Positionspapier der KBV zur Bundestagswahl 2025 - Unsere Gesundheit erlaubt keinen Stillstand
Forderungen der KBV zur Bundestagswahl zur 21. Legislaturperiode – zum Erhalt des Sozialstaates und einer modernen und zeitgemäßen ambulanten medizinischen Versorgung
Die Amtszeit der abgelaufenen Legislaturperiode der Fraktionen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP hat im Ergebnis von 3,5 Jahren einen Stillstand des Gesundheitswesens für die ambulante ärztliche und psychotherapeutische Versorgung und damit einen Stillstand für die Versorgung unserer Patientinnen und Patienten bedeutet. Bereits zu lange ignoriert die Politik die zunehmenden Probleme in der ambulanten Gesundheitsversorgung bzw. versucht, diese teilweise unlösbaren Probleme auf Dritte abzuwälzen. Eine Gesundheitspolitik für eine moderne und zeitgemäße ambulante medizinische Versorgung bedeutet auch, dass sich Politik ehrlich um eine Problemlösung bemühen muss.
Insbesondere vor dem Hintergrund der Bevölkerungsentwicklung, dem stetig zunehmenden Fachkräftemangel sowie der damit einhergehenden Belastung des Gesundheitswesens insgesamt bekennen wir uns zu einer nachhaltigen Finanzierung des Gesundheitswesens sowie der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Die Missachtung der strukturellen Finanzierungsprobleme der GKV muss beendet werden.
Wir stehen als Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), die die Interessen der 187.000 vertragsärztlich tätigen Ärztinnen und Ärzte sowie Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten vertritt, zur gemeinsamen und ärztlichen Selbstverwaltung; insbesondere und ausdrücklich mit unseren Partnern der gesetzlichen Krankenkassen, der Krankenhäuser sowie der Zahnärztinnen und Zahnärzten sowie Apotheken. Die Organisation der medizinischen Versorgung gehört in die Hände der Selbstverwaltung. Die strukturelle Missachtung der Selbstverwaltung durch die Politik muss beendet werden.
Die KBV ist der Dachverband der 17 Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen). Sie organisiert mit diesen gemeinsam die flächendeckende wohnortnahe ambulante Gesundheitsversorgung und vertritt die Interessen der vertragsärztlich tätigen Ärztinnen und Ärzte sowie Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten auf Bundesebene.
Wir sind für die ambulante medizinische Versorgung der Bürgerinnen und Bürger Deutschlands nah. Wir bleiben für Sie nah. Die Zukunft der Medizin ist ambulant. Mit 187.000 Ärztinnen und Ärzten sowie Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten organisieren wir die ambulante Medizin in rund 100.000 Praxen wohnortnah. Dafür stehen wir als Praxenland Deutschland.
Dr. Andreas Gassen zu seinen Erwartungen an eine neue Bundesregierung
Im Sondierungspapier wird das Thema Gesundheit sehr knapp behandelt. Wie werten Sie das?
Dr. Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der KBV
„Das ist das klare Zeichen dafür, dass Gesundheitspolitik natürlich nicht im Fokus der aktuellen Tagespolitik steht. Das ist auch nachvollziehbar bei Krieg und Krisen in der ganzen Welt. Insofern muss man einfach davon ausgehen, dass hier möglicherweise, auch was den Koalitionsvertrag angeht, deutlich weniger drinstehen wird als beim letzten, was ja kein Nachteil sein muss.“
Was erwarten Sie denn von der neuen Regierung?
