Qualität fördern – nicht die Bürokratie
Was bedeutet für Sie Qualitätssicherung?
Dr. med. Kerstin Schick, Fachärztin für Gefäßchirurgie und Phlebologie
"Ich bin niedergelassene und damit selbstständige Gefäßchirurgin. Ein Arbeiten ohne Qualitätssicherung ist für mich überhaupt nicht vorstellbar. Qualitätssicherung ist tatsächlich gelebter Alltag. Es mag in der fernen Vergangenheit tatsächlich Zeit gegeben haben, in denen Kollegen fernab von Regeln und Normen ihr medizinisches Handeln durchgeführt haben, aber diese Zeiten sind tatsächlich lange vorbei. Jede Chirurgin und jeder Chirurg denen sich heute eine Patientin oder ein Patient anvertraut, muss sein Handeln immer erklären und darlegen können und seine Ergebnisse des medizinischen Tuns auch immer selbstkritisch hinterfragen."
Wie gewährleisten Sie bereits Qualitätssicherung in Ihrem Fachgebiet?
Dr. med. Kerstin Schick, Fachärztin für Gefäßchirurgie und Phlebologie
"Wir sind seit 2006 nach ISO zertifiziert. Das heißt, wir unterwerfen uns allen Richtlinien, Gesetzesvorgaben und Normen. Gelebtes Qualitätsmanagement heißt auch, dass wir uns einmal in der Woche wirklich zusammensetzen, die Zeit nehmen, dass wir das Ganze, die ganze Praxis stillstehen haben und uns zusammensetzen, um zu gucken, wenn irgendwelche Dinge nicht optimal gelaufen sind, wie wir sie zeitnah analysieren können. Außerdem haben wir ein sehr engmaschiges Kontrollsystem nach einer durchgeführten Operation. Das heißt, wir schauen unsere Patienten alle selber mit sehr viel Aufwand nach einer durchgeführten OP nach und haben so eine Qualitätssicherung durch Ergebnis Kontrolle. Wir investieren also relativ viel Zeit und Geld in dieser Praxis, um am medizinischen Puls zu sein. Wir gehen auf Veranstaltungen, Fortbildungen, Kongresse und natürlich auch arbeiten wir immer in Kenntnis unter der Berücksichtigung der Leitlinien."
Gibt es Instrumente zur Qualitätssicherung, die Sie freiwillig in Ihrer Praxis nutzen?
Dr. med. Kerstin Schick, Fachärztin für Gefäßchirurgie und Phlebologie
"Im speziellen Fachgebiet der Phlebologie und Gefäßchirurgie gab es zur Erfassung der varizenchirurgischen Eingriffe ein Register über viele Jahre. Dieses Register hat uns schon sehr gut fundierte Daten geliefert.
Ob man darüberhinausgehend weitere Qualitätssicherung dem Kollegen auferlegen muss, das denke ich eigentlich nicht. Ich glaube tatsächlich, dass so eine Register Erhebung uns zumindest schon mal sehr gut zeigt, wo wir stehen.
Ganz aktuell gibt es in der Phlebologie vom Berufsverband eine Zertifizierung, die nennt sich „Venen-Kompetenzzentrum plus“, der wir uns freiwillig auch unterwerfen. Und hier erfassen wir die gesamte Indikation Stellung der Eingriffe, die bei Handlungsabläufe und erheben so Daten unseres gelebten Alltags."
Welche Erfahrungen haben Sie mit dem verpflichtenden sQS-Verfahren Wundinfektion gemacht?
Dr. med. Kerstin Schick, Fachärztin für Gefäßchirurgie und Phlebologie
"Meiner Meinung nach ist das bisherige sektorenübergreifende Qualitätssicherungsverfahren ziemlich an dem gelebten Alltag vorbeigegangen. Die Annahme, dass eine postoperativ eingetretene Wundinfektion nach einer ambulanten Operation zu einer stationären Behandlungsnotwendigkeit, zu einem Verlauf führt, das habe ich jetzt in 17 Jahren Tätigkeit als Ärztin tatsächlich nicht erlebt. Auch wenn es wahrscheinlich irgendwie ab und zu mal vorkommt, so ist es doch die absolute Ausnahme. Die Realität sieht anders aus. Die Realität sagt oder zeigt uns, dass eine postoperative Wundinfektion nach einer ambulanten Operation tatsächlich auch ambulant weiter versorgt wird. Oder aber, dass es genau andersherum ist, dass Patienten, die aus stationärer Behandlung entlassen werden, aber noch eine Wundversorgung notwendig haben, von den niedergelassenen Kollegen behandelt werden. So wäre das die eigentliche Realität. Trotz allem waren wir gezwungen, uns an der Datenerhebung sehr umfangreich zu beteiligen und haben bis zum heutigen Tag überhaupt keine Rückmeldung bekommen über die ganzen Daten, die da erfasst worden sind.“
Wieviel Aufwand bedeutet das für Sie in der täglichen Praxis?
