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Stand 15.05.2023

Reden

Bericht von Dr. Sibylle Steiner an die Vertreterversammlung

15. Mai 2023

Sehr geehrte Frau Vorsitzende, liebe Petra, sehr geehrte Mitglieder der Vertreterversammlung, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,

vor etwas mehr als zehn Wochen haben Sie mich mit einem eindeutigen Votum in das Amt des KBV-Vorstandsmitglieds gewählt. Für diesen großen Vertrauensbeweis möchte ich Ihnen nochmals herzlich danken. 
Bereits in meiner Vorstellungsrede Anfang März hatte ich Ihnen zugesichert, mich mit aller Kraft – mit Ihnen gemeinsam – für verlässliche und angemessene Rahmenbedingungen in der ambulanten vertragsärztlichen und -psychotherapeutischen Versorgung einzusetzen.

Ich hatte ausgeführt, dass es für unser KV-System darum gehe, die Selbständigkeit für Ärztinnen und Ärzte sowie Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten attraktiv und vor allen Dingen zukunftsfähig zu gestalten. 
Zu einigen Themen, die uns auf diesem Weg weiterbringen können, möchte ich Ihnen heute zum ersten Mal berichten. Genauso nehme ich aber auch zu solchen Themen Stellung, bei denen uns so manche Akteure Steine in den Weg legen. 

Es geht wie so oft um Chancen und Risiken: 

  • bei der Digitalstrategie des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) mitsamt der Ausweitung telemedizinischer Angebote,
  • beim elektronischen Rezept (eRezept) und der elektronischen Patientenakte (ePA) und natürlich 
  • bei der für uns zentralen Frage einer kostendeckenden TI-Finanzierung.

Auch Arzneimittel-Lieferengpässe stehen weiterhin auf der politischen Agenda und damit auch auf unserer. Berichten werde ich auch zur Frage, wie wir – trotz aller Rückschläge – medizinisch sinnvolle Verordnungen in Wirtschaftlichkeitsprüfungen besser schützen können sowie zu Beratungen über Qualitätssicherungs (QS)-Verfahren im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA).

Bei der Digitalisierung haben BMG und gematik bislang viele Chancen nicht wahrgenommen. Das ist – denke ich – Konsens. 

Wie wahrscheinlich es ist, dass in Zukunft die Chancen gegenüber den Risiken überwiegen werden, darüber kann man trefflich streiten. Es ist heute schwer vorstellbar, wie unsere zukünftige digitale medizinische Versorgung in zehn oder gar 20 Jahren aussehen könnte.

Künstliche Intelligenz und Vernetzung sind aber ohne Zweifel keine vorübergehende Modeerscheinung, sondern Teil unserer medizinischen Zukunft. Allenfalls den Hardware-Konnektor kann man perspektivisch abschreiben; noch aber ist es nicht so weit.

Mit schlecht gemachter Digitalisierung, unzureichender Kostenerstattung und immer neuen Ankündigungen, Fristen und auch Sanktionsdrohungen – in dieser Gemengelage – fällt es uns schwer, der bisherigen TI-Welt des BMG allzu viel Positives abzugewinnen.

Ausdrücklich sei aber auch nochmals gesagt: Nicht das Ob ist Inhalt unserer Kritik, sondern das Wie. Denn die Digitalisierung bietet zahlreiche Chancen für die ambulante medizinische Versorgung von morgen. Die ambulante Versorgung ist der Kern unserer Arbeit und der Arbeit der Praxen: analog und digital. 

Während sich die medizinische Versorgung um die Patientinnen und Patienten – also um die Menschen – dreht, kreisen die Digitalisierungsprozesse hauptsächlich um technische Machbarkeit, Standards, Dokumente, Kontrolle und Nachweispflichten. Wir als KV-System wollen nicht nur über das technisch Notwendige und Machbare reden, sondern vor allem über digitale medizinische Versorgungskonzepte!

Was wir brauchen, ist ein Ineinandergreifen der beiden Welten, wobei der medizinische den technischen Prozess führen muss. Genau dafür birgt die digitale Transformation wertvolle Chancen. Grundprinzipien bei der Gestaltung dieser Transformation müssen Patienten- und Nutzerorientierung sein! Beides verspricht das BMG auch wortreich in seiner neuen Digitalstrategie – der wievielten eigentlich?

