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Reden

Bericht von Dr. Thomas Kriedel an die KBV-Vertreterversammlung

Sitzung am 3. Dezember 2021

Sehr geehrte Damen, sehr geehrte Herren,

auch von mir ein herzliches Willkommen zu dieser Vertreterversammlung zum Ausklang dieses in vieler Hinsicht fordernden Jahres. An ein Zur-Ruhe-Kommen ist kaum zu denken – das haben nicht zuletzt die Bestandsaufnahme und Ausblicke meiner Vorstandskollegen zur Pandemiebewältigung verdeutlicht.

Auch ich würde Ihnen heute zum Jahresausklang lieber einen erfreulichen Bericht servieren. Aber die Umstände lassen das auch auf dem Feld der Digitalisierung nicht zu. Denn sie ist für viele Praxen in diesen letzten Monaten des zweiten Pandemie-Jahres ein weiterer Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt.

Die Praxen wollen, diese Erfahrung teile ich mit Petra Reis-Berkowicz, Andreas Gassen und Stephan Hofmeister, Sie wollen versorgen, sie wollen impfen und sie wollen auch digitalisieren. Aber die Grenze des Machbaren ist längst und weit überschritten. 

Auf unzähligen Wunschzetteln steht gewiss, wie alle Jahre wieder auch 2021 ein Smartphone. Das gab es noch gar nicht, als die Telematikinfrastuktur (TI) ihren konzeptionellen Anfang (2004) nahm. Wer von uns hätte sich damals vorstellen können, wie sehr und wie schnell der digitale Fortschritt unser Leben umwälzen würde? Kein Wunder, dass die technischen Vorgaben für die TI längst veraltet sind. Eine Neuausrichtung der Telematikinfrastruktur ist also richtig.

Die Kunst wird nun aber sein, das Paradoxon der gesetzlich gesteuerten technologischen Entwicklung zu lösen: Heute schon eine TI zu entwerfen, die zu den technologischen Möglichkeiten in fünf, zehn und 15 Jahren passt. Damit nicht das passiert, was wir jetzt erleben: Dass Sie in den Praxen Technik installieren müssen, die schon jetzt veraltet ist – und oft noch nicht einmal funktioniert. 

So verwundert es nicht, dass den Vertragsärztinnen und -ärzte sowie -psychotherapeutinnen und -psychotherapeuten der Appetit auf die TI vergangen ist. Es brodelt. Das zeigt nicht zuletzt die Petition, für die Petra Reis-Berkowicz bereits geworben hat. 

Hierzu passt auch ein Wunsch, den wir mehrfach aus Praxen gehört haben: nach der Möglichkeit eines virtuellen Probebetriebs. Die Idee: Ärztinnen und Ärzte sowie ihre MFAs können sich außerhalb der Sprechzeiten einloggen, um alle Anwendungen Schritt für Schritt durchzuspielen – mit ihrer jeweiligen Praxis-Konfiguration aus Praxisverwaltungssystem (PVS), Modulen und Geräten.

Ohne den Versorgungsalltag zu stören. Sprich: Ohne einen Patienten vor sich im Sprechzimmer und unzählige weitere im Wartezimmer sitzen zu haben – gerade bei Massenanwendungen wie elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) und elektronischem Rezept (eRezept).

Denn wie man so schön auf Neudeutsch sagt: Die fliegen nicht.

In der Fokusregion Berlin-Brandenburg haben die Tests keines der gesteckten Ziele erreicht. Von den angestrebten tausend echten und abgerechneten eRezepten, haben es gerade einmal 42 (Stand: 01. Dezember 2021) über die Ziellinie geschafft.

Das bedeutet umgerechnet gerade einmal zwei erfolgreiche eRezepte pro Testwoche – und das bei einer Anwendung, die ein bis zwei Millionen Mal pro Tag genutzt werden soll. Auch die anderen sinnvollen Mengengerüste wurden weit unterschritten. Dabei sind die Praxen mit deutlichem Engagement vertreten. Keine Spur von Verweigerung. 

In der Schule oder beim TÜV hätte man ganz eindeutig gesagt: durchgefallen. Aber die gematik wertet in einer Pressemitteilung die bisherige Testphase als „erfolgreich“. Bei diesen tatsächlichen Testmengen und Ergebnissen kann doch niemand seriös behaupten, dass das eRezept uneingeschränkt funktionieren wird.

