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Stand 26.01.2023

Labordiagnostik

Anämie - Empfehlungen zur Labordiagnostik

Anämien gehören zu den häufigsten Komplikationen zahlreicher Erkrankungen, vor allem bei infektiösen und nichtinfektiösen Entzündungen, Mangelzuständen, Leber- oder Nierenerkrankungen oder bei Neoplasien. Als Anämie wird die Verminderung der Hämoglobinkonzentration unterhalb des alters- und geschlechtsspezifischen Referenzwertes definiert.

Diese Verminderung kann durch eine verringerte Gesamtzahl der Erythrozyten, eine Abnahme des Hämoglobingehaltes der einzelnen Erythrozyten, aber auch in bestimmten Fällen durch eine Zunahme des Plasmavolumens und einer daraus resultierenden relativen Abnahme der Erythrozytenmasse (Pseudoanämie) bedingt sein.

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Nach der WHO-Klassifikation liegt eine Anämie vor, wenn bei Männern die Hb-Konzentration unter 130 g/l, bei Frauen unter 120 g/l und bei Schwangeren unter 110 g/l liegt. Die Grenzwerte bei Kindern für Anämien müssen altersabhängig bewertet werden. Angeborene oder erworbene Ursachen für die Ausbildung einer Anämie können unter anderem Störungen der Blutbildung, ein gesteigerter Erythrozytenabbau, Blutungen und Verteilungsstörungen sein. 

Eine Klassifizierung der Anämien kann z. B. anhand der Erythrozytenindizes

  • MCV (mittleres korpuskuläres Volumen),
  • MCH (mittlerer korpuskulärer Hämoglobingehalt) und
  • MCHC (mittlere korpuskuläre Hämoglobinkonzentration) sowie der
  • Retikulozytenzahl

erfolgen.

Dabei werden Anämien anhand des MCV in mikrozytäre, normozytäre und makrozytäre Anämien eingeteilt. Anhand des MCH ist eine Einteilung in hypochrome, normochrome und hyperchrome Anämien möglich. Differentialdiagnostisch hat sich die Klassifizierung anhand des MCV als wertvolle Grundlage für die Durchführung einer sinnvollen laboratoriumsmedizinischen Stufendiagnostik erwiesen.

Klinische Fragestellung

Symptome mit Verdacht auf Anämie:

  • Müdigkeit
  • Konzentrationsschwäche
  • Leistungsabfall
  • Schwindel
  • Blässe
  • Tachykardie
  • neu auftretende Herzgeräusche
  • gegebenenfalls der (Zufalls-)Befund einer verminderten Hämoglobinkonzentration

Die Anamnese sollte, insbesondere bei der multiethnischen Bevölkerung, die Frage nach familiärer Anämie (Hämoglobinopathien) umfassen.
 

Laborparameter

Großes Blutbild: 

Das große Blutbild mit den Parametern Erythrozyten, Leukozyten, Thrombozyten, Hämoglobin, Hämatokrit, MCV, MCH, MCHC, neutrophile, eosinophile und basophile Granulozyten, Monozyten und Lymphozyten, dient der Einstiegsdiagnostik bei Verdacht auf Anämie. Insbesondere anhand des Hämoglobin- und MCV-Wertes erfolgt die Klassifizierung der Anämie. Zusätzlich kann durch die Leukozytendifferenzierung eine mögliche hämatologische Fragestellung bereits am Anfang des diagnostischen Pfades identifiziert werden.

Ferritin:

Die Serumkonzentration von Ferritin korreliert in gewissen Grenzen mit dem im Körper vorhandenen Speichereisen. Die Bestimmung wird bei der Diagnostik des Eisenstoffwechsels eingesetzt und kann in Kombination mit CRP erfolgen, um eine Pseudonormalisierung des Ferritins bei Akute-Phase-Reaktionen – und damit das Übersehen eines möglichen Eisenmangels – ausschließen zu können.

CRP: 

Das C-reaktive Protein ist ein Plasmaprotein, das in der Leber gebildet wird und zu den sogenannten Akute-Phase-Proteinen und den Entzündungsparametern zählt.

Löslicher Transferrinrezeptor: 

Lösliche Transferrinrezeptoren (sTfR) sind Transferrinrezeptoren, die frei im Blutplasma vorliegen. Mit dem sTfR-Wert lässt sich der aktuelle Eisenbedarf abschätzen. Zusammen mit dem CRP-Wert kann anhand des von Akute-Phase-Reaktionen unabhängigen sTfR beurteilt werden, ob eine Anämie durch eine Entzündung, eine chronische Erkrankung oder durch einen Eisenmangel verursacht wird.

