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Reden

Bericht von Dr. Stephan Hofmeister an die Vertreterversammlung

Sitzung am 4. März 2022

Sehr geehrte Damen, sehr geehrte Herren,

auch ich begrüße Sie, erneut digital, zur Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) und hoffe, dass es dieses Mal wirklich die letzte in diesem Format sein wird.

Es fällt mir schwer, heute erneut über die Pandemie, aber auch über all die anderen Themen zu sprechen, die uns als Kassenärztliche Vereinigungen (KVen) unter normalen Umständen beschäftigen würden und müssten.

Auf schreckliche Weise wurden wir „refokussiert“! Naturkatastrophen, aber eben auch übertragbare Erkrankungen sind Teil dessen, was wir als eine der vielen Spezies auf diesem Planeten ertragen und womit wir in Demut umgehen müssen.

Sie sind in gewissem Sinne schicksalhaft und gehören dazu. Krieg ist nicht schicksalhaft. Er ist ein von Menschen gemachter Willkürakt und damit nie unvermeidbar.

Wir haben jetzt wieder Krieg in Europa. Einen Krieg, der dadurch begonnen hat, dass eine souveräne Staatsmacht mit Panzern und Soldaten die Grenze eines anderen souveränen Staates überschritten hat.

Eine solche Invasion fand in Europa zuletzt vor über 80 Jahren statt. Damals war es der Beginn eines Weltkrieges. Natürlich wollen wir alle nicht glauben, dass es noch einmal so weit kommen könnte. Aber dies ist die Bedrohung, der Deutschland und die Welt sich jetzt stellen müssen!

Es ist schon bitter, dass es offenkundig eines kriegerischen Aktes bedarf, um die zweijährige, täglich vor allem als Angstbotschaft geführte Berichterstattung zu Corona von Platz eins der Nachrichten zu verdrängen. 

Die Ereignisse zeigen, wie wichtig es ist, dass wir endlich rauskommen aus dem „Corona-Tunnel“.

Seit zwei Jahren beschäftigen wir uns tagein, tagaus mit diesem Virus, wir debattieren immer noch über Dinge wie Genesenenstatus und Schnelltests, während eine europäische Hauptstadt unter Raketenbeschuss liegt und die Menschen fliehen – auch zu uns nach Deutschland.

Ich frage mich wirklich, ob wir hierzulande noch die richtigen Prioritäten setzen, bei dem, womit wir uns beschäftigen. Immerhin: Ein Umdenken findet statt.

Wir müssen erkennen, dass es noch weit gefährlichere Entwicklungen in unserem unmittelbaren Umfeld gibt, deren möglicher Eintritt in den letzten Jahrzehnten politisch und gesellschaftlich völlig verdrängt wurde. Auf einen Krieg in Europa sind wir noch weniger vorbereitet, als auf eine Pandemie.

Es ist Zeit aufzuwachen!

Natürlich müssen wir, die wir uns um die Versorgung in Deutschland zu kümmern haben, uns auch weiter mit dem Thema Corona befassen und tun das auch. Im Hinblick auf das Virus heißt das: Impfen, vor allem die vulnerablen Bevölkerungsgruppen, Produktions- und Lieferkapazitäten an Impfstoffen und Medikamenten sichern und dafür sorgen, dass die Praxen den hervorragenden Job, den sie bislang gemacht haben, weitermachen können – aber mit mehr Verlässlichkeit und Berechenbarkeit und mit weniger Improvisation als bisher.

Gestern Abend war Bundesgesundheitsminister Lauterbach bei uns zu Gast, um seine Pläne vorzustellen und Fragen von Ärztinnen und Ärzten, Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten sowie der Vertreterversammlung zu beantworten. Ich danke dem Minister ausdrücklich, dass er sich trotz der aktuellen Ereignisse die Zeit genommen hat, uns Rede und Antwort zu stehen. 

Viele Zuschriften, die uns im Zusammenhang mit dieser Fragestunde erreicht haben, kritisieren vor allem die sich immer wieder ändernden komplexen und inkonsistenten Regelwerke, die dann auch noch inkonsequent umgesetzt werden und dadurch willkürlich erscheinen.

Diejenigen, die das an vorderster Stelle ausbaden müssen, sind die Medizinischen Fachangestellten (MFA) in den Praxen.

Die Forderung, dass auch sie endlich einen staatlichen Bonus für ihre Verdienste in zwei Jahren Pandemie erhalten müssen, ist eine derjenigen, die die KV-Mitglieder am häufigsten an den Minister gestellt haben und die auch wir aufrechterhalten.