Und trotzdem halten gematik und das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) eisern am Starttermin 1. Januar fest.

Wie auch die anderen sogenannten „Leistungserbringer-Organisationen“ hegen wir erhebliche Zweifel daran, dass das eRezept nach dieser unzureichenden Testphase fliegt.

Ähnlich wie die eAU.

Zu ihren ersten Erfahrungen mit der eAU haben uns mehr als anderthalb Tausend (1.569) Praxen berichtet – in unserer Online-Befragung Anfang November:

  • Demnach kostet das Ausstellen und Versenden der eAU mehr Zeit als der Papierausdruck, 
  • die Technik ist unausgereift, 
  • das Verfahren beeinträchtigt den Praxisalltag enorm, ohne jeglichen Nutzen für die Praxis,
  • und die Umstellung auf die eAU kostet auch noch viel Geld.

Nur vier Prozent der befragten Praxen konnten bislang erfolgreich eine eAU an die zuständige Krankenkasse versenden. Bei der Hälfte der Befragten war der Versand bis dato noch überhaupt nicht möglich. 

Und leider stellt sich das mitunter erst später heraus. Wenn die Fehlermeldung, dass die eAU der Krankenkasse nicht zugestellt werden konnte, erst 20 Minuten oder sogar einige Stunden später auf dem Bildschirm erscheint – nachdem der Patient oder die Patientin längst die Praxis verlassen hat, im guten Glauben und Vertrauen darauf, dass die eAU bereits auf dem Weg zur Krankenkasse sei. Was macht die Praxis dann?

Hinterhertelefonieren, erklären, Ärger abfangen, ausdrucken, nachsenden. Auch bei der eAU also kann es keinen Zweifel daran geben: Sie fliegt nicht. Zumindest nicht zum 1. Januar. Das ist schon in vier Wochen!

Die gematik hat unsere Forderung nach einer Konsolidierungsphase wieder einmal als grundsätzliche Verweigerungshaltung ausgelegt – gegen die Digitalisierung insgesamt „und überhaupt“. Eine für sie nützliche Missinterpretation.

Uns aber geht es um Zeit für eine erforderliche Reife- und Testphase inklusive gemeinsamer Fehlerbehebung durch Industrie und gematik. Diese Forderung haben auch wir mehrfach gestellt. Nicht zuletzt wegen dieser lähmenden Zeit des schon von Andreas Gassen beschriebenen Interregnums, blieb uns nichts anderes übrig, als eine eigene Notlösung zu finden: mit unserer Richtlinie zur Anwendung der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und des eRezepts.

Ohne sie würde die Arbeitsfähigkeit der Praxen massiv eingeschränkt werden – für wer weiß wie lange. Trotzdem sollten Praxen die jeweils noch fehlenden Komponenten beschaffen, sobald sie verfügbar sind.

Indes fehlen der gematik offenbar die Ressourcen, um technische Fehler zu beseitigen. Sie will auf Teufel-komm-raus ihren Zeitplan erfüllen. Schwarzbrot-Aufgaben wälzt sie zunehmend auf andere ab, beispielsweise Zertifizierungen oder Funktionsprüfungen unter Voll-Last. Man springt lieber von Innovation zu Innovation und widmet sich der öffentlichkeitswirksamen Vordenker-Pose. 

Die gematik muss endlich ihrer Betriebsverantwortung gerecht werden, von Z bis A: von der Zulassung bis zur Anwendungskontrolle. Das wäre beispielsweise bei der Kommunikation-im-Medizinwesen (KIM) mit dem KIM-Dienst dringend erforderlich. 

Aber das sollen stets die anderen ausbaden. Konkret unter anderem die Praxen.
Das könnte sich mit dem Regierungswechsel noch verschärfen. Im Koalitionsvertrag ist die Rede davon, die gematik in eine Digitalisierungsagentur umzuwandeln – Andreas Gassen hat es ja bereits erwähnt. Der kurze Satz im Koalitionsvertrag lässt viel Raum für Interpretationen.

Gemeinhin bedeutet Agentur rein staatlich gelenkt. Aus den 51 Prozent des BMG würden dann 100 Prozent werden – und alle Leistungserbringer-Organisationen sowie Kostenträger wären zu 100 Prozent draußen. Dabei bezahlt die gesetzliche Krankenversicherung alles aus den Mitgliedsbeiträgen ihrer Versicherten.

