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Stand 19.06.2024

Positionen

Erfahrungen mit eAU und eRezept: Lessons learned und nächste Schritte

Positionspapier der KBV zur Formulardigitalisierung

Mit der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) und dem elektronischen Rezept (eRezept) sind nun bereits zwei bundesmantelvertraglich vereinbarte Formulare als digitale Pflichtanwendungen eingeführt. Die praktischen Erfahrungen der Niedergelassenen mit digitalen Anwendungen werden durch die KBV regelmäßig im Rahmen des Praxisbarometers Digitalisierung sowie durch themenspezifische Onlinebefragungen erhoben. Ziel dieser Erhebungen ist zum einen die unmittelbare Verbesserung der Praxistauglichkeit der betreffenden Anwendungen. Zum anderen gilt es aber auch, die Rückmeldungen aus den Praxen zu nutzen, um hieraus Schlüsse für die Digitalisierung der bisher noch papiergebundenen Formulare zu ziehen.

Auf der Grundlage der Ergebnisse der oben genannten Befragungen wurden in Zusammenarbeit mit den Kassenärztlichen Vereinigungen, zuletzt in einem Workshop im Januar 2024, Eckpunkte formuliert. Dieses Positionspapier fasst die zentralen Erkenntnisse aus den Erfahrungen mit den bisher digitalisierten Formularen zusammen, um diese als Richtschnur für die zukünftigen eFormulare verwenden zu können.

Ableitungen

Die nachfolgendend genannten Punkte lassen sich als „lessons learned“ aus den Erfahrungen mit der eAU und dem eRezept für die anstehenden Digitalisierungsvorhaben im Formularbereich ableiten:

Funktionale und nutzerfreundliche digitale Prozesse gewährleisten

Entscheidend für die erfolgreiche Digitalisierung eines Formulars ist nicht nur die grundsätzliche technische Machbarkeit, sondern die Nutzerfreundlichkeit des digitalen Prozesses. Zentral hierfür ist die möglichst frühzeitige Einbindung der Anwender − zum einen bei der grundsätzlichen Festlegung der Abläufe, zum anderen aber auch bei der konkreten Umsetzung in der Praxissoftware.

Das eRezept wurde, anders als die eAU, vor der verpflichtenden Einführung in Pilotregionen erprobt. Hierdurch konnten einige Fehler frühzeitig identifiziert und die Nutzerfreundlichkeit erhöht werden. Die Tatsache, dass die gematik auch bei zukünftigen digitalen Anwendungen eine Erprobung in Pilotregionen vorsieht, ist grundsätzlich zu begrüßen. Entscheidend ist hierbei, dass ein ausreichend langer Erprobungszeitraum vorgesehen ist und dass die zeitliche Planung die ernsthafte Berücksichtigung der Ergebnisse aus den Pilotregionen vorsieht. Zudem muss die Erprobung ausreichend unterschiedliche Praxistypen und Praxisverwaltungssysteme umfassen.

Eine Erprobung in Pilotregionen kommt allerdings erst dann in Frage, wenn grundsätzliche Festlegungen (zum Beispiel zum Workflow zwischen den beteiligten Akteuren) schon getroffen wurden. Um eine möglichst frühzeitige Berücksichtigung der Bedürfnisse der Anwender zu ermöglichen, sollten daher weitere Formate zur Einholung von Praxisfeedback erwogen werden. Die KBV hat positive Erfahrungen mit der Durchführung von Ärztepanels gemacht, bei denen Niedergelassene aus einem bestimmten Versorgungsbereich vor der Einführung neuer Regelungen zu ihren Erfahrungen aus dem Praxisalltag befragt werden.

Diese können dann bei der Festlegung von Prozessen berücksichtigt werden, um eine möglichst hohe Praxistauglichkeit zu erreichen. Auch dieser Ansatz sollte bei der zukünftigen Digitalisierung von Formularen noch stärker genutzt werden.