Diesmal ganz oben auf der BMG-Agenda steht die Ausweitung telemedizinischer Angebote, wie etwa die Streichung der 30-Prozent-Beschränkung für Videosprechstunden. Wir sind davon überzeugt, Digitalisierung sollte mit dem ersten Schritt beginnen, bevor man bereits an der Umsetzung des dritten Schrittes arbeitet. Dazu haben wir uns in den zurückliegenden Tagen und Wochen vielfach intensiv ausgetauscht. Auch heute werden wir hierüber weiter beraten.

Die Idee, die ärztliche und psychotherapeutische Leistungserbringung zu flexibilisieren und mobiles Arbeiten auch für Ärztinnen und Ärzte sowie Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten zu ermöglichen, ist ein medizinisch sinnvolles und auf den Bedarf der Praxen ausgerichtetes Angebot – ohne dabei jedoch die notwendige medizinische Versorgung der Patientinnen und Patienten in der Praxis vor Ort zu gefährden. Dies würde auch einen wichtigen Beitrag leisten, die Attraktivität der vertragsärztlichen und -psychotherapeutischen Tätigkeit gerade für junge Kolleginnen und Kollegen zu steigern. 

Weiteres zentrales Element der Digitalstrategie des BMG ist die sogenannte „ePA für alle“: Innerhalb der nächsten zwei Jahre sollen 80 Prozent der gesetzlich Krankenversicherten die ePA nutzen. Dabei ist es wichtig, dass der Patientenschutz gewahrt bleibt.

Um sein ambitioniertes Ziel zu erreichen, stützt sich das BMG erst einmal nicht auf praktische – und längst konzipierte – Anwendungen, wie zum Beispiel den elektronischen Impfpass oder die Patientenkopie der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU), um endlich einen voll-digitalen Prozess bei der AU-Bescheinigung zu haben. Nein, das BMG startet mit einer Medikationsübersicht und immerhin auch mit dem Krankenhaus-Entlassbrief. 

Die Medikationsübersicht ist nicht zu verwechseln mit dem Medikationsplan. Die Übersicht soll bereits ab dem ersten – eventuell auch nur kurzzeitig – verordneten Medikament für alle in der ePA verfügbar sein: mit jeweils dem aktuellen Stand von Verordnungsdaten aus der Praxis und Dispensierdaten aus der Apotheke.

Aus unserer Sicht muss diese Übersicht automatisiert und übersichtlich auf dem Praxisbildschirm erscheinen, um einen Mehrwert ohne Mehraufwand zu bieten. Recherche- oder gar händische Pflege-Pflichten sind für die Ärztinnen und Ärzten weder praktikabel noch zumutbar. Das lehnen wir ab.

Die aktuellen Gespräche mit BMG und gematik zeigen uns allerdings: Es sind noch viele Details ungeklärt und unsere ärztliche Expertise ist dringend notwendig, um solche theoretischen Ideen in die praktische digitale Tat umsetzen zu können. In diesen entscheidenden Fragen bringen wir uns intensiv ein und werden dies auch weiterhin energisch tun. 

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach will die Praxisverwaltungssysteme (PVS) für das automatische Befüllen der ePA weiterentwickeln lassen. Der Plan findet bei uns grundsätzlich Unterstützung. Aber auch in diesem Fall muss er verbindliche Standards miteinschließen.

Diese Standards brauchen wir dringend, damit es nicht mehr eine Frage des jeweiligen PVS – und somit weitgehend Glückssache – ist, ob in einer Praxis eAU, eRezept oder elektronische Signatur gut, schlecht oder gar nicht funktionieren. 

Diese Standards zu definieren, dazu tragen wir gerne bei. Zumal wir als KV-System gemäß der gesetzlichen Vorschrift mit PVS-Herstellern in Rahmenvereinbarungen Leistungspflichten und Qualitätskriterien festlegen können.

Aber: Wir können keinen Hersteller dazu zwingen, Rahmenvereinbarungen mit uns zu schließen. Daher bedarf es noch immer zusätzlich einer unabhängigen Instanz, die das Einhalten der Standards überwacht und gegebenenfalls sanktioniert. Echten Druck kann nur eine staatlich beauftragte Stelle aufbauen und ausüben. Auch dazu werden wir uns deutlich einbringen.

Möglicherweise erweist sich auch die Entscheidung, die Medikationsübersicht zum ersten ePA-Inhalt zu machen, für Patientinnen und Patienten als vertane Chance: Poly-Medikation ist gerade bei Menschen ab 70 Jahren relevant. Aus dieser Altersgruppe aber benutzt mehr als ein Drittel weder ein Smartphone noch ein anderes Gerät, das ihnen den Zugang zu ihrer ePA ermöglichen würde.