Retikulozytenzahl:

Der relative Anteil von unreifen Erythrozyten (Retikulozyten) an der Gesamtheit der roten Blutzellen bzw. die absolute Zahl der Retikulozyten im Blut und der hieraus errechnete sog. Retikulozytenproduktionsindex (RPI) dienen der diagnostischen Differenzierung von Anämien im Hinblick auf die Beurteilung der Effektivität der Erythropoese im Knochenmark.

Kreatinin, ALT, AST:

Die Bestimmung der Nieren- und Leberwerte Kreatinin, Alanin-Aminotransferase und Aspartat-Aminotransferase, zusammen mit CRP als Entzündungsparameter, wird für die Differenzierung von chronischen Erkrankungen sowie renal bzw. hepatisch bedingten Anämien von u. a. knochenmarkassoziierten Erkrankungen genutzt.

Hämolyseparameter:

Die Konzentrationen von Haptoglobin, LDH und (indirektem) Bilirubin werden verwendet, um eine Hämolyse, d. h. eine pathologische Zerstörung von Erythrozyten, nachzuweisen.

Vitamin B12, Folsäure:

Bei einer makrozytären Anämie ist die Bestimmung der Konzentrationen der Vitamine B12 und Folsäure wichtig, um einen entsprechenden Vitaminmangel als Ursache zu diagnostizieren bzw. auszuschließen.
 

Basisdiagnostik 1: großes Blutbild und Klassifizierung der Anämie

Bei begründetem Verdacht auf eine Anämie sollte eine medizinisch sinnvolle Stufendiagnostik mit der Bestimmung und Beurteilung der Hämoglobinkonzentration sowie der Erythrozytenindizes im Rahmen des großen Blutbildes beginnen.

Ergeben sich dabei Hämoglobinkonzentrationen unterhalb der alters- und geschlechtsspezifischen Referenzwerte, liegt eine Anämie vor.

Die Beurteilung der Erythrozytenindizes, insbesondere die Interpretation des MCV und gegebenenfalls des MCH, ermöglicht eine erste Klassifizierung der vorliegenden Anämie sowie die gezielte Auswahl weiterer laboratoriumsmedizinischer Parameter für eine weiterführende Diagnostik zur Ursachenklärung.

Dabei deutet ein erniedrigtes MCV auf eine mikrozytäre Anämie, ein normwertiges MCV auf eine normozytäre Anämie und ein erhöhtes MCV auf eine makrozytäre Anämie hin.

Mikrozytäre Anämie (MCV erniedrigt)

Basisdiagnostik 2: Ursachenabklärung durch Ferritinbestimmung

Deutet die Bewertung der Hämoglobinkonzentration und der Erythrozytenindizes auf eine mikrozytäre Anämie hin, sollte unter Berücksichtigung einer Infektion die Ferritinkonzentration im Serum oder Plasma bestimmt werden. Mittels dieser Untersuchung kann zwischen dem häufig ursächlichen Eisenmangel und anderen Ursachen einer Anämie unterschieden werden.

Eine Eisenmangelanämie kann bei erniedrigter Ferritinkonzentration angenommen werden. Bei Verdacht auf einen Eisenmangel kann zusätzlich die Beurteilung der Erythrozytenverteilungsbreite (Red Cell Distribution Width - RDW) als Korrelat für die beim Eisenmangel charakteristische Anisozytose herangezogen werden.

Weiterführende Diagnostik 1 und 2

Ferner kann die Ferritinkonzentration in der akuten Phase einer Infektion trotz bestehendem Eisenmangel im Referenzbereich liegen oder erhöht sein. In diesen Fällen kann die Messung der Serum- oder Plasmakonzentration des Entzündungsmarkers C-reaktives Protein (CRP) sowie der Konzentration des löslichen Transferrinrezeptors (sTfR) zur Differentialdiagnose beitragen.

Erhöhte Werte von CRP und sTfR weisen dabei auf eine Eisenmangelanämie hin. Hingegen zeigen eine erhöhte Konzentration des CRP und im Referenzbereich liegende Werte des sTfR auf das mögliche Vorliegen einer chronischen Entzündung (Anemia of Chronic Disease, ACD) hin.