Der sogenannte Pflegebonus, der nun kommen soll, ist in seiner Komplexität – wer kriegt wann wie viel? – an sich schon schwer verdaulich.

Für die MFA ist er allerdings geradezu ein Hohn, anders kann man es nicht sagen. Selbst diejenigen Beschäftigten in Krankenhäusern und Einrichtungen, die nur ein Viertel ihrer Arbeitszeit in der Pflege zubringen, können demnächst einen Bonus erhalten, während Hunderttausende MFA, die Vollzeit plus unzählige Überstunden und oft zusätzlich an Wochenenden arbeiten, um die Impfkampagne am Laufen zu halten, zum wiederholten Male leer ausgehen.

Um es – noch einmal – klar zu sagen: Ohne die MFA könnte keine Arztpraxis das leisten, was sie leistet. Der Corona-Impfturbo mit bislang über 84 Millionen Impfungen allein in den Praxen wäre schlichtweg nicht möglich gewesen.

Hinzu kommt: Es waren vor allem und ganz besonders die MFA, welche die kommunikativen Fehlleistungen der Politik gegenüber den Patientinnen und Patienten aufzufangen hatten. Allein dafür gebührt ihnen gewissermaßen Schmerzensgeld seitens des Staates. Wir haben gestern dazu Verständnis, aber leider noch keine Zusage gehört.

Die deutsche Pandemiepolitik zeichnet sich durch zwei entgegengesetzte Phänomene aus: einerseits durch ein Zaudern und Hinauszögern von Entscheidungen, bis diese sich quasi selbst überholt haben – siehe Impfpflicht. Andererseits wiederholte Richtungswechsel und teilweise Über-Nacht-Entscheidungen.

Beides führt zu Vertrauensverlust. Auch für uns als KBV war und ist es eine tägliche Herausforderung, die Wirkung des Gesagten oder Nicht-Gesagten im Auge zu behalten und wir nehmen das sehr ernst.

Wir alle brauchen ein gewisses Maß an Berechenbarkeit und damit Verlässlichkeit. Das gilt in der Politik genauso wie beim Pandemiemanagement und es gilt auch bei all den anderen Dingen, die uns gerade beschäftigen, zum Beispiel die Digitalisierung.

Auch hier gab es ja in Bezug auf die Einführung des elektronischen Rezepts (eRezepts) in letzter Minute eine Kehrtwende. Das war auch richtig so, aber viel besser wäre es, wenn derartige Manöver gar nicht notwendig wären. Noch einmal: Wir brauchen von der Politik verlässliche Zusagen.

Bezogen auf das eRezept heißt das etwa: Es wird umgesetzt, wenn es funktioniert, dann aber wirklich. Thomas Kriedel wird sich gleich damit befassen und auch hierzu hat sich der Minister gestern Abend deutlich geäußert.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

ich sprach eingangs von der Notwendigkeit, den Blick aus dem „Corona-Tunnel“ hinaus zu richten. Es gibt eine ganze Reihe wichtiger Versorgungsthemen, um welche wir und die Gesundheitspolitik sich kümmern müssen.

Dazu gehört die immer noch schwelende Reform der Notfallversorgung, dazu gehört die Zusammenarbeit ambulant/stationär, wie Andreas Gassen in Bezug auf das ambulante Operieren bereits ausgeführt hat.

Generell geht es um die Frage, wie die Zusammenarbeit auch mit nichtärztlichen Gesundheitsfachberufen, die ja auch im Koalitionsvertrag mehrfach erwähnt werden, künftig gestaltet wird. Hier sind wir offen für konstruktive Vorschläge und bringen eigene Vorschläge ein.

Es kann aber keine Lösung sein, Lücken in der Versorgung, die etwa durch den ärztlichen Nachwuchsmangel entstehen, durch andere Professionen schließen zu wollen – erst recht, wenn diese Kräfte dann wieder an anderer Stelle fehlen.

Wenn die Decke zu kurz ist, ist sie zu kurz, egal an welchem Ende man zieht. Ganz absurd wird es, wenn Ärzte sogar dann ersetzt werden sollen, wenn es gar keine Mangelsituation gibt – jüngstes Beispiel: das Impfen. Zwar bestätigen die geringen Zahlen von Impfungen in Apotheken, dass hier mitnichten ein Bedarf besteht.

Aber das Tor ist aufgestoßen und zumindest die politische Vertretung der Apotheken auf Bundesebene, namentlich die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA), ist sich auch nicht zu schade, den Rammbock einzusetzen. Ein solch aggressives Eindringen in das ärztliche Tätigkeitsfeld – mit allen damit verbundenen Folgen für die Versicherten – werden wir nicht hinnehmen.

