Außerklinische Intensivpflege-Richtlinie
Bei Menschen, die künstlich beatmet werden oder die eine Trachealkanüle haben, kann es jederzeit zu lebensbedrohlichen Situationen kommen. Deshalb ist die ständige Anwesenheit einer geeigneten Pflegefachkraft erforderlich. Auch für nicht beatmete und nicht trachealkanülierte Patienten, bei denen jederzeit lebensbedrohliche Situationen zu unvorhergesehenen Zeiten auftreten können, kann außerklinische Intensivpflege erforderlich sein.
Grundlage für die Verordnung ist seit 1. Januar 2023 die Außerklinische Intensivpflege-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses. Bei der Verordnung muss eine Erhebung des Entwöhnungspotenzials vorliegen und ein Behandlungsplan erstellt werden – beides neue ärztliche Aufgaben. Für die Erhebung und Verordnung ist eine besondere Qualifikation nachzuweisen.
Außerklinische Intensivpflege - So funktioniert das Verordnen
Einige Menschen sind so schwer krank, dass sie eine Trachealkanüle tragen oder künstlich beatmet werden müssen. Lebensbedrohliche Situationen können bei ihnen jederzeit auftreten. Deshalb muss rund um die Uhr eine Pflegefachkraft anwesend sein.
Rund 22.000 Menschen werden hierzulande außerklinisch intensiv gepflegt. Eine Betroffene ist die 42-jährige Martha Müller. Das Krankenhaus hat für sie die Außerklinische Intensivpflege – kurz AKI – verordnet.
Spätestens 7 Tagen danach braucht sie eine Folgeverordnung. Dafür sind die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte zuständig. Das können bestimmte Facharztgruppen sein, aber auch Haus- und Fachärzte mit entsprechenden Qualifikationen und einer Genehmigung ihrer KV.
Seit 2023 regelt eine neue Richtlinie das Verordnen der AKI. Und es gibt drei Formulare: eins für die Verordnung, eins für den Behandlungsplan und eins für die Potenzialerhebung.
Im Fall von Martha Müller kümmert sich ihre Hausärztin Frau Dr. Wagner um die Folgeverordnung. Zunächst überprüft sie, ob ein Anspruch besteht. Ja, denn Art, Schwere und Dauer der Erkrankung verlangen eine ständig anwesende Pflegefachkraft.
Nun muss die Hausärztin kontrollieren, ob bereits eine Potenzialerhebung gemacht wurde. Dabei wird geprüft, ob die betroffene Person perspektivisch auch ohne Beatmung oder Trachealkanüle leben kann. Bei Martha Müller hat das bereits das Krankenhaus erledigt. Andernfalls müsste Frau Dr. Wagner das bei einem Arzt veranlassen, der dafür eine Genehmigung der KV hat.
Das Ergebnis wurde im Formular 62A dokumentiert und der Praxis von Frau Dr. Wagner übermittelt. Es darf nicht älter als drei Monate sein, bei Patientinnen und Patienten ohne Aussicht auf Besserung nicht älter als sechs Monate.
Nun kann Frau Dr. Wagner die AKI verordnen – mit Formular 62B.
Die genauen Therapieziele und pflegerischen Maßnahmen hält sie in Formular 62C fest.
Alle 3 Formulare gehen nun an die Krankenkasse. Die genehmigt die AKI für Martha Müller, zeitlich begrenzt auf 6 Monate. Denn bei ihr besteht die Chance, dass sie in Zukunft auch ohne Beatmung leben kann.
Während dieser Zeit koordiniert Frau Dr. Wagner die Behandlung, genau passend für Martha Müller. Bei Bedarf in Absprache mit dem Arzt, der das Potenzial erhoben hat, mit dem Beatmungsgerätehersteller, der Pflegefachkraft und weiteren Beteiligten.
Nach sechs Monaten muss Frau Dr. Wagner den Prozess wiederholen, um erneut eine Folgeverordnung auszustellen.
Wird zwei Jahre in Folge bei den Potenzialerhebungen festgestellt, dass keine Aussicht auf eine Verbesserung vorliegt, wird das auf Formular 62b vermerkt. Verpflichtende Erhebungen vor jeder Verordnung entfallen dann.
Dank der AKI-Vorgaben wird bei Martha Müller und anderen schwerkranken Menschen nun häufiger geprüft, ob eine Entwöhnung möglich ist - und somit ein Leben ohne künstliche Beatmung oder Trachealkanüle.
Soll-Regelung zur Potenzialerhebung
Noch bis Ende 2024 gilt, dass vor der Verordnung von außerklinischer Intensivpflege eine Potenzialerhebung durchgeführt werden soll – nicht muss. Das bedeutet: Falls keine zur Potenzialerhebung qualifizierte Person verfügbar ist, kann davon ausnahmsweise abgesehen werden. Dies muss auf dem Verordnungsformular 62B unter „Weitere Erläuterungen" ärztlich dokumentiert werden. Ab 1. Januar 2025 muss grundsätzlich vor jeder Verordnung eine Potenzialerhebung vorliegen.