Erst entbürokratisieren, dann digitalisieren

Insbesondere aufgrund des zeitlichen Drucks bei der Einführung digitaler Anwendungen wurden bei der Formulardigitalisierung bisher die Inhalte der Papierformulare unverändert für die elektronischen Formulare übernommen. Am Beispiel der aktuellen Diskussion um die Eintragung der Berufsbezeichnung im Datensatz für das eRezept wird allerdings deutlich, dass eine Auseinandersetzung mit der Sinnhaftigkeit der Angaben vor der Digitalisierung dazu beitragen kann, später auftretende Probleme zu vermeiden. Bei der zukünftigen Digitalisierung von Formularen sollten daher vorab unter anderem die folgenden Fragen gestellt werden:

  • Werden alle Informationen vom Empfänger des Datensatzes benötigt?
  • Gibt es Informationen, die mehrfach übermittelt werden (zum Beispiel im Datensatz des Formulars und im Datensatz der digitalen Signatur)?
  • Sind alle aktuell vorgesehenen Prozessschritte sinnvoll und notwendig?
  • Funktioniert die Informationsübermittlung derzeit problemfrei?
  • Werden die richtigen Informationen von den richtigen Ansprechpartnern erhoben?

Es sollte zudem darauf geachtet werden, dass eine digitale Signatur nur dann eingesetzt wird, wenn diese unbedingt erforderlich ist. Die inflationäre Verwendung digitaler Signaturen erhöht den bürokratischen Aufwand in den Praxen sowie die Last auf den Servern der Telematikinfrastruktur.

Keine Verlagerung administrativer Aufgaben in die Praxen

Obwohl die Digitalisierung der Formulare voranschreitet und der Gesetzgeber für die nächsten Schritte eine enge Taktung vorsieht, sind noch längst nicht alle betroffenen Akteure an die Telematikinfrastruktur angebunden. Neben anderen Gesundheitsberufen wie Pflegekräfte, Physiotherapeuten oder Hilfsmittelerbringer betrifft dies auch die Patientinnen und Patienten, die bisher nur sehr eingeschränkt in der Lage sind, digital auf Informationen zuzugreifen und diese selbständig weiterzuleiten.

Diese unvollständige Anbindung der relevanten Akteure verleitet regelmäßig dazu, dass in Diskussionen um die weitere Digitalisierung sowie in Pilotprojekten Aufgaben auf die Arztpraxen verlagert werden, die im papiergebundenen Prozess durch die Versicherten oder durch andere Gesundheitsberufe wahrgenommen werden. Aus vergleichbaren Gründen hat bei der Einführung der eAU der Gesetzgeber entschieden, die Weiterleitung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen an die Krankenkasse den Praxen zu übertragen.

Im Ergebnis führt ein solches Vorgehen dazu, dass der bürokratische Aufwand in den Praxen steigt und damit weniger Zeit für die Patientenversorgung zur Verfügung steht. Die Ärztinnen und Ärzte erleben Digitalisierung in diesem Fall nicht als die vielfach angekündigte Entlastung, sondern als einen weiteren Aufwuchs an nichtärztlichen Aufgaben.

Vollständig digitalisieren

Ein Punkt, der sich aus den Rückmeldungen der Niedergelassenen sehr deutlich ergibt, ist die Forderung nach einer vollständigen Digitalisierung. Sowohl bei der eAU als auch beim eRezept ist neben der digitalen Übermittlung in vielen Fällen noch ein Ausdruck erforderlich. Damit müssen in den Praxen Parallelstrukturen vorgehalten werden und der zeitliche Aufwand für die Ausstellung ist zum Teil höher als bei einem rein papiergebundenen Verfahren.

Vor dem Hintergrund der bisherigen Erfahrungen zeigt sich daher, dass möglichst von Anfang an eine vollständige Digitalisierung angestrebt werden sollte. Die Notwendigkeit der parallelen Ausstellung von Papierausdrucken führt in den Praxen zu Frust und einer Ablehnung der Digitalisierung. Voraussetzung für vollständig digitalisierte Prozesse ist, wie bereits oben angesprochen, dass alle relevanten Akteure digital handlungsfähig sind.