Schon jetzt lässt sich beobachten, wie die gematik die Gesellschafter übergeht. Da ist es glatter Hohn, wenn der gematik-Chef in den Medien die Gesellschafter dazu aufruft, künftig besser zusammenzuarbeiten.

Zugleich sucht die gematik den direkten Kontakt zu wenigen ausgewählten Mitgliedern der Gesellschafter-Organisationen – um dann einzelne positive Feedbacks als repräsentativ zu verkaufen und uns die Legitimation abzusprechen, für die jeweilige Basis zu sprechen.

Dann heißt es, die gematik habe „doch mit den Krankenkassen gesprochen, oder mit den Ärzten“ – und die würden das ganz anders sehen, als wir und die anderen Gesellschafter dies darstellen.

Das ist ganz klar: der Versuch, die Selbstverwaltung zu umgehen. Hier werden also deutlich erkennbar die Weichen dafür gestellt, die Gesellschafter aufs Abstellgleis zu schieben. Also diejenigen, die scheinbar zu viel Realitätssin bewiesen haben.

Da sehen wir akuten Gesprächsbedarf mit der neuen Bundesregierung. 
Dass wir nicht nur eine Neuausrichtung der TI brauchen, sondern auch eine der gematik, das habe ich schon mehrfach – auch in diesem Kreis – angemahnt.

Derweil tritt der Noch-Minister die Motivationsbremse noch weiter durch und wirft in den letzten Wochen seiner Amtszeit den Ärzten und Psychotherapeuten das vor, was er selbst verursacht hat. Ihnen sei die Digitalisierung pauschal „zu anstrengend, zu schnell und zu teuer“. 

Ja. Die Digitalisierung ist anstrengend, weil sie trotz pandemiebedingter Belastungen unbeirrt durchgedrückt wird. Weil sie noch nicht funktioniert, weil sie Versorgungsrealitäten außer Acht lässt und weil sie so schlecht gemacht ist, dass sie viel Zeit und Nerven kostet – ohne einen erkennbaren Mehrwert zu liefern.

Ja. Die Digitalisierung ist für die Praxen auch zu schnell, weil die Technik noch nicht soweit ist, um im Praxisalltag zu bestehen.

Und ebenfalls ja. Die Digitalisierung ist zu teuer, weil den Ärzten und Psychotherapeuten Sanktionen drohen für Dinge, die sie selbst nicht steuern können. Und weil sich das politisch vorgegebene Finanzierungssystem wie im ständigen Hase-Igel-Spiel zwischen Finanzierungsvereinbarung und teils monopolistischer Preisgestaltung im Kreise dreht – zum Nachteil der Praxen.

Wir stellen eine zunehmende Diskrepanz zwischen den Beträgen fest, die durch die Erstattungspauschalen gedeckt sind, und den Preisen, die die Industrie tatsächlich in Rechnung stellt. Das Ausmaß dieser Unterfinanzierung schwankt je nach Hersteller und Konfiguration der jeweiligen TI-Ausstattung, aber wir müssen vermutlich von etwa 9.000 Euro für fünf Jahre ausgehen. Vielen Dank auch an Dr. Kalbe aus der KV Niedersachen für Ihre hilfreichen Hinweise. 

Der Markt hat sich eben nicht wie versprochen selbst reguliert. Er hat vielmehr die gesetzliche Nachfrage-Garantie ausgenutzt. Diese steigt sogar noch, wenn im kommenden Jahr die ersten Konnektoren ablaufen, funktionsuntüchtig werden und nach jetzigem Stand vermutlich ausgetauscht werden müssen. Hierfür brauchen wir unbedingt eine ausreichende Finanzierungsvereinbarung. Wenn wir bis zum Jahresende kein zufriedenstellendes Ergebnis erreichen können, werden wir ins Schiedsamt gehen.

Aber ist all das ernsthaft den Ärztinnen und Ärzten sowie Pschotherapeutinnen und Psychotherapeuten vorzuwerfen?

Nein. Und schon gar nicht als Pauschalvorwurf im Sinne einer allgemeinen Verweigerungshaltung gegenüber dem digitalen Fortschritt.

Antoine de Saint-Exupéry hat in seinem Buch „Citadelle – Die Stadt in der Wüste“ schon festgestellt: „Wenn Du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Männer zusammen, um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen; sondern lehre die Männer die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.“

Nicht nur hat Jens Spahn diese Weisheit missachtet. Er hat auch noch die Männer beschuldigt, dafür verantwortlich zu sein, dass der Wald so viele Jahre braucht, um ausreichend Holz für das Schiff zu liefern!

