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Reden

Bericht von Dr. Andreas Gassen an die Vertreterversammlung

Sitzung am 3. Dezember 2021

Sehr geehrte Damen, sehr geehrte Herren,

ich begrüße Sie zur Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV).
Es ist leider ein Déjà-vu: Die Entwicklung der Pandemie zwingt uns einmal mehr ins Online-Format – das hatten wir uns für diesen Winter wohl alle anders vorgestellt.

Jetzt ist es schon als positiv zu vermerken, dass die Infektionen stagnieren oder sogar leicht sinken, wenn auch auf hohem Niveau. Dieses Phänomen kennen wir aus den vergangenen Wellen – bevor irgendwelche Maßnahmen ergriffen werden, scheinen die Menschen, beeindruckt von den hohen Zahlen, ihr Verhalten zu ändern.

Doch es gibt auch objektiv gute Nachrichten. Seit April haben die Praxen 56,7 Millionen Impfungen durchgeführt. In der letzten Novemberwoche wurden deutschlandweit 3,16 Millionen Impfungen (sowohl Erst- beziehungsweise Zweitimpfungen als auch Booster) in Praxen durchgeführt.

Das ist der zweithöchste Wert in der ganzen bisherigen Impfkampagne und nicht weit entfernt vom bisherigen Rekord von 3,4 Millionen Impfungen Ende Juni. Allein am vergangenen Mittwoch wurden rund 817.000 Impfungen in den Praxen verabreicht. Die Praxen sind auf Kurs, einen neuen Wochenrekord aufzustellen. Das Impftempo steigt seit Anfang November kontinuierlich und deutlich an, und hier insbesondere der Anteil der Booster-Impfungen. Sie machen derzeit rund 80 Prozent aller Impfungen aus.

Insgesamt sind nun etwa 12 Millionen Menschen in Deutschland geboostert worden, davon 8,9 Millionen in den haus- und fachärztlichen Praxen. Auch die Erstimpfungen nehmen wieder zu. Das ist ein gutes Zeichen. Für die aktuelle Woche haben die niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen sowie die Betriebsärztinnen und -ärzte rund 8,57 Millionen Impfstoffdosen bestellt, für die kommende Woche sind es knapp 10 Millionen Dosen.
Das alles wäre ein Grund zur Freude. Doch es gibt ein Problem – der Impfstoff ist mal wieder knapp, deshalb wird er quotiert. 

Ja – Sie haben richtig gehört: Der Bund kann die von den Praxen und auch vom Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) angeforderten Impfstoffmengen nicht liefern! Für die Impfungen in der nächsten Woche haben Vertrags- und Betriebsärzte sowie der ÖGD bereits unter der Vorgabe von Höchstbestellmengen zusammen rund 6,5 Millionen Dosen des BioNTech/Pfizer-Impfstoffes bestellt.

Ausgeliefert werden voraussichtlich jedoch nur 2,9 Millionen Dosen und damit weniger als die Hälfte! Bezüglich Moderna sollte – so sagen es die Bestell- und Lieferpläne – die ausgelieferte Menge in etwa der Bestellmenge entsprechen. Aber auch hier hören wir von den Praxen, dass ihre Moderna-Bestellungen gekürzt werden.

Aus den widersprüchlichen Unterlagen des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) ergibt sich, dass es auch in der Folgewoche bei Moderna knapp werden könnte, wenn Praxen und ÖGD wieder über 10 Millionen Dosen bestellen.

Zur Erinnerung: Im Spätsommer beschließt das BMG, entgegen der damaligen Empfehlung der Ständigen Impfkommission (STIKO), dass alle Bürgerinnen und Bürger eine Boosterimpfung erhalten können. Wir als KBV haben daraufhin angemahnt, zuerst diejenigen zu boostern, deren Impfschutz am ehesten nachlässt und die das höchste Risiko für schwere Krankheitsverläufe haben, nämlich ältere und immungeschwächte Personen. Diese Gruppe wäre auch logistisch ohne weiteres zu schaffen.

