Bericht von Dr. Andreas Gassen an die Vertreterversammlung
2. Dezember 2022
Sehr geehrte Damen, sehr geehrte Herren,
ich begrüße Sie zur letzten Vertreterversammlung dieser Legislaturperiode. Ich freue mich, dass weder die von Professor Lauterbach befürchtete Killervirusvariante noch die große Corona-Winterwelle bislang eingetreten ist, sodass wir uns heute hier in Berlin treffen und von einigen von Ihnen, deren Amtszeit zu Ende geht, auch persönlich verabschieden können, was wir ja gestern Abend auch schon in informeller Runde getan haben.
Ich will Sie nun aber nicht mit einem erschöpfenden Rückblick über die zurückliegenden sechs Jahre langweilen, die meisten von Ihnen waren ja über die gesamte Strecke eh dabei. Gefühlt war es oft ein Sprint auf einer Marathondistanz – und dies nicht auf einer gut planierten Bahn, sondern eher über Stock und Stein. Damit meine ich natürlich auch die Pandemie, über die ich eigentlich gar nicht mehr viele Worte verlieren will, die aber quantitativ und qualitativ diese Legislaturperiode so maßgeblich bestimmt hat, dass man sie noch mal erwähnen muss.
Nach Meinung der allermeisten Experten ist das Thema Corona im Sinne einer Pandemie durch, auch wenn politisch die Pandemie noch nicht beendet wurde, wie es etwa in den USA der Fall ist. Joe Biden sagte vor einigen Wochen trocken: The pandemic is over. Die Ansteckung hat für die allermeisten ihren Schrecken verloren und gehört zum normalen Alltagsrisiko wie bei anderen Atemwegsinfektionen auch. Einen wirklichen Schutz vor Ansteckung kann und wird es nicht geben – sogar die chinesische Führung sollte das allmählich einsehen.
Nach aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen haben fast 95 Prozent der Menschen hierzulande eine Grundimmunität gegen SARS-CoV-2 entwickelt, sei es durch Impfung oder Infektion oder beides. Dementsprechend scheinen die meisten das Thema für sich weitgehend abgehakt zu haben. Die neue Impfkampagne zündet nicht, Erst- und Zweitimpfungen gibt es so gut wie gar keine mehr, lediglich die zweite Booster-Impfung für Ältere wird noch nennenswert nachgefragt. Die einrichtungsbezogene Impfpflicht läuft Ende des Jahres aus, und das ist gut so.
In Deutschland haben die Praxen bislang insgesamt rund 96 Millionen Impfungen durchgeführt, mehr als Impfzentren und Betriebe zusammen. Darauf können wir stolz sein. Die Unverzichtbarkeit der Niedergelassenen und ihrer Teams kann kaum besser deutlich werden. Ohne ihren Einsatz wäre die Versorgung in der Pandemie auch hierzulande wahrscheinlich vielerorts in die Knie gegangen. Diese Erkenntnis erschreckt manche Ideologen heute noch, haben sie doch eine ganz andere Vorstellung von Gesundheitsvorsorge, worauf wir heute noch zu sprechen kommen werden.
Die Impfzentren stellen nun sukzessive ihre Arbeit ein, der Anteil der COVID-19-Patienten auf den Intensivstationen liegt bei etwa fünf Prozent; Corona wird Teil des Versorgungsalltags. Das gilt auch für die Impfungen, die ihren Sonderstatus verlieren und in die Regelversorgung übergehen sollen. Das ist nur folgerichtig, allerdings weckt der dafür angedachte Zeitpunkt zum 1. Januar 2023 schon wieder Zweifel an der Realitätsnähe des Bundesgesundheitsministeriums (BMG). Hierzu wird Stephan Hofmeister gleich näher ausführen.
Das BMG tut sich offensichtlich noch schwer mit der neuen, mehr oder minder postpandemischen Realität und mit diesem bislang zentralen, jetzt aber zunehmend bedeutungsloser werdenden Thema des Ministers. Das Angebot der Bürgertestungen ist unverständlicherweise noch einmal, in einem letzten Aufbäumen gegen die normative Kraft des Faktischen, bis Ende Februar verlängert worden.
Immerhin soll der Umfang der Kostenübernahme durch den Bund reduziert werden, weil, so die Begründung, „der Beratungs- und Gesprächsbedarf innerhalb der Bevölkerung“ sich verringert habe. Gleichzeitig plant das BMG für das kommende Jahr weitere 60 Millionen Euro für, man höre und staune, „Informations- und Aufklärungsarbeit zur Bekämpfung des Coronavirus“.