Meine Damen und Herren,

auch so kurz vor Weihnachten sind wir hier nicht bei „Wünsch´ Dir was“, aber einen Wunschzettel haben wir natürlich schon – auch an die neue Bundesregierung:

  • Die bereits erwähnte Konsolidierungsphase steht da ganz oben drauf.
  • Auch eine Finanzierung, die alle Kosten abdeckt – und am Verursacherprinzip ausgerichtet ist. Als die Politik den Auftrag gab, Praxisverwaltungssysteme schnell an die EU-Corona-App anzubinden, hat sie die Kosten aus dem Staatshaushalt bezahlt. Das hat die Industrie motiviert und die Sache insgesamt positiv beschleunigt. Dieses Finanzierungsmodell könnte als Vorlage dienen.
  • Wir wünschen uns auch Fristen, die die Industrie pünktlich und praxisreif einhalten kann.
  • Evidenzbasierte Anwendungen für die Versorgung.
  • Und schließlich eine klare und sachdienliche Arbeitsteilung:
     

Der Staat schafft gute Rahmenbedingungen im Sinne der Daseinsfürsorge, anstatt selbst Apps zu entwickeln. Das überlässt er der Industrie, von der Entwicklung bis hin zur echten Marktreife. Zulassungsbehörden wie die gematik übernehmen die Prüfung und Freigabe:

der einzelnen Komponenten und der gesamten Prozesskette. Und die Ärzte sowie Psychotherapeuten steigen dann erst mit Installation und Nutzung ein. Davor, daneben und damit bringen Sie durch uns Ihre Expertise und den Praxisbezug ein – und kümmern sich in erster Linie um ihre Hauptaufgabe: die Versorgung ihrer Patientinnen und Patienten. 

Das sind wahrlich keine vermessenen Wünsche.

Diese richten wir auch nicht allein an die neue Bundesregierung, die Gesundheitsministerkonferenz (GMK) und damit die Landesregierungen sind ebenfalls unsere Adressaten. Die GMK scheint verstanden zu haben, worauf es nun ankommt. Sie hat Anfang November auch zu Digitalisierung und Bürokratie Beschlüsse gefasst:

  • Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) und das BMG sollen prüfen, inwieweit Dokumentations- und Nachweispflichten abgebaut werden können;
  • und wie die Digitalisierung dazu genutzt werden kann, um die Bürokratielast zu reduzieren.

Die Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Digitalisierung im Gesundheitswesen“ hat zudem den Auftrag, der Gesundheitsministerkonferenz schon in Kürze einen Bericht vorzulegen, unter anderem „für eine künftige Gesundheitsdaten- und Digitalisierungsstrategie im Gesundheitssektor“, insbesondere mit Empfehlungen zu Maßnahmen, die Bund und Länder gemeinsam vorantreiben sollen.

Auch deshalb ist uns so wichtig, den bewährten engen Austausch zwischen Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen)und Kassenärztlicher Bundesvereinigung (KBV) fortzusetzen, den Andreas Gassen vorhin angesprochen hat – denn auch bei der Digitalisierung spielt die Musik auf allen politischen Ebenen. 

Wir begrüßen ausdrücklich, dass die Ampelkoalition künftig die Digitalisierung an der Versorgung ausrichten will. Um sie in diesem Sinne gemeinsam, pragmatisch und vorwärtsgerichtet zu gestalten, stehen wir bereit: mit unserer Erfahrung und auch mit den bisher gemachten Erfahrungen mit der TI 1.0.

Die Digitalisierung für morgen gestalten wir am besten gemeinsam und gemeinschaftlich für alle, nicht auseinanderdividiert für einzelne Gruppierungen, sondern im Interesse der Patientinnen und Patienten. Das können wir im KV-System, das für die gesamte Vertragsärzteschaft steht, organisieren. Wir wollen mit der neuen Bundesregierung und mit der neuen Leitung des BMG in einen konstruktiven und offenen Dialog treten. 

Dabei müssen wir also durchaus auch in die Zukunft blicken können, auch wenn das eine Herausforderung ist, wie ich eingangs beschrieben habe: Was brauchen die Praxen in den kommenden fünf bis 15 Jahren für eine digital gestützte gute Versorgung ihrer Patientinnen und Patienten?

