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aktualisiert am 04.11.2024

Reform der Notfallversorgung

Reform der Notfallversorgung ist dringend geboten - jetziges System gilt als nicht effizient genug

Hierzu bedarf es einer intelligenten Weiterentwicklung bereits bestehender und funktionierender Strukturen ambulanter und stationärer Versorgung in Deutschland. Zudem gilt es, die Steuerung zu verbessern und dabei die Chancen der Digitalisierung zu nutzen.

KBV-Standpunkte

Auf einen Blick:

  • Steuerung der Patientinnen und Patienten: bewährte Strukturen stärken und ausbauen
  • Kooperation mit dem stationären Versorgungsbereich in den Fokus rücken
  • Kein dritter Versorgungssektor erforderlich
  • Keine Sozialversicherungspflicht für Niedergelassene im Bereitschaftsdienst

Im Detail:

Akut- und Notfallpatienten in die jeweils richtige Versorgungsebene begleiten

Menschen, die akut medizinische Hilfe benötigen, können selbst oftmals nicht angemessen einschätzen, wo sie diese Hilfe am einfachsten und passendsten finden. Sie benötigen hierbei Unterstützung: Der Notfallversorgung muss eine einheitliche Steuerung vorgeschaltet werden, die Akut- und Notfallpatienten in die für sie richtige Versorgungsebene navigiert – also in das Krankenhaus oder die ambulante Praxis.

Diese Steuerung sollte möglichst früh, ressourcenschonend und bundeseinheitlich erfolgen –  beispielsweise telefonisch, online und/oder mittels standardisierter Ersteinschätzung überall dort, wo Patientinnen und Patienten sich erstmalig mit ihrem gesundheitlichen Problem vorstellen.

Hierfür steht bereits seit 2012 die bundeseinheitliche Bereitschaftsdienstnummer 116117 über Telefon sowie mittlerweile auch über Website und App zur Verfügung – und das rund um die Uhr, 365 Tage im Jahr.

Die Erfahrung zeigt, dass etwa 20 Prozent der Anrufenden schon mit einer telefonischen Beratung geholfen werden kann. Dies entlastet auch die ärztlichen Ressourcen vor Ort.

Die 116117 ordnet den jeweiligen Akutfall korrekt zu und navigiert Patientinnen und Patienten schnellstmöglich und ohne Umwege in die für sie anlassgerechte, ressourcenschonende Behandlungsebene.

Dabei kommen standardisierte und evaluierte Verfahren (SmED: Strukturierte medizinische Ersteinschätzung in Deutschland) zum Einsatz. 

Kooperation mit dem stationären Versorgungsbereich in den Fokus rücken

Eine einheitliche Regelung zur Erst- beziehungsweise Notfallversorgung an der Schnittstelle zum Krankenhaus (Notaufnahme) steht noch aus.

Soweit sich also ein ortsgebundener Ärztlicher Bereitschaftsdienst auf oder am Krankenhauscampus befindet, soll sich dessen Zuständigkeit ausschließlich auf die ambulante Akut- beziehungsweise Erstversorgung erstrecken. 

Die organisatorische und medizinische Gestaltung der klinischen Notaufnahme einschließlich Schockraum und so weiter bleiben in der Verantwortung des Krankenhauses.

Versorgungsbedingte Übergaben von Patientinnen und Patienten vom Ärztlichen Bereitschaftsdienst an die klinische Versorgung erfolgen nach vorher kooperativ festgelegten Bedingungen insbesondere bezüglich der:

  • Übergabevoraussetzungen,
  • Übergabemodalitäten,
  • Übergabeprotokolle sowie
  • Zuständigkeitsabgrenzung.

Dies bezieht sich in solchen Kooperationsmodellen auch auf Vereinbarungen zum Personal sowie zur Technik – und zwar Letzteres nur im Umfang der ambulanten Akut- und Erstversorgung.

Die Vergütung erfolgt entsprechend aus dem jeweiligen ambulanten beziehungsweise stationären Budget.

Kein dritter Versorgungssektor erforderlich

Mit Hilfe von den geschilderten Kooperationsmöglichkeiten zwischen Bereitschaftsdienst und klinischer Notaufnahme wird die Bildung eines neuen Sektors unnötig. Weitere Schnittstellenprobleme werden vermieden. 