Zitate von Niedergelassenen zum Thema:

„Großer Aufwand an Papier, Zeit und Toner. Warum hat man bei Einführung nicht erstmal die gefragt, die am meisten damit zu tun haben?“

„Papierverschwendung und Tonerverschwendung. Verlangsamt Arbeitsprozess erheblich.“

„Sehr unpraktisch. Mehr Papierverbrauch, da jedes Medikament als einzelner Token gedruckt werden muss.“

Reihenfolge der Digitalisierung am Versorgungsnutzen orientieren

Ein häufig von Niedergelassenen geäußerter Kritikpunkt an der aktuellen Digitalisierungsstrategie ist, dass die Digitalisierung bisher nicht der Versorgung dient, sondern nur der vereinfachten Datenhaltung der Krankenkassen. Die KBV erhebt im Rahmen des Praxisbarometers Digitalisierung regelmäßig, in welchen Bereichen die Niedergelassenen den größten Anwendungsnutzen einer Digitalisierung sehen. Im letzten Jahr zählten zu den am häufigsten genannten Anwendungen Arztbriefe, Befunddaten und Labordaten sowie im Austausch mit dem stationären Bereich Krankenhausentlassbriefe und Informationen über Behandlungsverläufe und Therapieempfehlungen.

Leider wurde durch das Digitalgesetz keine Anpassung der Reihenfolge der zu digitalisierenden Formulare vorgenommen. Somit wird der noch von der Vorgängerregierung stammende Ablauf weiterverfolgt, der als nächsten Schritt die Digitalisierung der Verordnung digitaler Gesundheitsanwendungen vorsieht. Die Einführung der Opt-out-ePA bietet allerdings die Chance, viele der im Praxisbarometer genannten Anwendungen zu digitalisieren – wenn hier eine anwenderorientierte Umsetzung erfolgt.

Patientenaufklärung durch die Krankenkassen

Ein weiterer Punkt, der im Rahmen von Kurzbefragungen der KBV häufig angesprochen wird, ist die Bedeutung der Patientenaufklärung. Für das reibungslose Funktionieren der digitalen Abläufe ist es wichtig, dass Patientinnen und Patienten darüber aufgeklärt sind, wie Versorgungsprozesse nach der Einführung digitaler Formulare funktionieren. Trotzdem fand sowohl bei der Einführung der eAU als auch bei der Einführung des eRezeptes keine nennenswerte Aufklärung durch die gesetzlichen Krankenkassen oder staatliche Stellen statt, sodass die Aufklärung als zusätzliche Aufgabe durch die Arztpraxen vorgenommen werden musste.

Zitate von Niedergelassenen zum Thema:

„Hoher Erklärungsbedarf, die Versicherten wurden weder von Kassen noch Medien ausreichend informiert.“

„Die Kassen haben die Patienten NULL informiert und ihre Pflicht zur Information entspannt auf die Ärzte abgeladen. Unverschämt und kaltschnäuzig.“

Für die in den nächsten Jahren anstehenden Digitalisierungsprojekte wie die Opt-out-ePA oder die elektronische Verordnung häuslicher Krankenpflege muss sichergestellt sein, dass insbesondere die Krankenkassen ihrer Verantwortung bei der Aufklärung ihrer Versicherten nachkommen.

Interview mit Dr. Sibylle Steiner zum Positionspapier

Warum hat das KV-System ein Positionspapier zu eFormularen vorgelegt?

Dr. Sibylle Steiner, Mitglied des Vorstands der KBV

Die Einführung der beiden großen Anwendungen, nämlich die Einführung der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und des elektronischen Rezeptes, liegen hinter uns. Wir haben Erfahrungen damit gesammelt. Es lief nicht alles problemfrei und es ging uns jetzt darum, diese Erfahrungen letztendlich zu sammeln und gemeinsam mit dem KV-System dann ein entsprechendes Positionspapier zu veröffentlichen, um nochmal darzustellen, wie kommen wir auch zu mehr Praxistauglichkeit und natürlich geht es uns auch darum, es werden ja jetzt neue Formulare digitalisiert, genau aus diesen Erfahrungen zu lernen und die Anwenderperspektive da viel stärker noch mit aufzunehmen.

Woher stammen diese Eckpunkte?

Dr. Sibylle Steiner, Mitglied des Vorstands der KBV

Also wir haben zum einen eine regelmäßige Befragung von Praxen in diesem Praxisbarometer Digitalisierung, zum anderen haben wir natürlich auch Panels mit niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen, die haben uns genau diese Rückmeldungen gegeben, die haben wir strukturiert letztlich aufbereitet und in diesem Positionspapier zusammengefasst.


Was muss beim nächsten Mal besser laufen?

