#healsy20: Resilient Health Systems 2020
Digitaler Kongress der Kassenärztlichen Bundesvereinigung im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft
COVID-19 hat die Gesundheitssysteme in Deutschland, Europa und der Welt ganz unterschiedlich belastet. Die digitale Konferenz Starke Gesundheitssysteme 2020 / Resilient Health Systems 2020, zu der die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) als Teil des assoziierten Programms der deutschen EU-Ratspräsidentschaft einlud, griff diese unterschiedlichen Erfahrungen auf: Welche Versorgungskonzepte haben sich bewährt, welche Schwierigkeiten waren zu bewältigen und welche Konsequenzen waren bisher zu ziehen? Zur Diskussion dieser Fragen waren zahlreiche internationale Experten sowohl vor Ort als auch per Videokonferenz digital beteiligt. Das Interesse an #healsy20 war groß: Über 700 Teilnehmerinnen und Teilnehmer hatten sich registriert.
Die Webkonferenz aus dem dbb forum Berlin startete mit einer Begrüßung durch Moderatorin Tanja Samrotzki und der Vorsitzenden der KBV-Vertreterversammlung, Dr. Petra Reis-Berkowicz. Dr. Reinhard Busse, Professor für Management im Gesundheitswesen an der Technischen Universität Berlin gab in einem Einleitungsvortrag einen Überblick zum verschiedenartigen Umgang mit SARS-CoV-2 in Europa.
Im Kern unterschieden sich die EU-Mitgliedstaaten vor allem in ihren Teststrategien sowie in der Art der Behandlung von COVID-19-Patienten, so Busse. Deutschland sei bisher insbesondere deshalb so gut durch die Krise gekommen, weil hier 19 von 20 Corona-Infizierten ambulant behandelt wurden. Schaue man dagegen etwa nach Frankreich, seien dort circa zwei Drittel der Fälle in Krankenhäusern behandelt worden. Es zeige sich, dass Patienten so lange wie möglich aus den Krankenhäusern ferngehalten werden müssten, um diese als Ort massenhafter Ansteckung ausschließen zu können.
COVID-19 in Deutschland
Das nachfolgende Eröffnungspodium war mit Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, dem Vorstandsvorsitzenden der KBV, Dr. Andreas Gassen, der Vorstandsvorsitzenden des GKV-Spitzenverbands, Dr. Doris Pfeiffer sowie dem Direktor des Regionalbüros Europa der World Health Organisation, Dr. Hans Henri P. Kluge, hochkarätig besetzt.
Spahn zeigte sich mit dem Umgang mit COVID-19 in Deutschland insgesamt zufrieden. Das Gesundheitswesen habe sich hierzulande als leistungsfähig, robust und resilient erwiesen. Die breitflächige Hausarzt-, Facharzt- und Laborstruktur sei dafür ein wesentlicher Faktor. „Weil in Nachbarländern alle Patienten im Krankenhaus waren, waren dort die Zahlen auch so hoch“, wagte Spahn einen Blick über die deutschen Grenzen hinaus.
Auch Gassen konstatierte, dass das Virus in Deutschland nicht ungefährlicher sei als in anderen Ländern – daher müsse man die dezentrale, ambulante Struktur des Gesundheitswesens entsprechend würdigen. So habe man sich im System der gemeinsamen Selbstverwaltung bereits früh über die Testung von gesetzlich Versicherten einigen können. Auch die Labore hätten frühzeitig ihre Kapazitäten erhöht. Mit Blick in die Zukunft zeigte sich der KBV-Chef optimistisch: „Selbst, wenn die Zahlen ansteigen sollten, können wir es beherrschen.“
Neun vielfältige Fachforen
Das Folgeprogramm erwies sich als ebenso vielfältig wie lehrreich. In neun parallellaufenden Fachforen ging es um unterschiedlichste Aspekte der Pandemiebewältigung. KBV-Vorstandsmitglied Dr. Thomas Kriedel leitete beispielsweise das Forum zu Digitalisierung und COVID-19, wo unter anderem über die ethischen Aspekte digitaler Medizin referiert und diskutiert wurde. Liisa-Maria Voipio-Pulkki vom finnischen Gesundheitsministerium stellte außerdem die Erfahrungen mit der finnischen Corona-App und anderen digitalen Hilfsmitteln vor.
Jan Ehlers von der Universität Witten-Herdecke ging im Fachforum Digitale Ausbildung auf Chancen und Risiken digitalen Lernens ein. Nicht nur der konkrete Lerninhalt an seiner medizinischen Fakultät drehe sich immer öfter um digitale Plattformen und Hilfsmittel. Auch die Pandemie selbst habe mit Online-Kursen und Home-Learning für einen gewissen Digitalisierungsschub gesorgt. Mit Blick auf zukünftige Entwicklungen sehe er die Hochschule als wichtigen Gestalter einer sozial verantwortlichen Digitalisierung in der Medizin.
Weitere Fachforen drehten sich um das System der Selbstverwaltung, die unterschiedlichen europäischen Teststrategien sowie erste Erkenntnisse aus der Versorgungsforschung. Auch Möglichkeiten zur besseren Vernetzung in der Akut- und Notfallversorgung waren Thema eines Fachforums. Dr. Eckhard Starke von der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen stellte beispielsweise ein Modellprojekt zur sektorenübergreifenden ambulanten Notfallversorgung vor, mit dem Krankenhäuser, Rettungsdienste und ärztliche Bereitschaftsdienste besser aufeinander abgestimmt werden sollen.
Andreas Glück, Mitglied des Europäischen Parlaments, stellte im Fachforum zur ambulanten Versorgung fest, dass das hausärztliche System in Deutschland bisher Schlimmeres verhindert habe. Unter anderem habe der vertrauliche Arzt-Patienten-Verhältnis in den Praxen für eine erhöhte Akzeptanz von Video- und Telefonsprechstunden gesorgt. Auf europäischer Ebene plädierte er für eine Stärkung der EU-Kompetenzen in den Bereichen Prävention und Arzneimittelzulassung: „Wir brauchen nicht überall ein bisschen Europa, sondern ein starkes Europa an den richtigen Stellen.“
Globale Pandemie – globale Verantwortung?
Zum Abschluss folgte eine Diskussionsrunde mit Dr. Clemens Martin Auer vom European Health Forum in Bad Gastein, Dr. Tankred Stöbe von Ärzte ohne Grenzen, Dr. Ilkka Salmi von der Europäischen Kommission, Nicolae Ștefănuță, Mitglied des Europäischen Parlaments sowie dem KBV-Vorstandsvorsitzenden Dr. Andreas Gassen. Im Fokus stand die globale Dimension der COVID-19-Pandemie und die Frage, wie eine faire Verteilung eines zukünftigen Corona-Impfstoffs aussehen könnte. Auch die Herstellung und Bevorratung von Arzneimitteln und medizinischer Schutzausrüstung wurden thematisiert. Gassen forderte hierzu, dass zukünftig wieder vermehrt innerhalb Europas produziert und gelagert werden müsse und warnte vor einer zu starken Abhängigkeit vom Ausland – insbesondere von Asien.
In ihrem Schlusswort zeigte sich Dr. Reis-Berkowicz zufrieden: Die Veranstaltung sei ebenso erkenntnisreich wie berührend gewesen. Um diese und zukünftig auftretende Pandemien erfolgreich bewältigen zu können, müsse man die ausgetauschten Erfahrungen fortan besser verknüpfen.