KBV-Vize Dr. Hofmeister im Interview zum Eckpunktepapier

Was sagen Sie zu den vorgestellten Eckpunkten der Notfallreform?
Dr. Stephan Hofmeister, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der KBV: Ja, zum Ersten ist es erfreulich zu sehen, dass es zu dem bisher vorliegenden Papier eine deutliche Weiterentwicklung gegeben hat. Wir sehen in der neuen Vorlage Licht und Schatten. Einige Dinge sind adressiert, die für uns wichtig sind, andere sind nach wie vor als kritisch zu betrachten.

In welchen Punkten können Sie ihm zustimmen?

Zum einen ist an einer Stelle festgestellt worden, dass es zusätzlichen Finanzierungsbedarf und zwar struktureller Art gibt. Das ist essentiell wichtig und eine Voraussetzung, dass das funktionieren kann. Zum Zweiten wird das Thema der Bereitschaftsdienstpraxen zeitlich besser eingegrenzt auf realistischere Zeiten. Und es werden auch Möglichkeiten eröffnet, von diesen Zeiten abzuweichen, wenn es einfach zu wenig Bedarf an einem Standort gibt. Das ist ein zweiter wichtiger Punkt. Ein dritter positiver Punkt ist, dass durchaus länderübergreifend und sogar bundesweit die 116117 gefördert digital mit den Leitstellen vernetzt wird. Und ein ärztlicher Rufbereitschaftsdienst dahinter geschaltet werden kann, der aber eben nicht regional verortet sein muss, sodass man sehr gut dort Spitzenzeiten abpuffern kann. Auch das ist sicher eine richtige Entwicklung.

In den Eckpunkten ist auch von Patientensteuerung die Rede…

Das ist ein ebenfalls durchaus positiver Aspekt in den Eckpunkten, dass die Steuerung zum ersten Mal als notwendig adressiert wird. Sie ist vielleicht noch nicht konsequent zu Ende gedacht. Aber es ist ganz, ganz wichtig, dass im Bereich der Akut- und Bereitschaftsdienste und Notfallmedizin gesteuert wird, den Bürgerinnen und Bürgern Angebote gemacht werden, die intuitiv leiten. Denn alles für alle, jederzeit, das können wir nicht vorhalten.

Wo gibt es Änderungsbedarf?

Zum einen immer noch bei der Finanzierung. Das ist zwar jetzt zum ersten Mal adressiert, aber aus unserer Sicht noch nicht ausreichend. Zum Zweiten wird ein 24/7 fahrender, aufsuchender Notdienst gefordert. Den können wir nicht liefern. Der ist einfach personell, selbst wenn er bezahlt würde, nicht zu stemmen. Auch nicht mit dem dort genannten Ersatzpersonal, das es ja genauso wenig gibt. Das zweite ist, wir glauben, dass die ganze Notfallreform nicht ohne die Krankenhausreform geht. Denn wenn wir über INZs oder über gemeinsame Standorte sprechen, muss klar sein, wie viele und wo. Und es ist offensichtlich, dass nicht an allen jetzt bestehenden Krankenhäusern INZs möglich sind. Das ist auch personell in keinster Weise zu leisten und auch nicht notwendig. Sodass wir erst wissen müssen, welche Krankenhäuser bleiben denn überhaupt am Markt. Und an welchen Standorten kann und sollte dann über ein solches INZ oder eine Kooperation nachgedacht werden.

Wie unterscheiden sich die BMG-Eckpunkte vom Papier der Ärzteverbände?

Das Papier der Ärzteverbände sollte ja vor allem zum Ausdruck bringen, was diejenigen, die diese Dienste machen müssen, nämlich die Ärztinnen und Ärzte, fordern. Das sind Mindestanforderungen aus der ärztlichen Sicht. Das befasst sich weniger mit der administrativen Seite. Die Eckpunkte aus dem Ministerium befassen sich natürlich mit der administrativen, mit der organisatorischen Seite. Das wiederum ist Aufgabe der KVen. Und hier müssen die KVen maßgeblich gefragt werden, was ist leistbar.

Wie wird es mit der Notfallreform nun weitergehen?