Keine Frage: Fortschritte in der Arzneimitteltherapiesicherheit sind dringend geboten. Das KV-System hat gezeigt, dass sie auch digital möglich sind. Die Arzneimittelinitiative Thüringen und Sachsen, ARMIN, hat das ebenso bewiesen, wie in Westfalen-Lippe AdAM, das digital unterstützte Arzneimitteltherapie-Management.

Aber anstatt auf diesen KV-Erfahrungen aufzubauen und sie weiterzuentwickeln, entwickelt das BMG an der Zielgruppe vorbei neue Instrumente. Man muss fast annehmen, dass möglichst schnell möglichst viele Daten in die ePA gelangen müssen. Quantität geht vor Qualität.

Aus diesem Grunde soll es auch mit dem eRezept möglichst schnell gehen, ohne dass die technischen Voraussetzungen geschaffen sind! Im Spätsommer – so heißt es – soll eine elektronische Gesundheitskarten-(eGK)-Lösung für das eRezept bereitstehen. Das BMG und die gematik wollen das eRezept dann zum Stichtag 1.1.2024 ausrollen – also in dem vielzitierten Big Bang.

Das muss man sich einmal sinnbildlich vorstellen: Bei 460 Millionen Rezepten pro Jahr sind dies eine bis anderthalb Millionen elektronische Rezepte, die pro Tag zu erwarten sind. Das bedeutet täglich mehr als drei Millionen Transaktionen mit dem Server.

BMG und gematik wissen nicht, ob das System unter Voll-Last überhaupt funktionieren wird. Wenn in der Apotheke ein technisches Problem auftritt, kehrt der Patient in die Praxis zurück, um ersatzweise ein Papierrezept zu bekommen.

Sollte kurz danach das System doch wieder funktionieren, hat der Patient womöglich zwei Rezepte eingelöst. Vom doppelten Aufwand in den Praxen abgesehen, ist das ein Sicherheits- und sicherlich auch ein Wirtschaftlichkeitsproblem. Das scheint im BMG nicht gesehen zu werden.

Alles in allem halten wir am noch bestehenden Gematik-Beschluss für einen stufenweisen Roll-out fest. Man muss sehen: Funktioniert das eRezept mit der eGK? Wir fordern daher einen echten Integrationstest, der die gesamte Prozesskette mit sämtlichen Beteiligten abbildet. Und dann erst kann man den Roll-out-Prozess fortsetzen. 

Denn wenn das Verfahren reibungslos läuft, dann bin ich mir sicher: Die Praxen werden testen und bei positiver Erfahrung auch umstellen. Diese Debatte wird sicher nicht einfach: Das BMG hat es damit enorm eilig. Man möchte schnell digitale Nutzer-Erlebnisse schaffen – möglicherweise mit Blick auf die Bundestagswahl, die schon in zwei Jahren naht.

Wenn der Plan des BMG jedoch nicht gelingt, positive Nutzererlebnisse zu schaffen – dann steigt der Frust und Ärger in den Praxen weiter. Das müssen wir unbedingt verhindern, liebe Kolleginnen und Kollegen!

Das BMG lässt uns derzeit wissen, dass es selbst keine größere Kampagne plant, um die Bevölkerung über das eRezept aufzuklären und dafür zu begeistern. Es fehle nicht zuletzt das Geld. Vielmehr sehe man – neben den Krankenkassen – uns in der Verantwortung: Ärzteschaft und KVen sollen für entsprechende Informationen sorgen. Eine dreiviertel Million Euro für Veranstaltungen und Broschüren zur Digitalstrategie, aber keinen Cent für den kommunikativen Launch des eRezeptes!

Insgesamt lautet mein ernüchterndes Fazit nach zehn Wochen Verantwortung für Digitalisierung in der KBV: Wenig inhaltliche Zielvorstellungen, die hauptsächlich auf die Nutzung von Forschungsdaten ausgerichtet sind, jede Menge unrealistische Fristen und Quoten – so kann man leider die Digitalstrategie des BMG aktuell grob umreißen.

Zudem müssen wir auch noch länger auf weitere Konkretisierungen warten, weil das BMG die angekündigten Entwürfe für zwei Digitalgesetze immer wieder verschiebt. Beabsichtigt ist jetzt wohl, diese im Juni oder Juli ins Kabinett einzubringen.