Dr. Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der KBV
„Entscheidend wird es sein, wenn schon Gesundheitspolitik nicht als eine der Hauptförderaspekte für die neue Regierung angesehen wird, dass man zumindest Bestandsstrukturen nicht weiter drangsaliert, wie das in der Vergangenheit geschehen ist. Wir brauchen dringend massiven Bürokratieabbau, der die Praxen lähmt. Das kostet auch nicht viel Geld. Das muss man einfach nur irgendwann mal machen und es nicht nur drei Jahre ankündigen. Allerdings muss man schon sagen, ganz ohne Geld wird es auch im Gesundheitswesen nicht gehen. Das ist zwar ein sehr resilientes System – noch - aber das ist es natürlich letztlich, weil die Kolleginnen und Kollegen alles machen, was möglich ist und teilweise Dinge, die unmöglich sind. Und auf jeden Fall muss man, wenn man allein das Thema Notfall adressiert, hier schon erwarten, dass als gesamtgesellschaftliche Aufgabe hier auch Investitionen in eine Infrastruktur, in eine digitale Infrastruktur erfolgen, die dann eine Ersteinschätzung für die Menschen ermöglicht, die bisher mehr oder weniger ungesteuert durchs System stolpern und eben auch dann tagsüber in Notaufnahmen anlanden.“
Die Krankenkassen haben aber zuletzt ein Ausgabenmoratorium gefordert…
Dr. Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der KBV
„Die Krankenkassen fordern das ja regelhaft. Immer im Sommer pünktlich zu den Honorarverhandlungen wird das Klagelied der Krankenkassen angestimmt. Diesmal ist es tatsächlich nur der AOK Bundesverband, der GKV Spitzenverband. Die Ersatzkassen haben sich da wohltuend zurückgehalten. Auch die BKKen und IKKen haben diesbezüglich keine Forderung gestellt. Es wäre auch völliger Irrsinn, jetzt ein Ausgabenmoratorium im Gesundheitswesen zu fordern. Und es ist schier unverschämt, die lange überfällige Entbudgetierung der Hausärzte jetzt zurückdrehen zu wollen. Ganz im Gegenteil, man muss den nächsten Schritt ins Auge fassen, auch die Fachärzte zu entbudgetieren. Das ist sicherlich eine der Aufgaben für die nächste Legislatur. Aber insofern muss man sagen, das sind fast reflexartige Äußerungen, die man schon fast nicht mehr ernst nehmen kann.“
Welche Auswirkungen hätte das denn für die ambulante Versorgung?
Dr. Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der KBV
„Also das System ist ja ohnehin schon an den Leistungsgrenzen angekommen. Vieles funktioniert wirklich nur, weil die Kolleginnen und Kollegen in den Praxen eigentlich das Prinzip der Selbstausbeutung praktizieren. Und das in einem System was bis vor wenigen Monaten für alle budgetiert war, mit Ausnahme für die Kinder- und Jugendärzte, jetzt sollen die Hausärzte entbudgetiert werden. Das wird noch eine Weile in Anspruch nehmen, bis das wirksam wird. Das heißt, wir haben es mit einer Struktur zu tun, die eigentlich einen Dauerrabatt von 10 Prozent einräumt. Dass das auf Dauer nicht gut gehen kann, ist völlig klar. Die Kosten steigen natürlich auch in den Praxen. Personal- und sämtliche andere Kosten kennen ja nur einen Weg, nach oben. Und insofern ist ein Ausgabenmoratorium natürlich, als wenn man Feuer mit Benzin löschen wollte, das ist sicherlich dann das Totenglöckchen für die ambulante Versorgung, weil es natürlich das klare Signal senden würde, die Praxen sind der Politik und der Gesellschaft egal. Und das ist insbesondere für Kollegen, die möglicherweise eh schon an der Altersgrenze sind und jetzt noch ein paar Jahre praktizieren würden, dass sie dann endgültig aussteigen und viel fataler: Das Signal an die junge Generation wäre, dass man sich vielleicht besser gar nicht auf eine Niederlassung einlassen sollte. Und das ist erstens in der Sache falsch. Und zum Zweiten würde es die Versorgungssicherheit Deutschlands innerhalb kürzester Zeit zur Disposition stellen.“
Glauben Sie, dass den Menschen die Gesundheitsversorgung wichtig ist?
Dr. Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der KBV
„Es ist extrem wichtig. Wir haben das auch im Rahmen unserer Kampagne mal evaluiert. Und da sieht man, dass ein sehr hoher Anteil der Bevölkerung der Gesundheitsversorgung, und Gesundheitsversorgung bedeutet für die Allermeisten Versorgung durch Praxen, eine extrem hohe Bedeutung beimisst. Und meines Erachtens ist es auch keine Überraschung, dass die SPD so desaströs abgeschnitten hat, weil die SPD natürlich diese Gesundheitspolitik der letzten drei Jahre zu verantworten hat. Und ich gehe davon aus, dass die Menschen in diesem Land auch die Gesundheitspolitik abgestraft haben.“
Was muss bei der Krankenhausreform passieren?