Was die Zeitschiene angeht, kann ich dazu nichts Konkretes sagen. Das wird am Ministerium liegen. In welchem Gesetz dann die Entwürfe kommen, nochmal, wir glauben, dass zwingend die Krankenhausreform mitzudenken ist. Spätestens beim Thema INZ geht das eine nicht ohne das andere. Insofern ist für mich im Moment schwer abzuschätzen, wann dort die nächsten Schritte kommen werden.


Notfallversorgung: Patienten besser steuern, im Zweifel auch mit einer Gebühr?

Warum ist eine Notfallreform so wichtig?

Dr. Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der KBV: „Also, es ist ja ein Thema der letzten Jahre immer wieder gewesen, dass wir erleben, dass insgesamt der Notdienst, ob es der ärztliche Bereitschaftsdienst ist oder die Notaufnahme in den Krankenhäusern nicht sachgerecht in Anspruch genommen werden. Das heißt, es gibt Klagen aus Krankenhäusern, vollgelaufene Notaufnahmen, Patienten, die sich beschweren, dass sie lange auf Notfallversorgung warten, und einer der Gründe ist sicherlich, dass ganz viele Menschen den ärztlichen Bereitschaftsdienst und die Notaufnahmen aufsuchen, eigentlich keine Notfälle im medizinischen Sinne sind. Und hier, glaube ich, muss eine bessere Steuerung her, da die Kapazitäten limitiert sind. Wir haben nicht unendlich Menschen, die diesen Dienst verrichten können. Das ist für die Vertragsärztinnen und -ärzte ja ein Dienst, den sie zusätzlich zu ihrer Praxistätigkeit verrichten, und insofern ist der leistbar für Menschen, die wirklich außerhalb der Sprechstundenzeit eine Behandlung brauchen, und natürlich für Unfälle, aber nicht für Befindlichkeitsstörungen oder für Dinge, die man am Tag einfach nicht erledigen konnte oder wollte.“

Wie können Patienten gesteuert werden?

„Also, wir wollen natürlich verhindern, dass Menschen, die ärztliche Hilfe brauchen, diese nicht bekommen, und auf der anderen Seite gibt es natürlich viele Bedarfe, die auch berechtigt sind, aber eben nicht im Notdienst abzufrühstücken sind, und von daher ist eine Patientensteuerung von Nöten, und das kann man zum Beispiel sehr gut mit einer standardisierten medizinischen Ersteinschätzung machen, die telefonisch oder über webbasierte Applikationen erfolgen. Gegebenenfalls können dann sogar Kolleginnen und Kollegen zugeschaltet werden, wenn die Probleme diffiziler werden, und damit klingt es sehr zuverlässig, besonders gravierende Krankheitsbilder oder gefährliche Krankheitsbilder rauszufiltern. Das wird in der Schweiz seit vielen Jahren praktiziert, und auch wir haben millionenfache Erfahrungen mit diesem SmED-System, und dann könnten die Patienten gemäß ihrer Ersteinschätzung die Empfehlung bekommen, beispielsweise in den nächsten Tagen ihre hausärztliche Praxis aufzusuchen, oder vielleicht sogar im anderen Extremfall, dass der Krankenwagen oder der Rettungswagen losgeschickt wird und sofortige medizinische Hilfe angefordert wird.“

Was haben Sie mit einer Notfallgebühr gemeint?

„Die Notfall-Gebühr löst ja reflexartige Reaktion auf, wie man immer wieder feststellen kann. Zum einen ging es natürlich gar nicht darum, jetzt Kassenpatienten da besonders zu beschweren, sondern es gilt für alle Menschen, die den Notdienst, sei es der ärztliche Bereitschaftsdienst oder die Krankenhaus-Ambulanz, ohne Notwendigkeit aufsuchen. Die Notwendigkeit würde durch die medizinische Ersteinschätzung dokumentiert, und alle, die sich sozusagen dieser Ersteinschätzung nicht widersetzen, aber sie ignorieren und trotzdem eben diesen Dienst in Anspruch nehmen, müssten eine Fehlinanspruchnahme-Gebühr entrichten. Die könnte auch völlig unbürokratisch im Rahmen der Abrechnung über die Krankenkassen abgerechnet werden, und die Krankenkassen könnten dann bei ihren Versicherten um die Einholung dieser Gebühr nachhalten. Das muss gar nicht von den Kolleginnen und Kollegen oder den entsprechenden notdienstleistenden Stellen geregelt werden.“

Sollen Menschen aus der Notfallversorgung ferngehalten werden?