Dr. med. Kerstin Schick, Fachärztin für Gefäßchirurgie und Phlebologie
„Die Erfassung war, sogar für ein so gut organisiertes Zentrum wie das unsrige hier, ein enormer Zeitaufwand. Wir waren damit tatsächlich Stunden beschäftigt und das ist nicht übertrieben. Des Weiteren mussten wir, um diese gesamten Fragen und Parameter, die da gefordert wurden, zu erfassen, auch weitere OP-Zentren, in denen wir tätig sind, ebenfalls mit einbinden und auch diese OP-Zentren mit Stunden Arbeit belegen."
Welche Auswirkungen hat die geforderte Qualitätssicherung aus Ihrer Sicht auf die Patientenversorgung?
Dr. med. Kerstin Schick, Fachärztin für Gefäßchirurgie und Phlebologie
"Ich persönlich glaube, dass die bisherige sektorenübergreifende Qualitätssicherung tatsächlich überhaupt keinen wirklichen Benefit des Patientenwohls in Deutschland gebracht hat. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es irgendeinen Vorteil in der tatsächlichen Versorgung hier ergeben hat. Man muss sich so vorstellen, dass in morgen ein Patient zu mir in die Praxis kommt. Dann hat er in seinem Handlungsablauf überhaupt keinen Unterschied, ob es dieses sQS hier gegeben hätte oder nicht. Ich glaube, dass Sanktionen die Kollegen, die diese Qualitätssicherung betreiben, auch frustrieren werden und die Motivation, die ja jedem innewohnt, dass er das Bestmöglichste für seinen Patienten erreichen will, eventuell auch tatsächlich richtig kaputt macht. Ich glaube, dass wenn eine Qualitätssicherung die ärztlichen Kolleginnen und Kollegen in ihrer Emotion und ihrem Intellekt abholen und wenn man sieht, dass es ja einen echten Benefit gibt, dass man dann Sanktionen tatsächlich nicht brauchen wird."
Was würden Sie anders machen?
Dr. med. Kerstin Schick, Fachärztin für Gefäßchirurgie und Phlebologie
"Zuallererst würde ich tatsächlich mal die vorhandenen Daten, die ja da sind, auf jeden Fall erst einmal auswerten. Das wäre der allererste Schritt. Und hier mal schauen, wo wir mit diesen Daten aktuell stehen. Und ich denke auch, dass sich daraus vielleicht auch weitere Fragestellungen ergeben würden. Ich würde außerdem den teilnehmenden Ärztinnen und Ärzten auf jeden Fall hier mal eine Rückmeldung geben. Ich glaube, dass es ganz, ganz wichtig. Dann, wenn man jetzt überlegt, wie kann ich eine Qualitätssicherung weiter aufbauen? So müssen wir uns natürlich das Ziel vor Augen halten. Wir wollen also postoperative Wundinfektion erfassen. Wie können wir die erfassen? Eine mögliche Vorgehensweise wäre relativ simpel und einfach, wie es immer wieder angeklungen und gefordert wurde, dass man eine EBM Ziffer einführt - tatsächlich, um hier eine postoperative Wundinfektion einfach dokumentieren zu können, dass sie vorgenommen worden ist im ambulanten Setting. Das ist sehr einfach und wäre eine ganz große Hilfestellung, um einfach mal quantitativ zu erfassen, wo stehen wir eigentlich heute? Was ist eigentlich gelebter Alltag? Des Weiteren ist natürlich wichtig, dass sich die Parameter, die hier wirkliche Einflussfaktoren für eine postoperative Wundinfektion darstellen, dass ich diese erfasse und ganz wichtig, korreliere, mit dem eigentlichen Ereignis einer postoperativen Wundinfektion und dem jeweiligen Arzt und der Ärztin zurückspiegel."
Wurde ein wichtiger Aspekt vergessen?
Dr. med. Kerstin Schick, Fachärztin für Gefäßchirurgie und Phlebologie
"Wenn wir über Qualitätssicherung sprechen, dürfen wir einen Aspekt tatsächlich nie vergessen. Jede Chirurgin und jeder Chirurg hat ein ganz tiefes intrinsisches Bedürfnis, dass seine Patienten bestmöglichst versorgt werden. Davon bin ich sehr überzeugt. Tue Gutes und füge keinen Schaden zu. Das ist der Motor, der uns in der Chirurgie antreibt. Das heißt, wir müssen, wenn wir über Qualitätssicherungssysteme sprechen, die wir einführen wollen, dann müssen wir die Ärztinnen und Ärzte in dieser wirklich vorhandenen Motivation abholen und sie darin unterstützen. Es kann nicht sein, dass ein Qualitätssicherungssystem eine weitere Fußfessel im Alltag darstellt, dass sie uns von der Patientenversorgung noch weiter wegbringen und dadurch logischerweise auch viele von unseren Kollegen auch sehr frustriert. Qualität heißt, dass etwas gut ist. Nicht zufällig, sondern es ist etwas sehr geplant und immer gut ist. Das ist der gelebte Alltag, den ich jeden Tag als Ziel habe."
Die niedergelassene Gefäßchirurgin, Dr. Kerstin Schick, berichtet aus ihrem Praxisalltag und über ihre Erfahrungen mit der Qualitätssicherung.