshalb an die Minister für Gesundheit, Arbeit und Soziales sowie Umwelt gewandt mit dem dringenden Appell, bei einer neuen Gefährdungsbeurteilung den Anwendungsbereich zu berücksichtigen und entsprechend zu differenzieren. Das klingt banal, scheint aber alles andere als selbstverständlich zu sein. Die uneingeschränkte Nutzung von Ethanol als Desinfektionsmittel ist unerlässlich. 

Das müsste doch spätestens seit der Covid-19-Pandemie auch in Brüssel jedem klar sein. Die Europäische Chemikalienagentur hat nun ein Kommentierungsverfahren eröffnet, das bis Ende April dauern soll. Wir stimmen uns derzeit mit Bundesärztekammer, Zahnärzten und Apothekern über eine möglich Beteilung ab. Das Thema ist inzwischen auch bei Bundestag und Bundesrat angekommen.

Bei unserer Diskussionsveranstaltung in Brüssel kam ein Aspekt zum Tragen, den man ebenso gut auf die politische Situation in Deutschland wie auch die jenseits des Atlantiks übertragen kann und muss: die Bedeutung einer verlässlichen Daseinsvorsorge und des Zugangs zu gesundheitlicher Versorgung ist ein wesentliches, stabilisierendes Element einer demokratischen Gesellschaft.

Gesundheitspolitische Themen haben im Bundestagswahlkampf bestenfalls eine nachgeordnete Rolle gespielt. Das ist angesichts der weltpolitischen Lage zwar nachvollziehbar, aber dennoch kurzsichtig. Diverse Umfragen belegen, dass den Bürgerinnen und Bürgern sehr wohl bewusst ist, was in Bezug auf ihre Versorgung auf dem Spiel steht und dass sie sich diesbezüglich Sorgen machen. Ein weiterer Unsicherheitsfaktor in einer ohnehin schon sehr angespannten Lage. Die jüngsten weltpolitischen Entwicklungen und der angedrohte Rückzug der USA aus bisherigen transatlantischen Verpflichtungen wirkt nicht nur psychologisch, sondern hat auch gravierende finanzielle Auswirkungen, die jetzt schon spürbar sind.

Wir werden bald sehr viel Geld und weitere Ressourcen für Dinge brauchen, bei denen wir uns jahrzehntelang wie selbstverständlich auf andere, allen voran die USA, verlassen haben. Das rächt sich jetzt. Dabei haben wir es mit einer höchst widersprüchlichen Entwicklung zu tun: Einerseits werden wir als Europäer und als Deutsche sehr viel mehr Eigenverantwortung übernehmen müssen, von unserer territorialen Verteidigungsfähigkeit bis hin zum globalen Maßstab, Stichwort Weltgesundheitsorganisation etc. Auf der anderen Seite haben wir es mit einem Erstarken hegemonialer Ansprüche zu tun, vielleicht sogar einer Art neuem Imperialismus, bei dem die USA und Russland die restliche Welt unter sich aufteilen.

Wir sehen das gerade an der Ukraine, die aber vermutlich nicht der letzte Akt sein wird, wenn Europa sich im Spiel der Mächte weiter verzwergen lässt. Professor Carlo Masala hat hierzu treffend formuliert: „Die Pausenzeit der Geschichte in Europa ist vorbei“.

Für Donald Trump scheint Weltpolitik eine Art globales Monopoly-Spiel zu sein, bei dem es nur darum geht, den für ihn persönlich lukrativsten Deal zu machen. Im eigenen Land entlässt Elon Musk in Trumps Auftrag massenhaft Regierungsangestellte – teilweise nach eigenem Bekunden „aus Versehen“, unter anderem im Gesundheitsbereich, wo laut Medienberichten Experten zur Bekämpfung der grassierenden Vogelgrippe vor die Tür gesetzt wurden. Per richterlichem Beschluss wurden die Entlassungen nun vorerst ausgesetzt. Das ist nicht erneuernde Disruption, sondern mit bitterem Sarkasmus könnte man das bestenfalls „Government by accident“ nennen, wenn es nicht so dramatisch wäre.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, womöglich haben solche Überlegungen aus der Sicht des einen oder anderen von Ihnen nichts in einer KBV-Vertreterversammlungsrede zu suchen. Aber ich finde, angesichts der aktuellen Gemengelage steht zu viel auf dem Spiel, um solche Dinge auszublenden, denn sie betreffen uns und machen uns betroffen. In der Bevölkerung wirken sie verunsichernd, ja beinahe traumatisierend. Es geht hier nicht nur um Entscheidungen für diese Legislatur, sondern schlimmstenfalls um eine neue Weltordnung. 

Aber zurück zu unseren Aufgaben: Prognosen für die Zukunft zu machen ist in Zeiten wie diesen ein besonderes Wagnis. Doch ganz gleich, was am Ende im Koalitionsvertrag steht und ob die bis Ostern angekündigte Regierungsbildung gelingt oder doch länger dauern sollte: Es gibt einige grundlegende Erwartungen, die ich an die künftigen Regierungsverantwortlichen habe. Dazu gehören:

  • eine echte Bereitschaft zum sachlichen Dialog und zum Zuhören.
  • weniger Sprunghaftigkeit und mehr Verlässlichkeit im Handeln
  • Gewährleistung stabiler Rahmenbedingungen
  • weniger Einmischungen in den Alltag der Praxen. 

Wir brauchen nicht mehr, sondern weniger politisches Mikromanagement, denn wir sind Angehörige eines Freien Berufes und als Ärztinnen und Ärzte, Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten sowie Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten und -therapeutinnen auch in großer Mehrheit selbstständig tätig.

Es gelten selbstverständlich im System die Regeln des SGB V, aber unsere Praxen sind keine staatliche Verfügungsmasse. Jenseits dieser Verpflichtungen sind wir frei in all unseren Entscheidungen – sowohl medizinisch-fachlich als auch unternehmerisch. Leider gibt es maßgebliche Akteure, nicht nur in der Politik, die diese simple Tatsache geflissentlich ausblenden.

Der Staat soll sich auf seine Kernaufgaben konzentrieren, was dringend erforderlich ist, und uns unsere Patienten versorgen lassen. Das können wir am besten und beide Aufgaben für sich genommen sind in Zeiten wie diesen groß genug.

(Es gilt das gesprochene Wort)

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