„Also entscheidend ist natürlich, dass wir, dass es völlig unstrittig ist, dass die Menschen, die ärztliche Hilfe außerhalb der Sprechzeiten brauchen, für die gibt es den ärztlichen Bereitschaftsdienst und gibt es die Notaufnahmen. Aber die Kapazität ist halt endlich, und von daher müssen wir eine Situation schaffen, dass Bürger, die unsicher sind in medizinischen Fragestellungen eine Anlaufstelle bekommen, bei der sie entsprechende Informationen bekommen, und die Zuordnung in die richtige Versorgungsebene. Wenn das gewährleistet ist, dann, glaube ich, ist es auch zumutbar, dass Menschen, wenn sie dann sich dieser Empfehlung entziehen, mit einer Gebühr belastet werden. Es geht natürlich nicht darum, wirklich Kranke aus dem Notdienst fernzuhalten, denn für diese Menschen ist er ja etabliert worden, und jetzt wird man sicherlich in der Feinabstimmung schauen müssen, wo man hier entsprechende Tatbestände definiert. Sicherlich wird niemand Eltern, die mit ihren fiebernden Kindern unsicher sind, aus den ärztlichen Bereitschaftsdienst-Praxen fernhalten wollen. Aber ich denke, Rückenschmerzen, die seit drei Wochen bestehen, sind für jeden erkennbar kein Grund, abends ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen.“

Was muss getan werden, um Patienten besser zu informieren?

„Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, das ist keine originäre Aufgabe der Vertragsärzte. Da wird, glaube ich, auch der Sicherstellungsauftrag sehr weit interpretiert. Der ist in der Form, wie er mitunter politisch kommuniziert wird, nämlich, dass jeder alles zu jeder Zeit überall bekommen kann, schlicht nicht durchhaltbar. Und in dem Fall muss man einfach sagen, ist der Sicherstellungsauftrag nicht erfüllbar. Von daher muss er auf das normale Maß zurückgeführt werden. Der Paragraf 12 des SGB V sagt es relativ deutlich: wirtschaftlich, ausreichend, notwendig und zweckmäßig, und das ist eben weit davon entfernt Komfort-Behandlung 24/7 überall und für jeden, und das, glaube ich, ist zum einen mal eine wichtige Information, die auch politisch kommuniziert werden müsste, und dann muss natürlich eine solche Struktur vorgehalten werden. Die kostet Geld, die muss vorfinanziert werden, und die kann nicht von den Ärzten vorfinanziert werden, die ja schon mit dem Dienst beschwert sind. Dass die jetzt diesen Dienst noch selber finanzieren, ist ja zugegebenermaßen eine aberwitzige Konstruktion. Von daher ist das eine Daseinsfürsorge, die aus meiner Sicht durch Steuergelder finanziert werden müsste, wie man letztlich auch die Feuerwehr finanzieren muss, in der Hoffnung, dass sie nie rausfahren muss und das möglichst wenig brennt. Aber das ist eine Leistung, die muss einfach gestellt werden. Dann gibt es auch eine für alle verfügbare Informationsplattform, sei es über Telefon oder Web, und dann kann man den Menschen auch abverlangen, diese zu nutzen. Die Struktur muss natürlich vorher geschaffen werden.“

Welche Rolle spielt dabei die 116117?

„Die 116117 ist mittlerweile eine sehr bekannte Nummer, viel bekannter, als wir uns vor wenigen Jahren noch hätten träumen lassen. Da hat sicherlich die Corona-Pandemie einen positiven Effekt gab, weil sie von dem als Informationsnummer des Bundeskanzleramtes damals sogar genutzt wurde, und insofern kennen mittlerweile sehr viele Menschen die 116117, und das ist ja dann auch die richtige Nummer und die richtige Anlaufstelle für Beschwerden, die nicht den klassischen medizinischen Notfall mit Lebensgefahr oder schwerer körperlicher Versehrtheit definieren. Also, wir reden ja nicht von Unfällen, Schlaganfällen, Herzinfakten. Das sind klassische Dinge, wo auch mal der Krankenwagen raus muss oder der Notarzt. Aber viele der Punkte, die in den Notaufnahmen und in den ärztlichen Bereitschaftsdienst-Praxen aufschlagen, sind ja Bagatellerkrankungen oder eher medizinische Fragestellungen.“

Was muss aus KBV-Sicht jetzt unbedingt getan werden?

