Was war die wichtigste Botschaft der KBV-VV?
Dr. Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der KBV: "Ich glaube, es ist klargeworden, dass die KBV Vertreterversammlung sehr deutlich gemacht hat, dass viele wichtige Gesundheitsvorhaben im Moment sozusagen in der Pipeline sind und dass es hier zeitnaher Entscheidungen bedarf, weil wir ansonsten wirklich in eine Situation rutschen, die zunehmend unkontrollierbar wird. Das ist zum einen die Krankenhausreform, wo man nicht wirklich den Eindruck hat, dass man den Wunsch hat, hier tatsächlich mal die Strukturen zu reformieren, die verbleibenden Krankenhäuser finanziell vernünftig auszustatten, aber eben auch Krankenhäuser, die nun wirklich nicht mehr benötigt werden, zu schließen. Das ist das eine.
Das Thema Notfallreform brennt unverändert allen unter den Nägeln. Hier sehen wir mit großem Befremden, dass eigentlich Dinge, die schon als selbstverständlich galten, wie zum Beispiel eine Ersteinschätzung analog zum SmED-Verfahren, jetzt wieder hinterfragt wird. Da soll es eine GBA-Richtlinie im Juli geben. Das wird jetzt und war eigentlich vorher Konsens wird jetzt von einigen politischen Kräften wieder hintertrieben. Man weiß nicht wirklich warum, aber zumindest dient das dann nicht einer einheitlichen Ersteinschätzung, die wir glaube ich, dringend brauchen, um die knappen Ressourcen im Not- und Bereitschaftsdienst vernünftig einzusetzen.
Es fehlt völlig das Bekenntnis zur Ambulantisierung. Der Paragraf 115f könnte jetzt sozusagen die letzte Chance auch für den Gesundheitsminister sein, zu beweisen, dass ihm sehr wohl was an einer Ambulantisierung liegt, und zwar an einer vernünftigen Ambulantisierung unter fairen Bedingungen für Niedergelassene und Krankenhäuser und die nicht einen der Teilnehmer bevorzugt, weil die Baubeschreibung des Krankenhauses einem vielleicht sympathischer erscheint.
Das sind Dinge, die extrem wichtig sind. Hier hat sich die KBV-Vertreterversammlung einstimmig positioniert und ein letztes Thema, was deshalb aber nicht weniger wichtig ist und mit allen zusammenhängt, ist natürlich auch die Frage der Weiterbildung. Medizin wird immer ambulanter, und zwar in allen von uns vertretenen Versorgungsbereichen, ob es hausärztlich, fachärztlich oder psychotherapeutisch ist, in unterschiedlichen Gewichtungen und unterschiedlichen Ausprägungen. Bei den Hausärzten haben wir ja schon einen hohen Teil der ambulanten Weiterbildung.
Bei den Fachärzten gibt es einen enorm hohen Bedarf, aber praktisch keine Finanzierungsmöglichkeiten. Bei den Psychotherapeuten ist das noch etwas komplexer. Auch hier brauchen wir Veränderungen. Hier haben wir klare Beschlüsse gefasst, werden die auch weiter ausarbeiten. Wahrscheinlich wird es drei etwas unterschiedlich akzentuierte Modelle für die drei Versorgungsbereiche geben. Aber hier muss mehr passieren, weil Weiterbildung in der Klinik eigentlich praktisch nirgendwo mehr vollständig möglich ist, weil ganz viele Weiterbildungsinhalte tatsächlich nur noch in der ambulanten Versorgung überhaupt stattfinden. Insofern sind das so im Wesentlichen die Eckpunkte, die uns natürlich umgetrieben haben."
KBV-VV und Ärztetag: Welchen Eindruck machte dort das deutsche Gesundheitswesen?
"Das deutsche Gesundheitswesen ist aktuell noch in einem Zustand relativ guter Leistungsfähigkeit, insbesondere was den ambulanten Sektor angeht. Im Krankenhaus sieht es ja zum Teil recht düster aus, muss man sagen. Da schlagen Personalmangel und jahrelange Unterfinanzierung und eine seit Jahren vertändelte Krankenhausreform langsam durch. Das führt eben zu extrem schlechten Arbeitsbedingungen. Auch das wird von den Kolleginnen und Kollegen im Krankenhaus ja immer wieder beklagt und eben auch zum Teil Stationsschließungen, weil eben das Personal fehlt.