Sollte der CRP-Wert dagegen im Referenzbereich liegen, ist bei einem niedrigen MCV und erhöhten Ferritin-Werten eine Hämoglobinopathie, zum Beispiel β-Thalassämie, anzunehmen. Zur genauen Abklärung wird gegebenenfalls eine differentialdiagnostische Untersuchung durch den Facharzt empfohlen.

Normozytäre Anämie (MCV normal)

Basisdiagnostik 2: Ursachenabklärung durch Bestimmung der Retikulozytenzahl

Die Beurteilung der Retikulozytenzahl im Blut hilft bei der Differenzierung von normozytären Anämien. Liegt die Retikulozytenzahl dabei im Referenzbereich oder ist sie erniedrigt, spricht dies für das Vorliegen einer hyporegenerativen Bildungsstörung der Erythrozyten. Sind die Retikulozytenwerte dagegen erhöht (hyperregenerative Anämie), weist dies auf eine Hämolyse oder Blutung als Ursache hin.

Weiterführende Diagnostik 1 und 2

Bei erniedrigten bzw. im Referenzbereich liegenden Retikulozytenzahlen kann eine nachfolgende Bestimmung von CRP, Kreatinin, Alanin-Aminotransferase und Aspartat-Aminotransferase im Serum bzw. Plasma zur weiteren Differentialdiagnostik beitragen.

Gegebenenfalls ist dabei die Bestimmung weiterer Parameter hilfreich, zum Beispiel TSH zur Abklärung einer durch Hypothyreose ausgelösten Anämie oder eine Proteinelektrophorese zur Abklärung eines möglichen Plasmazellmyeloms.

Pathologische Messwerte der Laborparameter können auf eine Anämie durch chronische Erkrankungen sowie eine renal bzw. hepatisch bedingte Anämie hindeuten. Sind die Messergebnisse dagegen unauffällig, kann dies ein Hinweis auf das Vorliegen einer (toxischen) Knochenmarkschädigung/-infiltration, einer aplastischen Anämie oder Myelodysplasie sein. Eine Knochenmarkpunktion sollte nur nach Konsultation des Facharztes und bei vorliegender Indikation zur Abklärung der Diagnose durchgeführt werden.

Bei einer erhöhten Retikulozytenzahl sollten dagegen anschließend die Konzentrationen von Haptoglobin sowie Bilirubin und der Laktatdehydrogenase (LDH) bestimmt werden. Vor allem erniedrigte Konzentrationen von Haptoglobin als sensitiver Hämolysemarker, aber auch erhöhte LDH- und Bilirubinkonzentrationen können wichtige Anzeichen für das Vorliegen einer hämolytischen Anämie sein, deren Ursache durch weitere diagnostische Maßnahmen abgeklärt werden muss.

Bei unauffälligen Ergebnissen der Hämolysemarker besteht bei einer normozytären Anämie dagegen der Verdacht auf einen Verlust der Erythrozyten durch eine akute Blutung, der ebenfalls einer weiteren diagnostischen Abklärung bedarf.

Makrozytäre Anämie (MCV erhöht)

Basisdiagnostik 2: Ursachenabklärung durch Bestimmung der Vitamin B12- und Folsäurewerte

Makrozytäre Anämien können sowohl durch eine Beeinträchtigung der Erythropoese im Sinne einer Bildungsstörung als auch durch eine verkürzte Lebensdauer der Erythrozyten im Sinne einer Verbrauchsanämie oder eine Kombination aus beidem verursacht werden.

Bei Verdacht auf eine megaloblastische Anämie empfiehlt sich daher zunächst die Untersuchung auf das Vorliegen eines Vitamin B12- und/oder Folsäuremangels. Wurde ein Vitamin B12- bzw. ein Folsäuremangel nachgewiesen, sollten im Rahmen der weiteren Abklärung mögliche Ursachen, z. B. die Einnahme bestimmter Medikamente, Autoimmunerkrankungen mit Autoantikörpern gegen Parietalzellen, Malabsorption oder ein chronischer Alkoholkonsum, ausgeschlossen werden.

Weiterführende Diagnostik 1 und 2

Bei unauffälligen Vitamin B12- bzw. Folsäurewerten wird empfohlen, zusätzlich die Retikulozytenzahl zu bestimmen. Diese hilft bei der Differenzierung zwischen Anämien mit erhöhtem peripheren Erythrozytenabbau und Anämien, die durch eine Bildungsstörung verursacht sind.