Und was wird – beziehungsweise soll – technisch alles möglich sein? Das wird weit darüber hinausgehen (müssen), dass Cloudlösungen schon in naher Zukunft Primärsysteme wie Praxisverwaltungssysteme ablösen, was einen geringeren Aufwand für alle verspricht – und mit Gewissheit kommen wird.

Was schon da ist: zahlreiche Medizinische Informationsobjekte (MIO). In so kurzer Zeit hat das MIO-42-Team alle „bestellten“ MIOs geliefert. Impfpass, Kinderuntersuchungsheft (U-Heft für Kinder), Mutterpass und Zahn-Bonus-Heft sind wie geplant fertig.

In Arbeit sind Patientenkurzakte, Überleitungsbogen, Krankenhaus-Entlassbrief und die nächste Stufe des Mutterpasses. Außerdem das Toolkit für digitale Gesundheitsanwendungen (DIGA). Es soll die inhaltliche Kommunikation zwischen Apps auf Rezept und PVS verbessern.

Unerfreulich ist dagegen, dass die Arbeitsergebnisse zwar breit gelobt, aber noch kaum genutzt werden können. Wie wir hören, werden zwei von drei Konnektor-Herstellern ihre zugelassenen Updates für die elektronische Patientenakte (ePA) 2.0 und damit die Nutzung der MIOs frühestens zum Ende des ersten Quartals bereitstellen. Anregend wirkt hoffentlich unser Connectathon in der kommenden Woche.

Eine Online-Veranstaltung, in der Software-Hersteller MIO-Beispieldateien austauschen und die Interoperabilität mit verschiedenen IT-Systemen testen können.

Unser Ziel ist es dabei, frühzeitig dafür zu sorgen, dass die MIOs reibungslos in der ePA genutzt werden können, sobald die erforderlichen Updates zur Verfügung stehen. 

Denn für einen Erfolg der ePA sind strukturierte Daten und ihre reibungslose Verzahnung auch mit dem Praxisverwaltungssystem unverzichtbar. Das zeigen die Erfahrungen aus Dänemark. Immerhin schon mehr als 15 Jahre. Dort fehlen solche strukturierten Daten wie unsere MIOs, und so kann die elektronische Patientenakte ihre erhoffte Versorgungswirkung nicht entfalten.

Ein weiterer Grund für den begrenzten Erfolg der dortigen ePA: Nach einem Datenskandal 2014 hat die zuständige Ärzte-Organisation den Datentransfer gestoppt. Und noch immer ist das Misstrauen der Ärztinnen und Ärzte zu groß. 

Liebe Mitglieder der Vertreterversammlung,

was wir in den zurückliegenden Wochen und Monaten zunehmend erkennen mussten, ist, wie groß das Risiko ist, dass Cyber-Kriminelle die Versorgung in Praxen lahmlegen. 

Auch die Angriffe auf die Bayerische Krankenhausgesellschaft am Montag oder auf den PVS-Hersteller medatixx vor mehr als einer Woche zeigen: Das deutsche Gesundheitswesen ist zunehmend Zielscheibe für Cyber-Kriminelle. 

Allerdings allein durch diesen Angriff auf medatixx lässt sich keineswegs seriös schließen, dass beispielsweise die TI insgesamt unsicher wäre.

Unsere IT-Sicherheitsfachleute haben sich mit den Cybercrime-Fachleuten des Landeskriminalamtes Berlin ausgetauscht sowie mit IT-Dienstleistern. Diese berichteten von Praxen, die tagelang nicht mehr auf das PVS zugreifen konnten. 

Am 1. Januar tritt die nächste Stufe der jetzigen IT-Sicherheitsrichtlinie in Kraft. Ich kann hier nur an die Praxen appellieren: Nehmen Sie die Gefahr ernst, schützen Sie Ihren Praxisbetrieb und holen Sie sich fachkundige Dienstleister an Ihre Seite. Es ist schon allein deshalb gut, einen festen Dienstleister Ihres Vertrauens zu haben, weil Sie den in genau einem solchen Alarmzustand nach einer Cyberattacke nicht erst mühsam recherchieren und finden müssen, sondern direkt zu Hilfe rufen können.

Gleichwohl wird immer offenkundiger: Die Praxen brauchen eine Finanzierung für alle Schutzmaßnahmen, die die fortschreitende gesetzlich angeordnete Digitalisierung erforderlich macht.