Das ist im niedergelassenen Bereich noch nicht so, warum ist das so? Dem niedergelassenen Bereich geht es eigentlich nicht besser, aber dadurch, dass eben viele Praxen inhabergeführt sind, ist die Leidensschwelle einfach etwas höher. Die Kolleginnen und Kollegen im eigenen Laden arbeiten einfach dann doch die entscheidende Portion mehr und halten auch mehr aus. Aber es ist absehbar, dass das Ende der Fahnenstange hier erreicht ist. Auch wir haben unter dem Fachkräftemangel zu leiden. Wir haben keine adäquate Finanzierung für die hohen Inflationsdrücke, die im Moment auf die Praxen ausgehen. Und insofern ist es tatsächlich, um dieses alte Bild zu bemühen, fünf vor zwölf im Gesundheitswesen. Und wenn wir unser leistungsfähiges Gesundheitswesen mit niederschwelligem Zugang für alle Versicherten zu eigentlich allen Gesundheitsleistungen erhalten wollen, dann ist es allerhöchste Eisenbahn, dass der Minister sich jetzt wirklich wichtigen Themen der Gesundheitspolitik widmet. Corona ist ja nun höchst offiziell vorbei. Insofern kann er seine Kraft komplett auf die dringend notwendigen Reformen lenken. Und dazu gehört dann letztlich wahrscheinlich auch eine Reform des SGB V im Bereich der Vergütungsanpassung für die Vertragsärzte dazu, weil wir festgestellt haben, das ist ein Schönwetter-System. Das kann bei Krisensituationen mit stark schwankenden Inflationsraten einfach die Teuerungsraten nicht mehr zeitnah und adäquat abbilden. Und das ist dringend erforderlich, damit die Praxen am Netz bleiben können."
Hat sich das in den Botschaften des Ärztetages gespiegelt?
"Also ich glaube, was die Themen angeht, hat man eine große Geschlossenheit der Ärzteschaft feststellen können. Sowohl im Bereich des Ärztetages als auch bei der KBV-Vertreterversammlung Das sehen wir aus den Regional-KVen auch. Und ich glaube, dass durchaus auch die Kollegen merken, wie eng es langsam wird. Und von daher, glaube ich, ist auch die Bereitschaft, hier doch auch deutlicher zu werden, zunehmend ausgeprägt.
Und was da sich daraus entwickelt, das wird man dann sehen. Wir haben ja erleben müssen, dass in den letzten Wochen einzelne Branchen zum Teil aus meiner Sicht unangebracht, weil in Verhandlung stehend, Warnstreiks vom Zaun gebrochen haben oder damit gedroht haben, was die ganze Republik in Angst und Schrecken versetzt hat. Man hat offensichtlich den Eindruck in Deutschland, dass das Gesundheitswesen einfach unkaputtbar ist und dass da nie irgendwelche Ausfälle zu beklagen sind oder dass es nicht zur Schließung von Praxen kommt.
Die Apotheken werden jetzt mal ihre Apotheken schließen. Und ich kann mir durchaus vorstellen, dass die Berufsverbände in diese Richtung zunehmend aktiv werden, wenn sich nicht abzeichnet, dass hier eine Besserung auch im Bereich beispielsweise der anstehenden Honorarverhandlungen oder der OW-Wert-Anpassung geschehen, weil es schlicht eine Situation ist, die so nicht mehr durchhaltbar ist."
Der Deutsche Ärztetag hat Herrn Dr. Reinhardt wiedergewählt. Wie bewerten Sie das?
"Ich denke, das ist zum einen der Lohn für vier Jahre Arbeit, die erschwert waren durch die Corona-Pandemie. Nicht zuletzt auch für seine klare Positionierung, die er bei der Eröffnung des Deutschen Ärztetages in Richtung Bundesregierung platziert hat. Das waren Dinge, die man alle eins zu eins unterschreiben kann. Und ich denke, das hat viele Delegierte auch noch mal in ihrer Absicht bestärkt.
Und insofern ist Klaus Reinhardt jemand, den wir als KBV in den letzten vier Jahren auch als jemand kennengelernt haben, der durchaus auch Themen mit uns bewegen kann, der ambulante und stationäre Versorgung im Blick hat und hier durchaus ausgleichend wirkt. Und ich hoffe, dass das komplettierte BÄK-Präsidium mit Frau Dr. Lundershausen und Frau Dr. Johna, die sich ja beide auch in diese Richtung geäußert haben, auch weitere Impulse gibt, sodass wir hier als KBV mit einer Bundesärztekammer weiterhin konstruktiv zusammenarbeiten können."
Wird die Selbstverwaltung vom Bundesgesundheitsminister ausreichend gewürdigt?