Die Gesundheitsministerkonferenz war nahezu der gleichen Meinung, doch das BMG blieb bei seiner Haltung „Booster für alle“ – und löste damit einen entsprechenden Ansturm auf die Praxen aus. Weil in der Folge die Auffrischimpfungen zu schleppend vorankamen, sah Minister Spahn die Praxen in der Bringschuld. Impfstoff sei ausreichend vorhanden, nur das Impftempo sei zu langsam.

Das Ganze gipfelte in der Aussage von Nordrhein-Westfalens-Gesundheitsminister Laumann, die Ärzte sollten samstags mal lieber impfen statt auf den Golfplatz zu gehen. Beide, sowohl Herr Laumann als auch Herr Spahn, sahen sich kurz darauf zu einer Entschuldigung veranlasst.

Die Einlassung eines SPD-Politikers aus der zweiten Reihe, man sollte Ärzten, die nicht impfen, wegen Nichterfüllung des Versorgungsauftrages gegebenenfalls die Zulassung entziehen, offenbart nicht nur völlige Unkenntnis des Versorgungsauftrages, in dem Impfen explizit nicht enthalten ist, sondern sie offenbart auch eine Denkstruktur, die bedenklich erscheint.

Tatsache ist: Die Praxen arbeiten seit fast zwei Jahren am Anschlag. Dass es immer noch keine Bonuszahlung für die Medizinischen Fachangestellten gibt, ist ohnehin fast schon ein Skandal – uns dann auch noch zu unterstellen, wir würden nicht genug arbeiten, ist eine Frechheit!

Der Impfstoff bleibt also knapp. Besserung ist bis Jahresende nicht in Sicht. Auch für die kommende Woche bleibt BioNTech deutlich limitiert, wie hoch der Anteil für die Praxen ist, konnte im BMG, Stand letzte Woche, niemand sagen. Die Höchstbestellmenge pro Arzt betrug 30 Dosen, doch werden die Praxen sogar noch weniger bekommen. 

Organisationstalent galt mal als deutsche Kernkompetenz, um die uns das Ausland bewunderte. Heute fragen einen US-Amerikaner, warum wir Corona nicht in den Griff bekommen! Und das ist nicht die Schuld der Praxen! Die wollen impfen, können aber nicht – wieder einmal. Nicht die Praxen bremsen den Impffortschritt, sondern Politik bremst die Praxen massiv aus!

Lieber Herr Professor Wieler, Sie haben ja recht: Es bedarf einer „nationalen Kraftanstrengung“. Bevor aber „Mann und Maus“ impfen, wie Sie gesagt haben sollen, wäre es wünschenswert, dass zuerst einmal die Praxen so impfen können, wie sie das gerne täten. Das hat nichts mit Standesdünkel zu tun. Wem hilft es, wenn wir Vertragsärzte mit Apothekern, Zahn- und von mir aus auch noch Tierärzten um nicht vorhandenen Impfstoff konkurrieren? Wir stehen schlichtweg mit leeren Händen da. Und das fast ein Jahr, nachdem mit dem Impfen in Deutschland begonnen wurde. Das ist der eigentliche Skandal!

Es fällt zunehmend schwer, da nicht zynisch zu werden.
Diese erratische Politik aus einem in Auflösung begriffenen Bundesgesundheitsministerium wurde nur noch getoppt durch die im Infektionsschutzgesetz vorgesehene tägliche Testpflicht für Personal und Besucher von Praxen, ganz gleich ob geimpft oder genesen. Auch hier reibt man sich fassungslos die Augen:

Sollen ernsthaft in 100.000 Praxen in ganz Deutschland jeden Tag hunderte von Schnelltests durchgeführt werden, also eine mittlere zweistellige Millionenzahl an Tests pro Woche? So viele Tests gibt es gar nicht! Und wann sollen wir dann impfen oder uns überhaupt noch um unsere Patientinnen und Patienten kümmern? 