Und das im vierten Jahr nach Beginn der Pandemie! Für wie begriffsstutzig und unselbstständig hält man im BMG uns Bürgerinnen und Bürger eigentlich? Und nur nochmal zur Erinnerung: Die Neupatientenregelung wurde unter anderem mit der Begründung abgeschafft, man könne dadurch 350 Millionen Euro sparen.
Das Ministerium investiert offenkundig lieber hunderte Millionen Euro in Testungen und Plakatkampagnen mit fragwürdigem Wirkungsgrad als dafür zu sorgen, dass Ärztinnen und Ärzte für die reale Arbeit in den Praxen vollständig bezahlt werden. Ach ja, für die Beschaffung von Coronaimpfstoffen wurden übrigens weitere rund drei Milliarden Euro für das kommende Jahr in den Haushalt eingestellt.
Angesichts der sehr monothematischen, aber umso arbeitsintensiveren Coronazeit sollten wir nicht vergessen, was wir sonst noch alles in den zurückliegenden Jahren für das Gesundheitssystem geleistet haben. Wir haben zum Beispiel die Nummer 116117 als bundesweite Bereitschaftsdienst- und Servicenummer ausgebaut und bekannt gemacht.
So erfolgreich, dass auch die Bundesregierung sie in der Hochphase der Pandemie gerne genutzt und beworben hat. Wir haben die Kampagne „Wir arbeiten für Ihr Leben gern“ initiiert, um auf die Leistungsfähigkeit und den Wert der ambulanten Versorgung aufmerksam zu machen – was letztlich durch Corona eindrucksvoll bestätigt und mit der Kampagnenerweiterung „#IhreAbwehrkräfte“ noch einmal unterstrichen wurde.
Allerdings müssen wir feststellen: Was den Menschen da draußen längst bewusst ist – wie unsere Versichertenbefragungen regelmäßig bestätigen, auch während der Coronakrise –, nämlich der Wert der wohnortnahen Versorgung und der persönlichen Nähe von Haus- und Fachärzten sowie Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, dieser Wert wird von der Bundespolitik schlicht ignoriert.
Oder sollte ich sagen geleugnet, weil man sonst eine andere Gesundheitspolitik machen müsste. Nämlich eine, die die Praxen unterstützt, statt sie zu behindern, und die damit die Versorgung der Menschen sichern würde. Alle anderen Player scheinen aber wichtiger zu sein – Krankenhäuser, Pflege, Apotheken – nur die Praxen und deren Zukunft werden konstant ignoriert. Die Gefahr ist, dass die ambulante Versorgung als selbstverständlich und „unkaputtbar“ empfunden wird. Das ist sie aber nicht. Wir fragen uns: Ist das noch Fahrlässigkeit oder schon Vorsatz oder bereits stumpfe Ideologie?
Übrigens: Nicht nur unsere eigenen Befragungen, sondern selbst die jüngste Versichertenbefragung des GKV-Spitzenverbandes hat eine hohe, ja sogar eine gegenüber 2019 noch gestiegene Zufriedenheit der Versicherten mit der haus- und fachärztlichen Versorgung ergeben! Nur jeweils fünf Prozent sind demnach mit ihrem zuletzt behandelnden Haus- oder Facharzt unzufrieden.
Nicht erst seit Corona müsste jedem klar sein: Ohne die Praxen mit ihren Teams wird auch in Zukunft nichts gehen. Wie sagte Stephan Hofmeister mal: Volle Versorgung, ohne Praxen – das geht nicht! Aber das Ganze ist kein Selbstläufer. Nur der Minister und die restliche Bundesregierung scheinen die Zeichen der Zeit nicht zu erkennen oder wollen es nicht.
Der Trend zur Ambulantisierung ist nicht aufzuhalten, die Frage ist nur, ob und wie wir ihn gestalten. Genau das wird eine der großen Herausforderungen für die neue Vertreterversammlung sein. Wir haben schon vor Jahren eigene Ideen und Konzepte vorgelegt, etwa das zu den Intersektoralen Gesundheitszentren. Weder die vom Minister eingesetzte Krankenhausreformkommission noch andere zum Teil hanebüchene Vorhaben, wie die Einrichtung von 1.000 Gesundheitskiosken bundesweit, tragen erkennbar zu einer Lösung bei.