Eine niedrige Retikulozytenzahl bei signifikanter Anämie kann ein myelodysplastisches Syndrom (MDS) anzeigen, aber auch ein Hinweis auf Lebererkrankungen, Alkoholmissbrauch oder die Einnahme bestimmter Medikamente sein. Eine Knochenmarkpunktion zur genauen Ursachenabklärung sollte nur nach entsprechender Facharztkonsultation in Erwägung gezogen werden.

Häufige Ursache einer (scheinbaren) Makrozytose ist eine Retikulozytose, also eine erhöhte Retikulozytenzahl, beispielsweise bei Regeneration nach Blutverlust oder bei Hämolyse. Neben den erhöhten Retikulozytenzahlen sind dabei erhöhte Konzentrationen von LDH und Bilirubin sowie eine erniedrigte Haptoglobinkonzentration die wichtigsten Zeichen für das Vorliegen einer hämolytischen Anämie.

Auffällige bzw. pathologische Befunde bedürfen in jedem Fall einer weiteren medizinischen Abklärung, gegebenenfalls auch mittels laboratoriumsmedizinischer Spezialdiagnostik, um eine adäquate Therapie des Patienten zu gewährleisten.
 

Literaturverzeichnis

  • Anämie / Eisenstoffwechsel; LaborInfo 145.3, Stand November 2017, Labor 28
  • Anämie; Diagnostischer Pfad, Stand November 2017, Labor 28
  • Anämiediagnostik im Kindesalter; AWMF-Leitlinie, Stand 02.05.2018, Registernummer 025 – 027, Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie (GPOH)
  • Anämiediagnostik; Diagnostische Pfade in der Laboratoriumsmedizin, Stand März 2014, Nordlicht aktuell
  • Aplastische Anämie; Onkopedialeitlinie, Stand August 2018, Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO)
  • Diagnostik des Eisenmangels; Diagnostische Pfade in der Laboratoriumsmedizin, Stand November 2014, Nordlicht aktuell
  • Eisenmangel und Eisenmangelanämie; Onkopedialeitlinie, Stand Juli 2021, Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO)
  • Eisenmangel; mediX-Leitlinie, Stand November 2020, Verein mediX
  • Iron deficiency; Pasricha et al., 2021, Lancet; 397: 233–48 
  • Klinikhandbuch Labordiagnostische Pfade, W. Hofmann, J. Aufenanger, G. Hoffmann (Hrsg.), De Gruyter Verlag, 2. Auflage, 2014
  • Labor und Diagnose, Thomas L., TH-Books, 8. Auflage, 2012
  • Laborkompendium; Richtlinie der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Stand April 2014, KBV
  • Präoperative Anämie; AWMF-Leitlinie, Stand 11.04.2018, Registernummer 001 – 024, Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin e.V. (DGAI) 
  • Supportive Therapie bei onkologischen PatientInnen - interdisziplinäre Querschnittsleitlinie; AWMF-Leitlinie, Stand 11.11.2016, Registernummer 032 – 054OL, Deutsche Krebsgesellschaft e.V. (DKG)
  • WHO guideline on use of ferritin concentrations to assess iron status in individuals and populations; WHO-Leitlinie, Stand 2020, Geneva: World Health Organization

  • Ablaufschema: Labordiagnostik der Anämie (Zum Vergrößern auf die Lupe klicken.)

    Ablaufschema: Labordiagnostik der Anämie (Zum Vergrößern auf die Lupe klicken.)

  • Ablaufschema: Labordiagnostik der mikrozytären Anämie (Zum Vergrößern auf die Lupe klicken.)

    Ablaufschema: Labordiagnostik der mikrozytären Anämie (Zum Vergrößern auf die Lupe klicken.)

  • Ablaufschema: Labordiagnostik der normozytären Anämie (Zum Vergrößern auf die Lupe klicken.)

    Ablaufschema: Labordiagnostik der normozytären Anämie (Zum Vergrößern auf die Lupe klicken.)

  • Ablaufschema: Labordiagnostik der makrozytären Anämie (Zum Vergrößern auf die Lupe klicken.)

    Ablaufschema: Labordiagnostik der makrozytären Anämie (Zum Vergrößern auf die Lupe klicken.)

Hinweis: Die Laborpfade sind lediglich eine Empfehlung und nicht verbindlich.