Es ist ohnehin erstaunlich, dass die Apotheker immer neue und zusätzliche Aufgaben, gerade in der Pandemie übernehmen wollen, gleichzeitig aber die ABDA selbst erst kürzlich in einer Pressemitteilung die stetig sinkende Zahl der Apotheken beklagt und warnt, dass damit „das Fundament des Arzneimittelversorgungssystems zu erodieren“ drohe.

Wenn dem so ist, dann wäre doch das Dispensierrecht für Ärzte im Not- und Bereitschaftsdienst ein erster Schritt, um die Versorgung zu sichern – und zwar gerade in Situationen, in denen es wirklich darauf ankommt. Kein Patient versteht, wieso ein Bereitschaftsarzt des Nachts ihm nur ein Rezept in die Hand drücken kann, mit dem er dann zur Notapotheke laufen darf.

Die Möglichkeit für Ärzte, in solchen Fällen selbst das Medikament ausgeben zu können, wäre eine Maßnahme, deren unmittelbarer Nutzen für die Patienten deutlich höher wäre als die Tatsache, dass ein paar hundert Apotheken im Land zusätzlich impfen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, 

ein Thema, mit dem alle konfrontiert werden, ist der steigende Kostendruck im Gesundheitswesen. Bisherigen Berechnungen zufolge hat die gesetzliche Krankenversicherung im vergangenen Jahr – einschließlich pandemiebedingter Sonderausgaben – über 270 Milliarden Euro ausgegeben.

Für dieses Jahr werden Ausgaben von 284 Milliarden prognostiziert, der notwendige Bundeszuschuss erhöht sich auf über 28 Milliarden Euro; trotzdem liegen die Beiträge durch steigende Zusatzzahlungen auf Rekordniveau. Man muss kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass Kostendämpfungsmaßnahmen in den nächsten Jahren die politische Agenda bestimmen werden.

Zwar liegt der Fokus hierbei bislang vor allem auf dem Krankenhaus- und dem Arzneimittelbereich, gleichwohl wird darauf zu achten sein, dass die ambulante Versorgung nicht unter die Räder kommt.

Die Krankenkassen wiederum suchen nach Möglichkeiten, die Löcher zu stopfen. Ein beliebtes Mittel hierfür: Wirtschaftlichkeitsprüfungen und Regressforderungen. Neben ungerechtfertigten Maximalforderungen geht es auch um Prüfanträge über Klein- und Kleinstbeträge, mit denen die Kassen manche KV überschwemmen.

Dabei liegen die Kosten der Prüfverfahren regelhaft deutlich höher, als die in Frage stehenden Regressbeträge. Ganz aktuell liegen in einigen KV-Regionen wieder Anträge einiger regionaler Kassen vor, die entweder in völliger Unkenntnis der Sachverhalte, durch Schlamperei oder gar mutwillig völlig unzureichend begründet oder belegt sind.

In der Vertreterversammlung im Dezember vorigen Jahres haben Sie uns als Vorstand gebeten, dieses Thema an die Politik zu adressieren. Wir haben uns mit einem Brief an Bundesgesundheitsminister Lauterbach gewandt und darin folgende Vorschläge für eine Neuordnung der Wirtschaftlichkeits- und Abrechnungsprüfung in der vertragsärztlichen Versorgung gemacht:

  1. Einführung einer Bagatellgrenze von 200 Euro pro Kasse, Quartal und Praxis.
  2. Einführung einer Aufwandsentschädigung in Höhe von 300 Euro für Prüfanträge, die nicht zu einer Maßnahme führen. Dieser Betrag entspricht den durchschnittlichen Bearbeitungskosten eines Prüfantrags und soll gewährleisten, dass die Krankenkassen eine Vorabprüfung durchführen, bevor sie einen Antrag bei der KV stellen.
  3. Jede Kasse soll nur noch einmal pro Quartal und Praxis Prüfanträge stellen können, damit sollen Mehraufwände vermieden werden. 
  4. Soweit ein Regress durch den Wechsel einer Krankenkasse hervorgerufen wird, sollte dies unter den Kassen selbst abgewickelt werden und nicht über die Abrechnungsprüfung der KV.
  5. Eine Verpflichtung der Krankenkassen, einer Mehrfach-Inanspruchnahme von ärztlichen Leistungen durch Versicherte entgegenzuwirken, da viele Regresse aus einem solchen „Ärzte-Hopping“ resultieren.
  6. Der Grundsatz „Beratung vor Regress“ soll auch bei Einzelfallprüfungen im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfungen gelten.
  7. Keine Prüfanträge beim Bezug von Impfstoffen, sofern diese wegen Lieferengpässen als Einzeldosen bestellt werden.
  8. Kein Regressrisiko bei der Verordnung von Grippeschutzimpfstoffen, da hier der tatsächliche Bedarf bei der Bestellung mehrere Monate im Voraus nicht kalkulierbar ist.