"Ich habe vorhin gesagt, dass man die Äußerung von Klaus Reinhardt an der Stelle eins zu eins unterschreiben kann. Karl Lauterbach hat daraufhin aus meiner Sicht etwas halbherzig erwidert, dass er die Selbstverwaltung sehr schätzen würde. Dem stehen natürlich viele Äußerungen gegenüber, dass er sie häufig als Lobbyverein apostrophiert hat, was unangemessen und in der Sache auch nicht richtig ist, muss man einfach mal sagen.
Insofern sollte sich der Bundegesundheitsminister auf die Stärken der Selbstverwaltung besinnen. Da hat er vielleicht historisch bedingt grundsätzlich vielleicht gewisse Probleme, weil er ja nun auch lange Zeit im Beraterstab von Ulla Schmidt saß, die ja nun aller Lippenbekenntnissen zum Trotz nun wirklich keine Freundin der Selbstdeutung war. Aber man muss einfach mal sehen: Es gibt bisher nichts Besseres. Und die Selbstverwaltung hat nicht zuletzt in Corona bewiesen, dass sie als Transmissionsriemen zu den Niedergelassenen eigentlich unverzichtbar ist.
Das ist kein Selbstzweck, das ist ganz entscheidend. Aber ich glaube, Staatsmedizin kann sich niemand ernsthaft wünschen. Das wäre aus meiner Sicht im Moment die einzige Alternative."
Was nehmen Sie selbst vom Deutschen Ärztetag mit?
"Ich nehme das mit, was natürlich fast jedes Jahr vom Deutschen Ärztetag mitnimmt. Eine gewisse Frustration der Kolleginnen und Kollegen über ganz offenkundig notwendige Reformen, die dann einfach nicht umgesetzt werden, weil die Gesundheitspolitik an dem Punkt einfach nicht springt. Um es mal so zu formulieren. Das ist ein Trend der letzten Jahre, das muss man leider sagen, es ist eben nicht nur Karl Lauterbach, das war auch vorher der Fall, dass dringend notwendige Dinge versäumt worden, dass man sich stattdessen so Schaufenster-Themen beschäftigt hat, mit Pseudo-Digitalisierung.
Digitalisierung wäre ja für uns Ärzte extrem wichtig, weil es tatsächlich möglicherweise Arbeitsschritte vereinfachen und beschleunigen könnte, Datentransfers zum Wohle der Patienten beschleunigen würden, aber eben nicht zum Wohle der kommerziellen Ausbeutung. Und man hat nicht den Eindruck, als ob Politik das vom Medizinischen her verstanden hat, sondern hier wird, ich sage mal, fast nachgeplappert was, was ihnen von Protagonisten eben auch der Daten-Wirtschaft vorgeredet wird.
Und wir haben in den letzten Jahren mehrfach erleben müssen, dass die Digitalisierungsstrategien der Bundesregierung das Rendezvous mit der Realität nicht wirklich überstanden haben. Und offen gestanden habe ich nicht den Eindruck, dass die Digitalisierungsstrategie, die uns jetzt präsentiert worden ist, die in weiten Teilen alter Wein in neuen Schläuchen ist, dieses Rendezvous überstehen würde. Also von daher ist hier ein bisschen Realitätssinn angebracht und es wäre wahrscheinlich mal sinnvoll, die Anwender solcher digitalen Innovation mal zu fragen. Das sind in erster Linie natürlich Ärztinnen und Ärzte und in zweiter Linie natürlich Patienten. Und die wären dann auch zu befassen, wenn es um Dinge geht wie Datenschutz. Das hat Politik bisher ja relativ trocken weggewischt. Ich finde es nach wie vor bemerkenswert, dass man ein Konstrukt wie die elektronische Patientenakte, die bisher bei der Bevölkerung völlig unbeliebt ist, weniger als 1 Prozent der Versicherten hat es bisher für nötig empfunden, sich eine elektronische Patientenakte anzuschaffen.
Nicht zuletzt, weil sie nicht wirklich was kann. Dass man dieses Produkt dann sozusagen jetzt verpflichtend einführt, ist eine seltsame Art, Menschen von Sinn und Zweck solcher Dinge zu überzeugen. Eigentlich wäre es doch viel klüger, dass man die Leistungsfähigkeit und die Vorteile einer solchen ePA entwickelt. Dann wäre es wahrscheinlich so, dass sie keiner schnell genug bekommen könnte. Und so eine ePA, die fänden wir natürlich auch von der Versorgung her sinnvoll. Was wir bisher da präsentiert bekommen haben, ist ja nicht wirklich überzeugend."