Ablauf und ärztliche Qualifikation
Vor der Verordnung von außerklinischer Intensivpflege sollen Ärzte prüfen, ob eine Potenzialerhebung für eine Entwöhnung vorliegt. Voraussichtlich ab 1. Januar 2025 wird die Potenzialerhebung verpflichtend sein. Die Potenzialerhebung ist mindestens alle sechs Monate durchzuführen und darf zum Zeitpunkt der Verordnung nicht älter als drei Monate sein.
-
-
- Hausärzte und alle weiteren Vertragsärzte mit Kompetenzen im Umgang mit beatmeten oder trachealkanülierten Patienten. Sie benötigen eine Genehmigung der Kassenärztlichen Vereinigung, die sie beantragen müssen.
- Fachärzte mit Zusatzbezeichnung Intensivmedizin / für Innere Medizin und Pneumologie / für Anästhesiologie / für Neurologie / für Kinder- und Jugendmedizin. Sie benötigen keine Genehmigung.
- Fachärzte mit Genehmigung zur Potenzialerhebung. Sie benötigen eine Genehmigung für die Potenzialerhebung, aber keine für die Verordnung von außerklinischer Intensivpflege.
Dies gilt in gleicher Weise für Ärzte in ermächtigten Einrichtungen (z.B. Institutsambulanzen, Sozialpädiatrische Zentren), die als Leistungserbringer an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen.
-
-
- Fachärzte mit der Zusatzbezeichnung Intensivmedizin,
- Fachärzte für Innere Medizin und Pneumologie,
- Fachärzte für Anästhesiologie mit mindestens 6-monatiger einschlägiger Tätigkeit in der prolongierten Beatmungsentwöhnung auf einer auf die Beatmungsentwöhnung von langzeitbeatmeten Versicherten spezialisierten Beatmungsentwöhnungs-Einheit,
- Fachärzte für Innere Medizin, Chirurgie, Neurochirurgie oder Neurologie mit mindestens 12-monatiger einschlägiger Tätigkeit in der prolongierten Beatmungsentwöhnung auf einer auf die Beatmungsentwöhnung von langzeitbeatmeten Versicherten spezialisierten Beatmungsentwöhnungs-Einheit,
- weitere Fachärzte mit mindestens 18-monatiger einschlägiger Tätigkeit in einer spezialisierten Beatmungsentwöhnungs-Einheit
- bei nicht beatmeten Patienten auch Fachärzte mit mindestens 18-monatiger einschlägiger Tätigkeit in einer stationären Einheit der neurologisch-neurochirurgischen Früh-Reha
Für die Potenzialerhebung ist eine Genehmigung der Kassenärztlichen Vereinigung erforderlich.
-
-
- Fachärzte für Kinder- und Jugendmedizin mit der Zusatzbezeichnung Kinder- und Jugend-Pneumologie
- Fachärzte mit jeweils einschlägiger Tätigkeit in der Behandlung von langzeitbeatmeten oder trachealkanülierten, nicht beatmeten Kindern und Jugendlichen auf einer hierfür spezialisierten stationären Einheit, in einer entsprechend hierfür spezialisierten Hochschulambulanz oder in einem entsprechend hierfür spezialisierten sozialpädiatrischen Zentrum:
- Fachärzte für Anästhesiologie: mindestens sechs Monate Tätigkeit
- Fachärzte für Kinder- und Jugendmedizin: mindestens zwölf Monate Tätigkeit
- weitere Fachärzte: mindestens 18 Monate Tätigkeit
Bei jungen Volljährigen kann die Erhebung bei einschlägiger Tätigkeit in der Behandlung von langzeitbeatmeten oder trachealkanülierten, nicht beatmeten Versicherten in einem hierfür spezialisierten medizinischen Behandlungszentrum zusätzlich erfolgen durch:
- Fachärzte für Anästhesiologie: mindestens sechs Monate Tätigkeit
- weitere Fachärzte: mindestens 18 Monate Tätigkeit
Für die Potenzialerhebung ist eine Genehmigung der Kassenärztlichen Vereinigung erforderlich.
Ärztinnen und Ärzte mit der Genehmigung zur Potenzialerhebung können ebenfalls außerklinische Intensivpflege verordnen. Sollte innerhalb eines Gesamtzeitraums der Patientenbeobachtung von mindestens zwei Jahren zweimal in Folge festgestellt und dokumentiert worden sein, dass keine Beatmungsentwöhnung oder Dekanülierung erfolgen kann, ist eine Folgeverordnung auch ohne Potenzialerhebung zulässig.
In diesem Fall gilt einmalig das Vier-Augen-Prinzip: Wer die erste Verordnung ohne Potenzialerhebung durchführt, darf nicht die abschließende Potenzialerhebung durchgeführt haben.