Die Digitalisierung wird politisch nicht allein vom BMG und der gematik vorangetrieben, sondern auch auf EU-Ebene. Die Kommission hat ihre Digitalisierungs- und Datenaustauschpläne bis 2030 vorgestellt. Sie fordert und fördert demnach unter anderem digital hoch qualifizierte Fachkräfte und eine EU-weite ePA.

Wie Stephan Hofmeister bereits berichtet hat, müssen wir auch in Brüssel am Ball bleiben, denn was dort ausgeheckt wird, ist durchaus von enormer Tragweite hierzulande.

Wie beispielsweise mit solch besorgniserregenden Vorhaben wie der bereits mehrfach diskutierten E-Evidence-Verordnung. Im Dezember gibt es dazu auf Bundesebene einen Termin, zu dem das Bundesjustizministerium eingeladen hat – unter anderem auch die KBV. Wir werden uns auch dort dafür starkmachen, die drohenden Zugriffsmöglichkeiten auf Praxis- und Patientendaten durch ausländische Ermittlungsbehörden doch noch zu kippen.

Wo wir uns ebenso stark gemacht haben, ist die sektorenübergreifende Qualitätssicherung (sQs). Denn auch, wenn Corona und die TI alles überlagern, so arbeiten wir natürlich auch an anderen Fachthemen weiter. Dazu zählt insbesondere auch die sQS.  

Hier zeichnen sich erste zarte Erfolge ab. Es gibt positive Signale aus G-BA und dem Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG). Beispielsweise hat sich Frau Maag im Ärzteblatt wohlwollend geäußert, als Reaktion auf Ihre VV-Resolution im September mit der Forderung einer Neuausrichtung der sQS.

In dem Interview sagte sie, sie könne sich vorstellen, dass der G-BA Mitstreiter der KBV beim Abbau der Bürokratie in der sQS werden könnte. Vor allem erhalten wir Zuspruch bei unserer Forderung, mehr Routinedaten zu nutzen und den Aufwand für die Dokumentation zu reduzieren.

Ich verspreche Ihnen: Wir bleiben auch hier am Ball. Manche unserer Forderungen bedürfen gesetzlicher Änderungen. Und so werden wir jetzt die Chance nutzen, bei der Ampelkoalition für die nötigen Gesetze für eine sinnvolle Neuausrichtung der sQS zu werben.

Eine weitere Entlastung für die Praxen soll die digitale Kodierunterstützung werden, direkt und aktiv unterstützend im PVS. Sie sollte – wie so vieles – am 1. Januar starten. Aber jetzt zeigt sich, dass auch die Industrie nicht in der Lage ist, diese Kodierunterstützung flächendeckend in den Praxen zu etablieren.

Deshalb bitten wir Sie heute um Zustimmung zu unserem Vorschlag einer Anpassung der entsprechenden Richtlinie, den wir Ihnen gleich vorlegen werden. Es geht im Kern darum, den verpflichtenden Start in den Praxen auf jeweils den Zeitpunkt zu verlegen, zu dem die Software vorhanden und installiert ist – spätestens aber ab dem 1. Juli des kommenden Jahres.

Über zumindest eines der Praxisverwaltungssysteme hören wir derzeit Beunruhigendes: dass bei Eingabe bestimmter Diagnosen Werbung für eine vermeintlich passende DiGA auf dem Bildschirm erscheint. Für diese unnötige Programmierarbeit war offenbar Zeit und Personal vorhanden. 

Von der Arzneimittelverordnung kannten wir solche unlauteren Versuche, die wir damals wirksam unterbunden haben. Dies werden wir auch hinsichtlich Apps auf Rezept tun. Allerdings sind uns hier vorübergehend gesetzlich die Hände gebunden. Sobald es uns möglich ist, werden wir aber die erforderlichen Regelungen treffen. Zum 1. Januar 2023.

Liebe Mitglieder der Vertreterversammlung,
ob ich Ihnen bei unserer nächsten Zusammenkunft im kommenden Jahr erfreulichere Nachrichten überbringen kann, vermag ich nicht vorherzusagen. Ich verspreche Ihnen aber, unser voller Einsatz ist garantiert.
Und so bleibt mir noch, Ihnen „trotz allem“ frohe Festtage zu wünschen und ein anderes „2G“, nämlich ein gesundes und glückliches neues Jahr! 

Vielen Dank
 

 

(Es gilt das gesprochene Wort.)

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