„Also, zunächst müsste es mal einen Konsens darüber geben, was ist denn wirklich notwendig in der Notfallversorgung, und gibt es die Überlastung. Ich bin mitunter erstaunt, dass es jetzt etliche Krankenhäuser gibt, na ja, das ist alles gar nicht so schlimm, und wir brauchen da gar nichts regeln, weil wir doch uns daran gewöhnt haben, dass wir praktisch jeden Monat aus den Krankenhäusern Wasserstandsmeldungen haben, wie fürchterlich die Notaufnahmen überlaufen sind, was sich offen gestanden in dem Patientenzahlen nicht wirklich abbilden lässt. Denn wir wissen, dass sicherlich in Großstadtzentren Notaufnahmen stark frequentiert werden. Über die Republik gezogen ist die durchschnittliche Frequenz aber bei zwischen 0,5 und einem Patienten pro Stunde. Es wäre halt jetzt erst mal zu klären, ist es ein Problem für die Krankenhäuser oder nicht? Sollte es tatsächlich gar kein Problem sein, dann gibt es natürlich keinen Handlungsbedarf. Dann könnten die Krankenhäuser ja ohne weitere Probleme diesen Notdienst auch leisten. Ist es ein Problem, und so habe ich es bisher verstanden, dann sollte man nach einer gemeinsamen Lösung suchen.“

Wie zuversichtlich sind Sie da?

„Na ja, ich glaube, dass es einfach eine normative Kraft des Faktischen gibt. Also, wenn es ein Problem gibt, dann wird man das lösen müssen, weil es sonst perspektivisch halt Versorgungslücken gibt und eine Situation, wie wir sie in Berlin im letzten Jahr hatten, das an mehreren Tagen tatsächlich die Feuerwehr melden musste, wir haben aktuell keine Fahrzeuge zur Verfügung. Das heißt übersetzt: Ein schwerer Autounfall und die Feuerwehr ist nicht in der Lage, da Krankenwagen hin zu senden, ist in meinen Augen eine dramatische Entwicklung, die auch nicht akzeptabel ist. Und von daher finde ich es auch leichtfertig, so zu tun, als gäbe es gar kein Problem, denn die Menschen, die wirklich den ärztlichen Notdienst brauchen, sind letztlich die, die leidtragend sind, wenn dieser Notdienst durch Bagatellerkrankungen blockiert ist.“

Die Notfallversorgung muss reformiert werden. Ein Kernelement: eine bessere Patientensteuerung. KBV-Vorstandsvorsitzender Dr. Andreas Gassen hatte dazu sogar eine Notfall-Gebühr vorgeschlagen. Was er damit konkret meint und was die nächsten Schritte hin zu einer dauerhaft funktionierenden Notfallversorgung sein müssen, erläutert er im Video.

Patientenströme müssen besser gesteuert werden

Was bedeutet das Scheitern der Ampel für die Gesundheitspolitik?

Ja, ein bisschen zynisch könnte man sagen: außer Cannabis nichts gewesen. Das ist möglicherweise das Szenario, was hier droht nach dreieinhalb Jahren. Das Cannabis-Gesetz ist das eine Gesetz, was dieser Gesundheitsminister geschafft hat. Und das zweite ist jetzt das Krankenhausstrukturgesetz, was von allen betroffenen Parteien als unzulänglich oder sogar kritisch betrachtet wird und von dem es schon heißt, dass es, sobald eine neue Regierung da ist, grundsätzlich überarbeitet wird. Ob noch weitere Gesetze im Gesundheitsbereich kommen, steht in den Sternen. Wir fordern natürlich weiterhin die hausärztliche Entbudgetierung. Wir fordern weiterhin unverändert dringend Abbau der Bürokratie, der Wirtschaftlichkeitsprüfung. Wir brauchen dringend die Anpassung in der Sozialversicherungspflicht im Akut- und Bereitschaftsdienst. Alles Dinge die uns zugesagt wurden und Dinge, die schon längst in Gesetzesform hätten gegossen werden können, hätte man nicht diese Gesetze völlig überfrachtet mit ideologischen Großprojekten, die Milliardenkosten und fraglichen Nutzen haben.