Formulare und Ausfüllhinweise
Für die außerklinische Intensivpflege gibt es drei Formulare:
- Ergebnis der Erhebung: Formular 62A
- Verordnung: Formular 62B
- Behandlungsplan: Formular 62C
Versicherte reichen die Formulare bei ihrer Krankenkasse zur Genehmigung ein. Wie bei anderen gesetzlichen Leistungen müssen sie sich anteilig an den Kosten beteiligen (gesetzliche Zuzahlungspflicht).
Abrechnung und Vergütung
Das Nähere zur Abrechnung und Vergütung von Leistungen zur außerklinischen Intensivpflege ist im Abschnitt 37.7 des EBM geregelt.
Seit 1. Januar 2023 im EBM
-
-
Beschreibung
- Verordnung auf Formular 62B und Behandlungsplan auf Formular 62C, höchstens dreimal im Krankheitsfall
Bewertung
- 167 Punkte / 19,19 Euro
-
-
Beschreibung
- Zuschlag zur Versichertenpauschale oder Grundpauschale für den die außerklinische Intensivpflege koordinierenden Vertragsarzt (gemäß § 12 Abs. 1 der AKI-Richtlinie), einmal im Behandlungsfall
Bewertung
- 275 Punkte / 31,60 Euro
-
-
Beschreibung
- Fallkonferenz gemäß § 12 Absatz 2 der AKI-Richtlinie, höchstens achtmal im Krankheitsfall
Bewertung
- 86 Punkte / 9,88 Euro
Seit 1. Dezember 2022 im EBM
-
-
Beschreibung
- Potenzialerhebung (gemäß § 5 der AKI-Richtlinie) auf Formular 62A, einmal im Behandlungsfall (=Quartal)
Bewertung
- 257 Punkte / 28,95 Euro
- ab 2023: 29,53 Euro
-
-
Beschreibung
- Zuschlag zur GOP 37700 bei Durchführung der Erhebung im Rahmen eines Besuchs nach GOP 01410 oder 01413, je weitere vollendete 10 Minuten, höchstens dreimal im Behandlungsfall
Bewertung
- 128 Punkte / 14,42 Euro
- ab 2023: 14,71 Euro
-
-
Beschreibung
- Zuschlag zur GOP 37700 für Schluckendoskopie
Bewertung
- 294 Punkte / 33,12 Euro
- ab 2023: 33,79 Euro
-
-
Beschreibung
- Zuschlag zur GOP 37700 für Bestimmung des Säurebasenhaushalts und Blutgasanalyse
Bewertung
- 84 Punkte / 9,46 Euro
- ab 2023: 9,65 Euro
-
-
Beschreibung
- Grundpauschale im Zusammenhang mit der GOP 37700 für Ärzte und Krankenhäuser gemäß § 5 Absatz 2 Satz 2 der AKI-Richtlinie, einmal im Behandlungsfall
Bewertung
- 159 Punkte / 17,91 Euro
- ab 2023: 18,27 Euro
-
-
Beschreibung
- Pauschale für die konsiliarische Erörterung und Beurteilung medizinischer Fragestellungen durch einen konsiliarisch tätigen Arzt, einmal im Behandlungsfall
Bewertung
- 106 Punkte / 11,94 Euro
- ab 2023: 12,18 Euro
Hinweise:
- Die Leistungen zur außerklinischen Intensivpflege werden extrabudgetär vergütet.
- Voraussetzung für die Berechnung ist, dass die Leistungen nach den Vorgaben der Außerklinischen Intensivpflege-Richtlinie ausgeführt werden.
- Außerdem ist für die Berechnung einiger GOP eine bestimmte Qualifikation nachzuweisen beziehungsweise eine Genehmigung bei der Kassenärztlichen Vereinigung zu beantragen (siehe Ablauf und ärztliche Qualifikation).
Fortbildung und Genehmigung
Hausärztinnen und Hausärzte benötigen eine Genehmigung ihrer Kassenärztlichen Vereinigung, wenn sie außerklinische Intensivpflege verordnen wollen. Bei der Antragstellung müssen sie bestätigen, dass sie über Kompetenzen im Umgang mit beatmeten oder trachealkanülierten Versicherten verfügen oder sich diese innerhalb von sechs Monaten aneignen.
Hierzu bietet die KBV eine zertifizierte Fortbildung an:
- Teil 1: Module „Krankheitsbilder“ und „Weaning – Beatmungsentwöhnung und Dekanülierung“
- Teil 2: Module „Hilfsmittel in der außerklinischen Intensivpflege – Beatmungsgeräte und Zubehör“ sowie „Therapieoptimierung“
- Teil 3: Modul „besondere Versorgungssituationen“
Die Fortbildung zur außerklinischen Intensivpflege ist im Fortbildungsportal verfügbar. weitere Infos