Das bringt mich zum Verfahren vor dem Bundesschiedsamt wegen der Rahmenvorgaben zur Wirtschaftlichkeitsprüfung ärztlich verordneter Leistungen.

Wie Ihnen bekannt ist, hat der GKV-Spitzenverband im Frühjahr 2021 die Rahmenvereinbarung mit Wirkung zum 31. Oktober letzten Jahres gekündigt. Nachdem die Neuverhandlungen Anfang November gescheitert waren, stehen wir jetzt vor dem Bundesschiedsamt.

Dabei geht es insbesondere darum, dass Ärztinnen und Ärzte bei Regressen nur den Differenzbetrag zwischen der wirtschaftlichen und der tatsächlich verordneten sowie als unwirtschaftlich erachteten Leistung zurückzahlen müssen.

Hinsichtlich der zunächst strittigen Verkürzung der Prüffristen von vier auf zwei beziehungsweise zweieinhalb Jahre gab es nach der Kündigung durch den GKV-Spitzenverband ja eine gesetzliche Klarstellung durch das Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz. Wir rechnen mit einer Entscheidung des Bundesschiedsamts im Mai.

Auch bei einem anderen Thema haben wir uns an den Minister gewandt, um auf eine – in diesem Fall noch drohende – Fehlentwicklung hinzuweisen, welche die ärztliche Berufsfreiheit und damit die Versorgung gefährden könnte.

Das Bundesozialgericht (BSG) hat am 26. Januar 2022 entschieden, dass Medizinische Versorgungszentren (MVZ) keine Ärzte anstellen dürfen, die hierfür auf ihre Zulassung verzichten, wenn diese Ärzte gleichzeitig Gesellschafter jenes MVZ sind.

Zwar liegt die schriftliche Urteilsbegründung noch nicht vor, im Kern geht es jedoch darum, dass ein solcher Arzt mit Gesellschafterstatus seine eigene Weisungsgebundenheit als Angestellter aushebeln könnte. Würde die Entscheidung des BSG in die Praxis gelangen, hätte dies zur Folge, dass eine weit verbreitete Konstruktion ärztlicher MVZ weitestgehend unmöglich gemacht würde.

Da nach den aktuell verfügbaren Daten von 2020 fast ein Viertel aller MVZ in Deutschland (873 = 23 Prozent) auf diesem Gründungsmodell beruhen, hätte das Ganze außerdem gravierende Folgen für die Versorgung.

Wir als Vorstand haben deshalb Bundesgesundheitsminister Professor Karl Lauterbach schriftlich um eine gesetzliche Klarstellung in Paragraf 95, Fünftes Sozialgesetzbuch (SGB V) gebeten, wonach eine gleichzeitige Stellung als Angestellter und Gesellschafter eines MVZ unabhängig von der Rechtsmacht als Gesellschafter weiterhin zulässig sein muss.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, 

vor gut einer Woche hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) sein Arbeitsprogramm für 2022 vorgestellt. Dabei hat der unparteiische Vorsitzende, Professor Josef Hecken, die wachsende Bedeutung dieses höchsten Gremiums der gemeinsamen Selbstverwaltung betont.

Eine Bedeutung, die politisch gewollt, aber auch dem vorhin erwähnten Kostendruck geschuldet sei. Richtig ist, dass hier eine Art Quadratur des Kreises notwendig ist. Einerseits sollen mehr Akteure stärker eingebunden werden, wie etwa die Pflege, aber auch die Patientenvertretung.

Gleichzeitig ist es nötig, Verfahren zu verschlanken, um sie überhaupt noch handhabbar zu halten und in einem zeitlich vertretbaren Rahmen zu Ergebnissen zu kommen. Die Arbeit im G-BA ist sehr zeit- und personalaufwendig, gleichzeitig haben die dort getroffenen Entscheidungen unmittelbare Auswirkungen auf die Arbeit in den Praxen.

Deshalb müssen wir als KBV uns diesen Anforderungen stellen und die entsprechenden Ressourcen bereitstellen. Das wird in Zukunft noch wichtiger sein. 

Apropos Selbstverwaltung: 2022 ist ein Superwahljahr im KV-System. Viele KVen haben bereits ihre Mitglieder informiert und zur Wahl aufgerufen. Auch ich möchte an dieser Stelle alle ärztlichen und psychotherapeutischen Kolleginnen und Kollegen im Land einladen, sich für ihre Selbstverwaltung zu engagieren, indem sie ihr passives und aktives Wahlrecht ausüben.