Immerhin haben das, nach einem entsprechenden Proteststurm aus KBV/Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) und Ärzteschaft, auch die Gesundheitsministerinnen und -minister der Länder eingesehen und den Gesetzgeber aufgefordert, diese Regelung auszusetzen beziehungsweise umgehend zu ändern.
Politik darf sich nicht aus der Verantwortung stehlen, auch nicht in einem Interregnum. Immerhin:

Die Ampelkoalition will – endlich! – einen ständigen Corona-Krisenstab und einen Expertenrat im Kanzleramt einrichten. Eine Forderung, die wir schon vor über einem Jahr gestellt haben. Bleibt zu hoffen, dass diese Gremien nicht nur mit Theoretikern, sondern auch mit Menschen aus der Versorgung und anderen Bereichen der Gesellschaft besetzt werden und dass nicht nur die Krise als solche, sondern auch die Folgen von Maßnahmen in den Blick genommen werden. Mit der Verteilung des Impfstoffes hat der designierte Krisenstab jedenfalls gleich die erste Aufgabe.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

das Kabinett der neuen Regierung nimmt Gestalt an – allein wer das Gesundheitsministerium künftig leiten wird, das wissen wir rund 70 Tage nach der Wahl immer noch nicht. Es ist keine einfache Zeit, um Regierungsverantwortung zu übernehmen, die Ampel sieht sich bei den ersten Gesetzesvorhaben bereits unter Druck gesetzt. Die Argumente sind die gleichen wie immer – härtere Maßnahmen müssten her. Die scheidende Bundeskanzlerin wollte sich ernsthaft mit einem erneuten Lockdown zum gleichen Zeitpunkt wie letztes Jahr an Weihnachten verabschieden. Daraus ist nichts geworden. 

Ohne Frage ist die aktuelle Coronalage deutlich anders, als wir sie uns wünschen würden. Auch wenn die Zahlen aktuell stagnieren, sind sie sehr hoch. Obgleich fast 80 Prozent der Erwachsenen geimpft sind und die Kinderinzidenzen einen hohen Anteil beisteuern, haben die hohen Infektionszahlen immer einen nachlaufenden Effekt auf Hospitalisation und Intensivbelegung. In geringerem Verhältnis zwar als bei der zweiten und dritten Welle, aber letztlich greift das Gesetz der hohen Zahl.

Deshalb ist die Lage auf den Intensivstationen erneut so angespannt, dass Patientinnen und Patienten aufwendig verlegt und wieder Wahloperationen verschoben werden müssen, und das ist alles andere als gut. Wenn man dann hört, dass 90 Prozent der auf Intensivstationen liegenden Menschen ungeimpfte Erwachsene sind, dann ist das schon zum Verzweifeln.

Ist es nun eine Pandemie der Ungeimpften oder nicht – das ist eine müßige Diskussion. Unzweifelhaft könnte man die hohen Infektionszahlen deutlich gelassener aufnehmen, wenn die 13 Millionen nicht geimpften Erwachsenen geimpft wären. Die Intensivstationen wären nicht so voll und die Diskussion, welche Einschränkung nun notwendig, alternativlos oder verzichtbar ist, müsste wahrscheinlich nicht geführt werden.
Nachvollziehbarerweise wird der Ton im Umgang mit nicht Geimpften schärfer.

Wie Sie wissen, ist mir persönliche Freiheit sehr wichtig. Wenn sich ein Erwachsener bewusst gegen eine Impfung entscheidet und – natürlich in der sicheren Erwartung, dass er/sie selbst nicht schwer erkrankt – eine Erkrankung riskiert, müsste man das eigentlich akzeptieren. Eigengefährdung ist zwar nicht besonders klug, aber nicht verboten. Leider führt diese Haltung von 13 Millionen Menschen aber mittlerweile dazu, dass mit der erwartbaren prozentualen Häufigkeit von schweren Erkrankungen eben doch eine Reihe dieser Infizierten schwer erkrankt.

Und dies wiederum führt mittlerweile dazu, dass notwendige nicht Corona-assoziierte Behandlungen anderer Menschen verschoben werden müssen. Da bekommt die persönliche Freiheit der Impfgegner langsam einen faden Beigeschmack.

Es ist somit erwartbar, dass es die aktuell diskutierte Impfpflicht geben wird und die überwältigende Mehrheit das mittlerweile unterstützen würde. Der Grund liegt auf der Hand: Die Leute haben schlicht die Schnauze voll. Von Corona, von Einschränkungen, die, überspitzt formuliert, von allen „ertragen“ werden müssen in dem Versuch, die bestehende Impflücke zu kompensieren.