Im Gegenteil, statt endlich Synergien zu nutzen und echte Kooperationen zu ermöglichen, werden neue Parallelstrukturen geschaffen und Jägerzäune errichtet und weiter unbeirrt Milliarden Euro verbrannt. In der Haushaltsdebatte im Bundestag Ende November sagte Minister Lauterbach sogar wörtlich: „Wir müssen endlich einen neuen Sektor schaffen, damit die gleiche Leistung, die im Ausland längst ambulant erbracht werden kann, auch bei uns ambulant erbracht werden kann.“ Das muss man erst mal sacken lassen. Es zeigt einen eigenartigen Blickwinkel.
Die Praxen schultern rund 600 Millionen Behandlungsfälle jedes Jahr mit über 180.000 Ärzten und Psychologischen Psychotherapeuten an 110.000 Standorten und über 400.000 Mitarbeitenden. Dazu sollen jetzt 1.000 Kioske hinzukommen und Kapazitäten schaffen, oder die Krankenhäuser, die gerade 20 Millionen Fälle insgesamt bewerkstelligen – und die berechtigterweise über Personalknappheit klagen. Kann im BMG keiner rechnen?
Wenn wir über Ambulantisierung sprechen, dann sind wir logischerweise schnell auch beim medizinischen Nachwuchs. Und das wiederum führt zum Thema ärztliche Weiterbildung und deren Förderung, auch im fachärztlichen und im psychotherapeutischen Bereich. Ich will an dieser Stelle nicht näher darauf eingehen, aber auch darum werden wir uns kümmern müssen. Die Notwendigkeit zur ambulanten Weiterbildung ist unübersehbar – hier muss dringend mehr getan werden.
Ein weiteres großes Thema ist die Mechanik der vertragsärztlichen Vergütung. Hier ist mittlerweile sehr deutlich geworden, dass es einer Anpassung bedarf. Die alljährlichen sogenannten Honorarverhandlungen mit dem GKV-Spitzenverband sind zu einer Art Scheinritual verkommen, das für uns als unmittelbar Beteiligte schwer erträglich und Außenstehenden überhaupt nicht mehr vermittelbar ist.
Schon das Wort „Honorarverhandlungen“ ist irreführend und sollte dringend ersetzt werden, denn es geht mitnichten um ärztliche Honorare, sondern um eine Anpassung der Finanzierung von Leistungen, also maximal um „Finanzierungsverhandlungen“. Abgesehen von der konstanten Weigerung des GKV-Spitzenverbands, überhaupt ernstzunehmende Angebote vorzulegen und zu verhandeln, sind spätestens in diesem Jahr der Energiekrise und mit über zehn Prozent Inflation die Grenzen dieses gesetzlich zementierten Verfahrens offenkundig geworden.
Wir brauchen eine neue, flexiblere Systematik, die es uns ermöglicht, einen Werterhalt der Arbeit in den Praxen sicherzustellen, etwa im Falle einer Inflation oder sonstiger aktueller Kostenentwicklungen. Und dies nicht mit einem zeitlichen Versatz von einem Jahr oder mehr. Die SGB-V-Regelung ist eine reine Schönwetterregelung und erkennbar aus der Zeit gefallen. Hier muss eine andere Systematik her. Das werden wir mit Nachdruck einfordern. Aus diesem Grund haben wir auch Klage gegen die Festsetzung des Orientierungswertes für 2023 eingelegt.
Bei allen diesen Themen haben wir – nicht zuletzt in unserer Klausursitzung Anfang November – bereits wichtige Pflöcke eingeschlagen und die möglichen Handlungsoptionen diskutiert, die wir weiterverfolgen werden.
Weitere Themen, die wir zunächst vertagt hatten, die aber ebenfalls unsere Aufmerksamkeit erfordern, liegen auf der Hand.
Dazu gehört die Rolle der Medizinischen Versorgungszentren und die Auswirkung insbesondere rein kapitalgetriggerter Strukturen auf die Versorgung, dazu gehört aber auch die Zusammenarbeit mit anderen Gesundheitsberufen. Des Weiteren gehört dazu der Umgang mit dem Klimawandel sowie Fragen der Nachhaltigkeit und Klimaneutralität auch in der Gesundheitsversorgung. Und dazu gehört natürlich die Digitalisierung.