Was heißt das nun für die Entbudgetierung?

Ja, zurzeit ist völlig offen, ob noch ein Gesetz kommt. Wir haben schon von Anfang an gesagt, diese Entbudgetierung könnte auch als Artikel, als Zusatz auf ein anderes Gesetz mit draufgesetzt werden, so wie man es bei den Kinderärzten gemacht hat, technisch überhaupt kein Problem. Alle Daten und Fakten liegen vor. Die Kosten sind sehr, sehr überschaubar. Das Signal wäre kaum hoch genug zu bewerten. Wir erwarten wirklich, dass das kommt. Dreieinhalb Jahre sind genug Zeit für so ein Gesetz. Wenn man allerdings die letzte Anhörung dazu sich anschaut, dann staunt man Bauklötzchen. Man geht ja davon aus, wenn eine Regierung die Mehrheit verliert, aber weiterhin Gesetze machen will, dann sucht sie den Konsens und speckt eher ab und entrümpelt Gesetze. Das Gegenteil ist passiert. Es sind etliche neue, zusätzliche, zum Teil ungeheuer teure Forderungen, Sprachmittlungen im Gesundheitswesen etc. dazu gekommen, sodass man eigentlich als Beobachter kaum glaubt, dass das ernsthaft gemeint sein kann. Aber wie gesagt, formal ist nach einer möglichen Vertrauensfrage des Bundeskanzlers die Zusage da, dass man sich noch mal hinsetzt und schaut. Insofern, wir fordern weiter, dass das noch kommt, auch noch in dieser Legislatur. Ob es die Regierenden und die Parlamentarier hinkriegen, das steht in den Sternen.

Was würde passieren, wenn die Entbudgetierung nicht mehr kommt?

Andersrum, selbst wenn es käme, würde es sicher fast 2026 werden, bis es wirksam wird. Denn es muss erstmal als Gesetz wirksam werden, dann muss sich im Bewertungsausschuss in den respektiven Gremien darum gekümmert werden, dann müssen die KVen es umsetzen. Das heißt also schon jetzt sind wir eher dabei, dass es in 2025 kaum noch wirksam werden kann, also erst 2026. Umso dringender ist, dass es jetzt kommt. Kommt es nicht, muss eine neue Regierung erstmal die Arbeit aufnehmen. Es muss erstmal eine Koalition gefunden werden, dann die Regierung die Arbeit aufnehmen und dann ist die Frage, wie schnell und wie dringlich werden die gesundheitspolitischen Probleme gesehen angesichts des Krieges in Europa und der immer aggressiveren, asymmetrischen Kriegsführung der Russen auch gegen Deutschland ist die große Frage, was kommt zuerst, was wird zuerst gemacht und ein bisschen die Befürchtung, dass Gesundheit vielleicht nicht ganz vorne dran ist. Wir würden auch bei einer neuen Regierung selbstverständlich die Forderung aufstellen, dass die Entbürokratisierung, der Abbau der Wirtschaftlichkeitsprüfung, ein wirklicher Bürokratieabbau, der den Namen verdient hat, und auch die Entbudgetierung der Hausärzte sofort und im Anschluss auch der Fachärzte dringend erforderlich ist, Weiterbildung etc. Wir haben eine Reihe von Themen, echte Ambulantisierung, all das ist notwendig.

Haben Sie eine Erklärung für die Verzögerungen?

Das ist das, was wir uns die ganze Zeit schon eigentlich fragen und wo wir uns verwundert die Augen reiben. Nochmal das Cannabis-Gesetz, dafür hat es eine Mehrheit gegeben, das ging recht schnell, das ist etwas, was wir überhaupt nicht brauchten. Wir sind bis heute dagegen, wir halten es für ein falsches Konzept. Gleichzeitig ist eben in dem anderen Bereich das Gesetz, das GVSG, um das es in diesem Fall geht, so aufgebläht worden mit immer neuen, immer zusätzlichen, grundsätzlichen und sehr, sehr teuren Großprojekten, dass klar war, dass es dazu eigentlich kaum eine Mehrheit innerhalb der noch damals funktionierenden Koalition gab. Und wir haben deswegen immer für eine sehr viel schlankere Lösung der wirklich notwendigen Schritte plädiert, dazu konnte man sich offenbar nicht aufraffen. Man war ideologisch so überladen, dass man sich da rein verstrickt und verkämpft hat und das Ergebnis ist jetzt kein Ergebnis.