Das gelingt aber trotzdem nicht, deshalb ist auch ein klassischer Lockdown nur begrenzt wirksam, wie wir ja mehrfach erlebt haben. Geimpfte muss man nicht vor Geimpften schützen. Und es sind Zweifel angebracht, ob sich Impfgegner, die Corona nicht ernstnehmen, an Kontaktbeschränkungen im Privaten halten werden.

Ob es dann letztlich eine Impflicht gibt, bleibt eine politische Entscheidung. Medizinisch kann man dagegen wenig einwenden – auch wenn man das nicht schafft, was bisher nur eine einzige Impfpflicht in Deutschland, die gegen Pocken, bewirkt hat, nämlich das Virus auszurotten.

An der aktuellen Infektionswelle wird auch eine Impfpflicht nichts mehr ändern. Sollte sie aber kommen, sollten folgende Punkte rational bedacht werden:

  • Wer ist gut begründbar von einer Pflicht erfasst?
  • Welches Impfschema gilt?
  • Gibt es genug Impfstoff?
  • Wer lädt ein?
  • Muss die Impfung aufgefrischt werden und wenn ja, wie oft?

Vielleicht ist es sogar eine gute Idee, die Impfpflicht gegen das Coronavirus zunächst für zwei oder drei Jahre zu beschließen. Ist Corona dann endgültig endemisch, kann man das verpflichtende Element austauschen gegen eine Empfehlung wie bei der Influenza.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
ich komme zurück zur Regierungsbildung: Der oder die neue Minister/in im BMG übernimmt eine gewaltige Hypothek – und das nicht nur im übertragenen Sinne, sondern buchstäblich. Denn eines kann man dem scheidenden Minister sowohl zugutehalten als auch vorwerfen, je nach Perspektive:

Ein „Sparminister“ war er nicht. Sein Wahlspruch war auch nicht: In der Ruhe liegt die Kraft. Die letzten vier Jahre haben uns – kaum gebremst durch die Pandemie – eine Rekordzahl an Gesundheitsgesetzen beschert. Darunter einige große und schwer verdauliche Brocken, wie das Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) oder das Digitale-Versorgung-und-Pflege-Modernisierungsgesetz (DVPMG).

Das liebste gesundheitspolitische Vehikel unter Jens Spahn war der Omnibus. Etliche Änderungen an dem einen Gesetz wurden gern im Omnibusverfahren an das folgende angehängt. Bei allem Verständnis für den Wunsch etwas zu bewegen: Etwas weniger Aktionismus, dafür mehr Gründlichkeit und Nachhaltigkeit wären wünschenswert gewesen.

Viele gesetzliche Regelungen mussten und müssen deutlich nachgebessert werden.
Neben seinem Innovationswillen muss man Herrn Spahn aber auch zugutehalten, dass er grundsätzlich anerkannt hat, dass mehr eingeforderte ärztliche Leistungen auch mehr Geld erfordern. Trotz dieses Zugeständnisses hat auch er die Rolle der Selbstverwaltung gerne mal infrage gestellt. Offenkundig wird das zum Beispiel in der gematik.

Der von den jetzigen Koalitionspartnern angekündigte Ausbau der gematik zu einer staatlichen Gesundheitsagentur lässt allerdings in punkto Rolle der Selbstverwaltung nichts Gutes erahnen. Die künftig Verantwortlichen wären gut beraten anzuerkennen, dass eine wirklich nutzenbringende Digitalisierung im Gesundheitswesen niemals ohne oder gar gegen Ärzte und Praxen funktionieren kann. Thomas Kriedel wird gleich hierauf zu sprechen kommen.

Klar ist: Wir brauchen in der neuen Legislatur endlich eine vernünftige, echte Strategie, die die Praxen mitnimmt und motiviert, statt eines strafbewehrten Punktekatalogs, bei dem nur technische Meilensteine und Termine abgehakt werden. Wir müssen Digitalisierung von der Versorgung her denken und nicht umgekehrt.