Ein drängendes Anliegen der Praxen ist die TI-Finanzierung. Wir setzen weiterhin auf Kostendeckung. Und zwar auch dann, wenn neue Anwendungen hinzukommen. Bemerkenswert ist, dass das BMG – selbst angesichts der gemachten Erfahrungen – davon ausgeht, mit Pauschalen unterhalb des Marktpreises die Hersteller zu ermuntern, ihre Preise zu senken.

Nun weiß ich nicht, wie das BMG auf diese Idee kommt! Es gibt keinen echten Anbieterwettbewerb – auch, weil die Wechselmöglichkeiten der Arzt- und Psychotherapeutenpraxen so stark eingeschränkt sind. Neben technischen Unzulänglichkeiten auch noch eine Unterfinanzierung der TI zu Lasten der Ärzte- und Psychotherapeutenschaft hinnehmen zu müssen, das können und werden wir nicht akzeptieren. Ebenso wenig wie die ewige Unterstellung, wir seien Verhinderer der Digitalisierung! 

Sehr geehrter Herr Minister, dass unsere Kolleginnen und Kollegen Digitalisierung mit viel Engagement und Eigeninitiative betreiben, zeigt eine Umfrage des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (Zi): Für die Anschaffung, Einrichtung und Instandhaltung der gesamten IT-Struktur wenden die Praxen jährlich bis zu 15.000 Euro auf, Tendenz steigend! Und da sage jemand, die Praxen würden die Digitalisierung verweigern!

Ein Thema, das in der Praxis nach wie vor hohe Brisanz besitzt, ist das Regressrisiko bei verordneten Leistungen insbesondere bei Arzneimittelverordnungen. Auch hierüber beraten wir heute. Bei der Frage nach der Anwendung der Differenzmethode bei unwirtschaftlichen und unzulässigen Verordnungen hat das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg leider unsere Klage gegen den Schiedsspruch abgewiesen.

Das LSG legt das Gesetz dahingehend aus, dass nur bei unwirtschaftlichen Verordnungen im engeren Sinn die Differenzmethode angewandt werden kann. Es sei letztlich nicht erkennbar, ob der Gesetzgeber eine weiter reichende Möglichkeit habe treffen wollen, auch unzulässige Verordnungen wie zum Beispiel Verordnungen im Off-Label-Use in die Differenzkostenberechnung einzubeziehen. 

Das Urteil sollten wir nun im nächsten Schritt höchstrichterlich klären lassen. Auch den Gesetzgeber müssen wir zu einer Klarstellung im Sinne einer medizinisch sachgerechten und rationalen Arzneimittelversorgung auffordern. Denn der Einsatz von Arzneimitteln im Off-Label-Use ist beispielsweise Therapiestandard bei neurologischen und onkologischen Indikationen sowie in der Pädiatrie.

Finanzielle Einsparungen bei Off-Label-Use-Verordnungen, nehmen die Krankenkassen gerne an. Aber im umgekehrten Fall, wenn zum Beispiel in der Onkologie oder in der Kinderheilkunde entsprechend der Leitlinien-Empfehlungen „off-label“ verordnet wird, dann wollen die Krankenkassen die gesamten Verordnungskosten regressieren, ohne zu beachten, dass der Patient eine Therapie benötigt und eine andere – aus Sicht der Krankenkassen wirtschaftliche – Therapie mindestens gegengerechnet werden müsste. Das kann und darf so nicht bleiben.

Die TI-Finanzierung und Wirtschaftlichkeitsprüfungen in Verbindung mit der Budgetierung sind nur zwei Beispiele, die unsere Kritiker Lügen strafen, wenn sie sagen, Ärztinnen und Ärzte sowie Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten würden immer nur nach mehr Geld rufen. Das Gegenteil ist der Fall: Sie gehen ständig in Vorleistung. 

Anfang März hatte ich Ihnen gesagt, dass ich mit aller Deutlichkeit jeder Misstrauenskultur entgegentrete, die zunehmend den Akteuren der vertragsärztlichen Versorgung – nämlich unseren Haus- und Fachärzten sowie den psychotherapeutisch tätigen Kolleginnen und Kollegen – entgegengebracht wird.