Die Digitalisierung in Deutschland ist kein Thema, das begeistert – sie ist eine Tragikomödie in ihrer Insuffizienz und ihrer Praxisferne. Wenn gematik-Chef Leyck Dieken von „begeisternden“ neuen Anwendungen spricht, ist nicht ganz klar, ob er sich in verordnetem Zweckoptimismus ergeht oder vom Fraktionsvorsitzenden der Berliner Grünen Werner Graf geforderten „Recht auf Rausch“ Gebrauch gemacht hat. Die Cannabislegalisierung ist ja neben Corona der zweite Pfeiler der aktuellen Gesundheitspolitik.
Doch zurück zur Digitalisierung: Karl Lauterbach hat kürzlich öffentlich verkündet, dass wir die Welt der Konnektoren hinter uns lassen müssten – gleichzeitig müssen alle Praxen ihre Konnektoren tauschen, für die Kleinigkeit von rund 350 Millionen Euro.
In ihrer bisherigen Ausgestaltung ist die Digitalisierung im Gesundheitswesen eher ein Mühlstein um den Hals der Ärzte- und Psychotherapeutenschaft als ein Raketenantrieb. Die Studie einer großen Unternehmensberatung hat dies erst kürzlich wieder bestätigt. Demnach hat jede zweite Arztpraxis mindestens einmal pro Woche technische Schwierigkeiten mit der Telematikinfrastruktur. Das muss ich an dieser Stelle sicherlich nicht weiter ausführen, wir erleben es alle hautnah wöchentlich in unseren Praxen.
Die Studie beschäftigt sich auch mit der elektronischen Patientenakte (ePA) und kommt zu dem Schluss, dass diese bislang ein Flop sei. Weniger als ein Prozent der gesetzlich Versicherten nutzen die ePA und viele dieser Akten sind bloß leere digitale Hüllen oder besser gesagt elektronische Aldi-Tüten. Grund hierfür sei die Freiwilligkeit der Anwendung für die Versicherten. Deshalb soll künftig ja auch nur noch derjenige keine ePA erhalten, der ihrer Einrichtung aktiv widerspricht.
Ein bemerkenswerter Ansatz: Man versucht nicht, das Produkt besser zu machen um die Menschen dafür zu begeistern. Als wäre das nicht schon irritierend genug, sollen viele digitale Anwendungen, wenn sie denn irgendwann einmal funktionieren, obligater integraler Bestandteil der ePA werden, und zwar nur der ePA. Das gilt beispielsweise für das elektronische Rezept oder den elektronischen Medikationsplan. Heißt im Umkehrschluss: Wer keine ePA hat, kann auch diese Anwendungen nicht nutzen. Alles oder nichts.
Wahlfreiheit sieht anders aus. Ärzte und Psychotherapeuten sollen dann verpflichtet sein, jede existierende ePA auch mit Daten zu befüllen. Und wenn der Patient oder die Patientin nicht explizit widerspricht, können diese Daten auch für Forschungs- und weitere Zwecke genutzt werden. Spätestens im europäischen Kontext sind vertrauliche Patientendaten dann nur noch einen Schritt von Handelsware entfernt.
Dieses Konzept ist ein völlig anderes als es bei der ursprünglichen ePA geplant war. Damals war noch von einem „feingranularen Berechtigungskonzept“ die Rede, über das der Inhaber der Akte, also der oder die Versicherte, entscheidet. Das ist passé. Was sich hingegen nicht geändert hat, ist, dass die Ärzteschaft und insbesondere die Selbstverwaltung als Blockierer auf dem Weg in diese schöne neue Welt beschimpft werden. Und warum?
Weil wir den Finger in die Wunde legen und die Anwälte unserer Patienten sind. Weil wir sehen und auch aussprechen, dass der Kaiser mit den schönen neuen Kleidern in Wahrheit ziemlich nackt dasteht. Der Minister betrachtet das Thema offenkundig aus einer anderen Warte als unsere Versorgerärzte in den Praxen. Er reklamiert für sich die Position der Wissenschaft.
Er lehrt aber nun mal derzeit nicht an einem Lehrstuhl, sondern hat ein Beschäftigungsverhältnis als Bundesgesundheitsminister. Ich zitiere noch einmal aus einer Rede von Herrn Lauterbach im Bundestag: „Wir wollen demnächst so weit sein, dass sich das Ausland auch für unsere Informationen und Daten interessiert und dass wir nicht als Bittsteller gegenüber anderen Ländern auftreten müssen, um Daten zu erhalten, weil wir die elektronische Patientenakte nie auf den Weg gebracht haben.“ Herr Lauterbach rekurriert hier auf die Pandemie, aber meines Erachtens wird sehr deutlich, wohin die Reise gehen soll.
Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich bin der letzte, der den Nutzen wissenschaftlicher Forschung und damit Datenauswertung in Frage stellt. Auch ich habe die Studien aus Israel während der Pandemie mit Interesse gelesen. Aber es stellt schon einen Paradigmenwechsel hierzulande dar, wenn Daten, die bislang nur dem Arzt oder der Ärztin des Vertrauens bekannt waren, künftig – wenn auch pseudonymisiert oder anonymisiert – in Händen von Institutionen landen, die einen anderen Zweck verfolgen als den der unmittelbaren Behandlung eines medizinischen oder psychischen Problems.
Und zwar gegebenenfalls ohne dass der oder die Betroffene der Verwendung seiner Daten im Einzelfall zugestimmt hat. Darüber muss man zumindest reden und auch unbequeme Fragen stellen dürfen. Und das sollten wir auch tun – im Sinne unserer Patientinnen und Patienten.
Das BMG will die neue Opt-out-ePA ab 2024 für die Bürgerinnen und Bürger „erlebbar machen“, wie es so schön heißt – das klingt fast wie eine Drohung. Ich bin sehr gespannt, wie die Diskussion dazu verlaufen wird, auch innerhalb der verfassten Ärzte- und Psychotherapeutenschaft. Denn das ist tatsächlich noch mal eine andere Dimension von Digitalisierung, als wir sie bisher in den Praxen erleben durften.
Am Ende greift alles ineinander: die Erkenntnis des Stellenwertes der ambulanten Versorgung durch freiberufliche Praxisärztinnen und -ärzte sowie Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten, eine faire und angemessene Vergütung, attraktive Arbeitsbedingungen und eine für die unmittelbare Versorgung erkennbaren Nutzen bringende Digitalisierung.
Ich hoffe sehr, dass wir uns im kommenden Jahr jenseits der Pandemie endlich wieder mit voller Kraft und Aufmerksamkeit all diesen Sachthemen zuwenden können.
Wir wissen und erleben es täglich: Der Frust und der Leidensdruck in der Ärzte- und Psychotherapeutenschaft sind so hoch wie lange nicht. Und zwar nicht nur im stillen Kämmerlein wie sonst meistens – die Protestbereitschaft hat eine neue Qualität erreicht. Wir haben in diesem Herbst viele Aktionen erlebt, sei es regional in den KV-Bezirken, mit unserem Informationstag im Oktober oder unserer Unterschriftenaktion gegen die Abschaffung der Neupatientenregelung.
Auch wenn die Stimmung zum Ende des Jahres vielleicht etwas der weihnachtlichen Besinnlichkeit und Ruhe weichen mag, so nehmen wir sie doch mit in das neue Jahr.
Noch ein Gedanke zum Schluss. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber mich beunruhigt eine gesellschaftliche Tendenz, die nicht nur ich in dieser Zeit verstärkt wahrnehme. Nämlich, dass das Ziel einer Debatte oft nicht mehr zu sein scheint, Argumente auszutauschen und am Ende nach Möglichkeit eine gemeinsame, bessere Lösung zu finden. Vielmehr scheint es häufig nur noch darum zu gehen, den eigenen Standpunkt stumpf zu verteidigen und andere Meinungen als abwegig abzutun. Das aber erschwert jede Art von Diskurs oder verunmöglicht ihn am Ende sogar.
Ich freue mich und möchte mich auch bei Ihnen herzlich dafür bedanken, dass es uns als KV-System in dieser wirklich nicht einfachen Zeit immer gelungen ist, im konstruktiven und fairen Dialog zu bleiben und Lösungen zu finden. Ich denke das ist, unabhängig davon welche Herausforderungen auf die künftige Vertreterversammlung und den KBV-Vorstand warten, eine sehr gute Grundlage und eine Stärke, die wir uns unbedingt gemeinsam erhalten sollten.
Nicht nur für uns als gewählte Standesvertreterinnen und -vertreter, sondern für alle 183.000 ambulant tätigen Ärztinnen und Ärzte, Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten sowie Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutinnen und -psychotherapeuten in diesem Land.
Denn wir als niedergelassene Ärzteschaft sind nicht nur ein wesentlicher Pfeiler des deutschen Gesundheitssystems, wir sind auch die zentrale Stimme, um die Anliegen unserer Patientinnen und Patienten an die Politik zu kommunizieren und auch durchzusetzen.
Vielen Dank
(Es gilt das gesprochene Wort.)