Dass wir als KBV hierbei mit gutem Beispiel vorangehen können, haben wir mit der Definition der MIOs, der medizinischen Informationsobjekte für die elektronische Patientenakte, deutlich bewiesen.

Was erwarten wir noch von der neuen Bundesregierung?

Vor allem zwei Dinge, die wir in der Pandemie schmerzlich vermisst haben: Verlässlichkeit und Weitsicht. Das betrifft auch die Rahmenbedingungen für die ambulante Versorgung. Wenn es eines Beweises bedurfte, was die Vertragsärztinnen und -ärzte und deren Teams leisten können, wenn man sie nur lässt, dann hat die Pandemie diesen Beweis geliefert.

Der Koalitionsvertrag der Ampelparteien enthält einige positive Signale, zum Beispiel das klare Bekenntnis zum Bürokratieabbau sowie Maßnahmen gegen den Fachkräftemangel im Gesundheitswesen. Letztere sollten auch die Medizinischen Fachangestellten in den Praxen umfassen, denn ohne sie gibt es keine ambulante Versorgung.

Bemerkenswert ist allerdings: Von den haus- und fachärztlichen und den psychotherapeutischen Praxen ist in dem Vertragsentwurf überhaupt nicht die Rede, dafür umso mehr von allen möglichen anderen Gesundheitsberufen. Insgesamt wollen die Koalitionäre – und hier insbesondere die Grünen – die nichtärztlichen Fachberufe stärken. Dagegen ist nichts einzuwenden, solange die Rollen und Verantwortlichkeiten für alle Beteiligten, auch die Patientinnen und Patienten, eindeutig geklärt sind.

„Gesundheitsregionen“ ist ein anderes beliebtes Schlagwort der künftigen Politik. Im Sinne des Ausbaus regionaler Versorgungsstrukturen ist dies sicher ein bedenkenswerter Ansatz. Immerhin wollen die Koalitionäre unsere Idee der Integrierten Gesundheitszentren vom Ansatz her aufgreifen. Unklar bleibt allerdings, ob hiermit vor allem die weitere Öffnung kleiner Kliniken für die ambulante Versorgung gemeint ist, oder ob hier tatsächlich vom ambulanten System aus gedacht wird.

Die Ambulantisierung bislang unnötig stationär erbrachter Leistungen soll laut Koalitionsvertrag gefördert werden, indem sogenannte Hybrid-diagnosebezogene-Fallgruppen (Hybrid-DRG) für entsprechende Leistungen entwickelt werden sollen. Wie genau diese Hybrid-DRG definiert sein sollen, wird nicht näher spezifiziert.

Es wäre allerdings kontraproduktiv, wenn die derzeit laufende Reform des Paragrafen 115b Sozialgesetzubuch (SGB) V zu ambulanten Operationen und stationsersetzenden Eingriffen hierdurch verzögert würde, die ja bereits eine einheitliche Vergütungssystematik differenziert nach Schweregrad vorsieht. 

Die Reform der Notfallversorgung ist ein weiteres Thema, das in der abgelaufenen Legislaturperiode liegengeblieben ist und nun in der kommenden vorangetrieben werden soll. Der Passus im Koalitionsvertrag liest sich recht vielversprechend, wird doch den KVen hier eine zentrale Funktion zugestanden. 

Der Koalitionsvertrag widmet des Weiteren einen ganzen Absatz der Psychotherapie. Hier geht es vor allem um Kapazitäten und Bedarfsplanung sowie den Zugang der Versicherten, insbesondere zu ambulanten Komplexleistungen.

Insgesamt fällt auf, dass das Gesundheitskapitel sich vor allem durch staatsnahe Regelungen auszeichnet. Plastisches Beispiel: Entscheidungen des Zulassungsausschusses von Ärzten und Krankenkassen sollen künftig von der zuständigen Landesbehörde genehmigt werden. Eine deutlichere Abkehr vom Prinzip der Selbstverwaltung ist kaum denkbar.