Dr. Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der KBV
„Die Krankenhäuser haben ein 100-Tage-Programm sozusagen veröffentlicht, das sie sich von der Bundesregierung wünschen. Nicht völlig überraschend sind da in weiten Teilen Rückabwicklungen des KHVVG drin. Das ist in vielen Fällen sogar nachvollziehbar, weil das Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz eben ohne Beteiligung der Akteure durchgedrückt wurde mit vielen Haken und Ösen, nicht zuletzt einem Transformationsfonds, der offen rechtswidrig ist und jetzt auch von der EU-Kommission angezählt wird. Deshalb gehe ich davon aus, dass eine neue Bundesregierung als erstes das Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz wieder, nicht zurücknimmt, aber deutlich überarbeiten wird. Das ist notwendig. Und eigentlich muss sich dann daran sofort eine Notfallreform anschließen, das eine ohne das andere macht wenig Sinn. Und beide Gesetze können aus meiner Sicht auch nur in Rücksprache auch mit den Niedergelassenen erneut auf die Rampe geschickt werden, weil natürlich das eine komplementäre Versorgung ist. Und insofern muss man auch mit den Niedergelassenen sprechen.“
Wie haben Sie die Stimmung im KV-System bei der Vertreterversammlung letzte Woche wahrgenommen?
Dr. Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der KBV
„Ja, die Stimmung ist schon so, dass man entschlossen ist, Punkte jetzt umzusetzen und auch einzufordern. Ich habe eine sehr große Geschlossenheit wahrgenommen. Wir haben ja viele Anträge durchgestimmt, die verschiedene Aspekte der ambulanten Versorgung adressieren. Das ist einmal die Steuerung im Not- und Akutfall. Dann haben wir auch Dinge zur Koordinierung oder auch Steuerung, wenn man das sagen möchte, in der normalen Regelversorgung adressiert. Hierzu werden wir uns auch noch mal zusammensetzen und im Rahmen einer Klausur zu überlegen, wie man das am ehesten in der Regelversorgung umsetzen kann, wie dann auch Praxen, die das tun, dafür entsprechende Vergütung erhalten. Denn es ist völlig klar, das ist mehr Arbeit, die muss auch vergütet werden. Und da wir eine Entbudgetierung bei den Hausärzten bekommen, macht dann auch mehr Leistung mit mehr Geld durchaus Sinn. Das ist alles nicht zum Nulltarif zu haben."
Auch die Digitalisierung war ein Thema…
Dr. Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der KBV
„Und auch zum Thema Digitalisierung haben wir etliche klare Beschlusslagen. Es ist völlig klar, dass die elektronische Patientenakte erst dann ausgerollt werden darf, wenn sie erstens sicher ist. Das ist mir bisher noch nicht bekannt, dass die Bundesdatenschützerin hier das Go gegeben hat. Und sie muss natürlich auch nicht nur sicher sein, sie muss auch funktional sein. Ob sie das ist, können wir gar nicht sagen, weil die Hälfte der Testpraxen gar nicht in der Lage ist, die ePA zu testen in Ermangelung von entsprechenden Softwaremodulen. Und das allein zeigt ja, diese ePA ist lange noch nicht serienreif. Und deshalb muss es auf jeden Fall heißen, Eile mit Weile. Das muss funktionieren, das muss massentauglich sein. Es darf natürlich keine Sanktionen geben. Das ist die Minimalforderung, dass man, wenn man überhaupt ein System jetzt testen will, dass man nicht den Kolleginnen und Kollegen mit Sanktionen droht. Und da muss man schauen, wie sich im Laufe des Jahres die ePA im Praxisbetrieb betätigt. Und da muss man auch Kritikpunkte, die von den Testpraxen angebracht werden, ernst nehmen. Wir hatten einen Testarzt in der VV, der sich darüber beklagt hat, dass das, was er an Rückmeldungen gibt, offensichtlich gar nicht gehört werden möchte. Weil Probleme möchte man nicht mitgeteilt bekommen, die schweigt man am liebsten tot. So kann man aber ein so wichtiges Projekt wie die ePA natürlich nicht vorantreiben. Und deshalb kann man hier nur vor einem Rollout warnen, den der Minister theoretisch anordnen könnte. Er würde es dann wider besseres Wissen und wider die aktuellen sächlichen Voraussetzungen tun.“
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Dr. Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der KBV, hält umfassende Maßnahmen einer neuen Bundesregierung für dringend notwendig, um die ambulante Versorgung zu sichern. Ein Ausgabenmoratorium wäre dafür der falsche Weg.