Dr. Sibylle Steiner, Mitglied des Vorstands der KBV

Ein Punkt, den man ansprechen muss, ist, dass man begonnen hat damit, die Dinge immer aus der technischen Machbarkeitsperspektive zu betrachten und viel weniger aus der Versorgungspraxis. Also heißt, was besser laufen muss, dass man die Anwender, diejenigen, die tagtäglich damit umgehen, frühzeitiger miteinbezieht. Ein anderer Punkt ist, dass man erst entbürokratisieren muss und dann digitalisieren kann. Ich kann das gerne an einem Beispiel festmachen, wir haben zum Beispiel bei der Einführung des eRezeptes gesehen, dass wir Informationen auch doppelt übermitteln. Im Sinne von in der digitalen Signatur ist dann schon klar, dass die Verordnung durch eine Ärztin oder einen Arzt erfolgt und auf der anderen Seite geben wir noch die Berufsbezeichnung an. Das sind so Dinge, das muss man einfach von vornherein mitdenken, zu gucken, welche Informationen braucht man überhaupt und welche Informationen überführt man oder stellt man vielleicht doppelt zur Verfügung, wenn man eben zu sehr am Papierprozess noch hängt. Stichwort Papierprozess: Wir müssen auch dahin kommen, dass wir die Dinge, die wir digitalisieren, voll digitalisieren und nicht diesen Systembruch haben, wie wir ihn nach wie vor haben, sowohl bei der eAU als auch beim eRezept, dass wir immer noch mit, auf der einen Seite mit dem elektronischen Formular und auf der anderen Seite doch mit dem Papierausdruck für die Patientinnen und Patienten arbeiten. Hier muss man einfach zu einer Volldigitalisierung kommen. Und vielleicht noch der dritte Punkt ist, dass man stärker darüber im Vorfeld nachdenkt, dass man nicht administrative Prozesse in die Arztpraxen zurückverlagert, also Stichwort elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, die von der Praxis an die Krankenkassen übermittelt wird, dass also nicht neue Prozesse, die rein administrativ sind, in die Arztpraxen verlagert werden.


Gibt es auch etwas, was beibehalten werden sollte?

Dr. Sibylle Steiner, Mitglied des Vorstands der KBV

Beim eRezept haben wir im Gegensatz zur eAU ja mit Pilotregionen gestartet. Das ist sicher ein positiver Ansatz. Wir haben uns dann ja auch für einen stufenweisen Rollout eingesetzt. Das ist nicht so gekommen, aber zumindest hatte man hier Pilotregionen und darauf muss zukünftig stärker geachtet werden, dass wir Testphasen haben, dass wir aber dann auch ausreichend Zeit haben, um die Ergebnisse aus den Testphasen zu berücksichtigen. Und Testphasen bedeutet auch, dass man unterschiedliche Praxistypen, auch zum Beispiel unterschiedliche PVS-Systeme in diese Tests mit einbezieht, dass man einfach breiter Erfahrung sammelt, was funktioniert, was gut funktioniert und was nicht funktioniert.


Welche Formulare werden als nächstes digitalisiert?

Dr. Sibylle Steiner, Mitglied des Vorstands der KBV

Als nächstes werden zum einen die digitalen Gesundheitsanwendungen, also die DiGAS, die Verordnung von DiGAS digitalisiert, dann kommt die häusliche Krankenpflege und die außerklinische Intensivpflege. Das ist die gesetzlich vorgeschriebene Reihenfolge, die leider, muss man sagen, mit dem Digitalisierungsgesetz eben nicht geändert wurde.


Haben Sie denn andere Vorschläge?

Dr. Sibylle Steiner, Mitglied des Vorstands der KBV

Ja, wir haben konkrete andere Vorschläge, die natürlich auch von den Kolleginnen und Kollegen aus den Praxen stammen. Hier wird immer in den Vordergrund gestellt, dass es darum geht, dass man Dinge digitalisiert, die der Kommunikation, dem Austausch untereinander dienen. Das sind zum Beispiel der Austausch von Labordaten, eArztbrief oder auch natürlich in der Zusammenarbeit mit Krankenhäusern den Krankenhausentlassbrief. Also, dass man stärker letztendlich die Dinge in den Vordergrund setzt, die tatsächlich auch den Austausch untereinander verbessern. Die Kolleginnen und Kollegen aus dem Bereich Psychotherapie haben uns vorgeschlagen, das Antrags- und Gutachterverfahren zu digitalisieren. Das wäre zum Beispiel auch ein sinnvoller Ansatz.