Auch die geplante Reform des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) wirkt nur vordergründig wie eine Stärkung der Selbstverwaltung. So sollen Entscheidungsprozesse beschleunigt und gleichzeitig weitere Akteure wie die Pflege und andere Gesundheitsberufe mehr Mitsprachemöglichkeiten bekommen. Beides unter einen Hut zu bekommen dürfte schwierig werden, wenn die Beratungsverfahren im G-BA nicht grundsätzlich verschlankt werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, 

ich will an dieser Stelle nicht weiter in die Details des Vertragswerks gehen. Es ist erkennbar, dass die neue Regierung sich Etliches vorgenommen hat, und einige Ziele sind erstaunlich konkret formuliert. Weniger überraschend ist, dass weder die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte noch die Selbstverwaltung im positiven Sinne angesprochen werden. Vielleicht ist das aber auch als schwäbisches Lob zu verstehen, nach dem Motto „läuft ja“?

Wir als KBV erneuern jedenfalls hiermit noch mal unser Angebot an die politisch Verantwortlichen, sie auch künftig mit Rat und Tat zu unterstützen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
nach diesem Ausblick auf das, was uns in der Zukunft erwartet, lassen Sie mich zum Schluss noch einmal den Blick nach innen richten. Bei allem Unbill und allen Härten, den die Pandemie dem KV-System gebracht hat, gab es auch erfreuliche Entwicklungen.

Die Möglichkeit, uns als KBV im Bedarfsfall auch sehr kurzfristig mit Ihnen zu besprechen, Feedback einzuholen und ein abgestimmtes Vorgehen herbeizuführen, hat sich aus unserer Sicht als Vorstand sehr bewährt. Wir würden deshalb anstreben, solche Formate wie die KV-Schalten auch in Zukunft im Köcher zu behalten. Wir werden uns auch Gedanken machen über die künftige Organisation von Sitzungen und damit verbundene Reisetätigkeiten, auch unter Effizienzaspekten.

Für den 25. Februar haben wir eine Klausurtagung der VV zum Thema Medizinische Versorgungszentren geplant. Das Format ist noch offen, aber wir hoffen natürlich, dass die Sitzung in Präsenz stattfinden kann. Hier schwingt das Thema Freiberuflichkeit mit, für das wir im kommenden Jahr wieder verstärkt im politischen Raum werben wollen.

Nicht nur vor dem Hintergrund aktueller Erfahrungen sollten wir uns auch Gedanken über den Nachwuchs in den eigenen Reihen machen, sprich in den Gremien der Selbstverwaltung. Wie kriegen wir junge Ärztinnen und Ärzte sowie Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten dazu motiviert, Berufspolitik mitzugestalten und ihre Interessen zu vertreten? Immerhin stehen im nächsten Jahr KV-Wahlen an.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, 
ich habe zu Beginn von den vielen Hiobsbotschaften gesprochen, die zurzeit im Tagesrhythmus auf die Praxen einprasseln. Der biblische Hiob wird zum Schluss für seine Leidensfähigkeit belohnt, indem er alles, was ihm zuvor genommen wurde, noch größer und schöner zurückerhält.

Auch wenn das ärztliche Ethos mit einer gewissen Portion Opferbereitschaft einhergeht, nach dem immer wieder zu hörenden Motto „Wir können schließlich die Patienten nicht im Stich lassen“: Der duldsame Hiob ist aus Sicht einer Interessenvertretung keine nachahmenswerte Figur. Es kommt der Zeitpunkt, an dem es nicht nur nötig, sondern geradezu unsere Pflicht ist zu sagen: Jetzt reicht’s!

Auch vor diesem Hintergrund danken wir als Vorstand Ihnen allen im KV-Verbund für die gerade in den letzten 20 Monaten besonders intensive und stets konstruktive Zusammenarbeit unter erschwerten Bedingungen.
Ein großer Dank geht auch an die Mitarbeitenden der KBV, die uns als Vorstand direkt unterstützt oder einfach „ganz normal“ ihre Arbeit weitergemacht haben, so gut es eben ging.

Ich wünsche Ihnen allen eine Verschnaufpause über den Jahreswechsel. Kommen Sie gut und hoffentlich gesund ins neue Jahr.

Vielen Dank.

 

(Es gilt das gesprochene Wort.)
 

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