Dies gilt ganz besonders auch für die jüngeren Kolleginnen und Kollegen. Ich weiß, gerade in den Anfangsjahren als Vertragsärztin oder Vertragsarzt, als Vertragspsychotherapeutin oder -psychotherapeut – die Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten nicht zu vergessen – hat man häufig das Gefühl: „Ich kann mir jetzt nicht auch noch in abendlichen Sitzungen die Zeit um die Ohren schlagen“.

Aber es geht um Ihre Interessen, liebe Kolleginnen und Kollegen, darum, unter welchen Bedingungen Sie künftig arbeiten werden. Deshalb: Nutzen Sie die Chance, mitzubestimmen und zu gestalten! Und wenn Sie denken, „die Inhalte interessieren mich schon, aber die Möglichkeiten der Beteiligung, etwa in der Gremienarbeit, finde ich verbesserungswürdig“ – dann sollten Sie sich erst recht einbringen und vielleicht Veränderungen anstoßen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, 

ich komme zu meinem letzten Punkt, bei dem es auch um Interessenvertretung geht, nämlich um die auf europäischer Ebene. Auch dort liegt das Hauptaugenmerk aktuell zweifellos auf den Ereignissen in Südosteuropa.

Gleichwohl werden auch in Brüssel – nicht zuletzt unter dem Eindruck der Pandemie – große gesundheitspolitische Vorhaben weiter vorangetrieben. So wurde beispielsweise entschieden, die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) mit zusätzlichen Kompetenzen auszustatten.

Dazu gehört die Überwachung von Engpässen in der Arzneimittel- und Medizinprodukteversorgung und die Prävention von Notlagen im Bereich der öffentlichen Gesundheit.

Außerdem wird es unter der jetzigen französischen Ratspräsidentschaft natürlich weiterhin um die Bewältigung der COVID-19-Pandemie gehen, um Maßnahmen gegen Antibiotikaresistenzen, um den Abschluss der Verhandlungen über die neue europäische Agentur HERA, Health Emergency Preparedness and Response Authority, sowie um die Digitalisierung, vor allem den sogenannten Europäischen Gesundheitsdatenraum.

Zu Letzterem haben wir als KBV am 1. März eine digitale Veranstaltung in Brüssel mitorganisiert. Dabei ging es um die Standardisierung interoperabler Datensätze für eine künftige grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung.

Leider konnten wegen kurzfristig anberaumter Sitzungen, anders als ursprünglich geplant, keine EU-Parlamentarier an dem Termin teilnehmen und mit uns diskutieren. Ich habe dennoch deutlich gemacht, dass wir als Ärzteschaft in Deutschland die europäischen Datensammel-Ambitionen, gerade im Hinblick auf Gesundheitsdaten, aufmerksam beobachten.

Wir als KBV und die MIO42 GmbH haben von unseren bisherigen Erfahrungen in Bezug auf die Digitalisierung von Versorgung und die Standardisierung von Daten berichtet, und Sie können sich vorstellen, dass dies keine Jubelarien waren.

Ich habe betont, dass wir uns bei so weitreichenden Entscheidungen nicht nur an der technischen Machbarkeit orientieren sollten, sondern stets hinterfragen müssen, ob und wie die Maßnahmen der Versorgung dienen. Wofür sollen welche Daten genutzt werden und mit welchem Ziel?

Das Gebot der Datensparsamkeit, welches aus gutem Grund in Deutschland gilt, und die Autonomie der EU-Mitgliedsstaaten bei versorgungspolitischen Entscheidungen dürfen nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden. Wir werden diesen Prozess auch auf Brüsseler Ebene weiterhin beobachten und eng begleiten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, 

nun habe ich doch einiges berichtet, was angesichts der aktuellen Ereignisse in der Ukraine zwar in den Hintergrund tritt, aber ja dennoch geschieht. 

Am Ende gehören meine Gedanken heute aber den Menschen in der Ukraine und denen auf der Flucht vor der hemmungslosen Aggression und dem brutalen Krieg, den ein skrupelloser Autokrat angezettelt hat.

Ich bin froh, darauf vertrauen zu können, dass sich alle erneut auf die uneingeschränkte Leistungsbereitschaft und Leistungsfähigkeit des gesamten ambulanten Versorgungssystems zur medizinischen und psychotherapeutischen Versorgung der Flüchtlinge verlassen können.
 

(Es gilt das gesprochene Wort.)