Daher haben wir uns auch im G-BA gegen die Forderung nach einem QS-Verfahren zum Antibiotikaverbrauch bei Infektionen der oberen Atemwege eingesetzt. Und dies nicht, weil wir das Thema Antibiotikaverbrauch nicht für wichtig halten! Ein solches Qualitätssicherungsverfahren aber würde 65.000 Vertragsärztinnen und -ärzte doppelt belasten.

Denn es gibt hierzulande längst Regelungen und Vereinbarungen zum rationalen Antibiotikaeinsatz sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene. Diese Vereinbarungen werden seit vielen Jahren durch Online-Fortbildungen für Ärztinnen und Ärzte flankiert. Ein gesondertes und zusätzliches QS-Verfahren ist also nicht nötig. 

Im Gegenteil: Es gibt im G-BA ein gemeinsam erarbeitetes Eckpunktepapier, das vorsieht, QS-Verfahren nur in den Bereichen einzuführen, in denen es ein Qualitätsdefizit gibt. Und zwar nur, wenn Nutzen und Aufwand stimmen. Ein solches Defizit existiert hier nicht: Die Verordnungsrate von Antibiotika bei Infektionen der oberen Atemwege liegt bei Hausärzten, Kinderärzten und HNO-Ärzten seit Jahren sehr deutlich unter dem Referenzbereich von 20 Prozent, wie ihn die europäische Gesundheitsbehörde (ECDC) vorschlägt.

Doppelte Regulierungen lehnen wir entschieden ab, denn die Zahlen sprechen für einen rationalen Einsatz und einen sorgsamen Umgang – auch mit Reserve-Antibiotika. Da sagen wir: Nein! Wir stehen auch hier für Bürokratie-Abbau! Wir konnten uns mit unserer Auffassung durchsetzen. Es bleibt aber ein Wermutstropfen: Das Thema will der G-BA im nächsten Jahr nochmals aufrufen.

Dabei gibt es im Bereich der Antibiotikaversorgung aufgrund der Lieferengpässe viel drängendere Probleme. Die Kinder- und Jugendärzte haben mit ihrem offenen Brief unter anderem an den Bundesgesundheitsminister den Ernst der Lage deutlich gemacht.

Vor einigen Jahren war das hierzulande noch eine unvorstellbare Notlage. Ein einzelnes Gesetz kann das Problem aber sicher nicht lösen. Die Herstellung in Deutschland lässt sich nicht über Nacht attraktiver machen beziehungsweise wiederaufbauen und hochfahren. Es sind nachhaltige Lösungen geboten!

Aus dem G-BA gibt es abschließend noch ein weiteres, eher positives Signal zu berichten: Beim geplanten QS-Verfahren ambulante Psychotherapie hat sich der G-BA in seinem Auftrag an das Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG) dazu bekannt, das Verfahren vor einem flächendeckenden Roll-Out regional erproben zu wollen.

Das werten wir als wichtigen Schritt und als Teilerfolg unseres gemeinsamen Impulspapiers zur Neuausrichtung der QS. Diese ist für uns wichtig, weil es dabei ganz wesentlich darum geht, wertvolle Arzt-Patienten-Zeit vor unnötigen Dokumentationsaufgaben zu schützen. 

Bei all diesen Themen stehen uns herausfordernde Jahre bevor. Für die kommenden zwei Jahrzehnte zumindest prognostiziert das Zukunftsinstitut für die medizinische Versorgung in unserem Land einen entscheidenden Kulturwandel: vom regulierten Angebots- zum vielseitigen Nachfragemarkt.

Nicht zuletzt die Digitalisierung habe diese neue Ära eingeläutet – mit allen damit verbundenen Chancen und Risiken. Vor allem aber – und das finde ich bemerkenswert, weil die Trends bisher in die entgegengesetzte Richtung weisen – mit mehr Zeit für ein neues, intensiveres Arzt-Patienten-Verhältnis. 

Ob das so kommt, werden wir sehen. Wenn das BMG allerdings endlich die Digitalisierung vom Kopf auf die Füße stellen würde – nämlich Digitalisierung endlich aus Sicht der Patientinnen und Patienten und der Praxen anzugehen – wäre sicherlich ein erster Schritt zur Erfüllung der Prognose des Zukunftsinstituts getan.

Unter diesen Voraussetzungen sind wir nicht nur bereit, Verantwortung zu übernehmen, sondern auch die digitale Transformation aktiv mitzugestalten. 

Vielen Dank!

 

(Es gilt das gesprochene Wort.)

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