Wie bewerten Sie das Gesetz zur Krankenhausreform?

Also zum einen als nicht unmittelbar betroffene Institution, ich muss das gleich korrigieren, wir sind schon betroffen, aber wir sind ja nicht Krankenhausträger, können wir nur feststellen, dass offenbar alle einig sind, dass dieses Gesetz erhebliche Gefahren birgt. Und hier gilt nicht der Spruch, wenn alle meckern, ist es richtig, sondern es beschweren sich die meisten über dieselben Probleme. Das heißt also gleichgerichtete Kritik. Und das muss schon nervös machen. Es ist tatsächlich wohl ein Blindflug ohne Instrumente. Was für uns besonders negativ heraussticht, ist, angekündigt war eine Ambulantisierung. Was kommt, ist eine Öffnung der Krankenhäuser für die ambulante Versorgung ohne irgendeine verbessernde Maßnahme in der ambulanten Versorgung. Das heißt, man schafft strukturelle Konkurrenz, die anders finanziert, refinanziert ist, subventioniert ist zum ambulanten Gesundheitssektor. Das ist hoch riskant. Das ist auch unfair und auch nicht zielführend. Für den hausärztlichen Bereich gilt insbesondere, dass jetzt Kliniken in Konkurrenz zu Hausärzten geöffnet werden und gleichzeitig auch, was besonders verrückt klingt, der Kern der hausärztlichen Fortbildung auch in solchen Krankenhäusern stattfinden können soll. Da herrscht Einigkeit auch mit dem deutschen Hausärztinnen und Hausärzte-Verband. Das halten wir für absolut einen falschen Weg. Wir hätten uns eine Ambulantisierung anders vorgestellt. Wir stellen sie uns anders vor. Wir haben andere Vorschläge. Die ist in diesem Gesetz nicht abgebildet.

Werten Sie die ePA als einen Erfolg Lauterbachs?

Bei der ePA schlagen zwei Herzen in meiner Brust. Grundsätzlich ist die Idee einer digitalisierten Kommunikation im Gesundheitswesen hervorragend. Das ist etwas, was ich sehr begrüßen würde. Sie hat mehrere relativ einfache Voraussetzungen. Zugang zu digitalen Medien überall. Schon das ist in Deutschland nicht gegeben. Denken Sie an bestimmte Regionen, in denen Sie nicht mal 5G-Netz haben und kein Glasfaser, wo es also tatsächlich schon technisch schwierig wird, herausfordernd. Zweitens muss es ein barrierearmer, gut verständlicher und leicht zu bedienender und zuverlässiger, im Massenbetrieb, im Alltagsbetrieb zuverlässiger Mechanismus sein. Auch das ist noch nicht garantiert. Das ist noch nicht der Fall. Bisher sind große Teile der Digitalisierung immer noch sehr zeitraubender, weitaus aufwendiger als der bisherige analoge Prozess. Das ist natürlich eine Situation, die man nicht akzeptieren kann. Wenn etwas analog viel, viel schneller geht, dann mache ich es weiter analog. Dann muss ich es nicht digitalisieren. Der letzte Punkt ist die Frage der Inhalte der ePA. Ich gestehe ein, dass man am Anfang nicht gleich alles auf einmal fordern sollte. Das ist immer ein Fehler. Insofern ist das vorsichtige Anfangen mit noch nicht allzu vielen überfrachteten Inhalten in Ordnung. Aber ich sehe noch überhaupt nicht, welche Inhalte mittelfristig tatsächlich einen echten Mehrwert in der Behandlung von Patienten darstellen. Bisher ist und bleibt diese elektronische Patientenakte eine Ansammlung von PDF-ähnlichen Dateien, die nach und nach da rein müssen. Es ist noch ein sehr, sehr weiter Weg für eine wirklich intelligente, digitale Akte, die mehr ist als nur eine Ansammlung von PDF-Dokumenten.

Was erwarten Sie nun bis zu den Neuwahlen?

Wir haben auch zuletzt noch mal als Pressemitteilung ganz klar unsere Forderungen geäußert. Wir erwarten tatsächlich, dass sich die Regierenden und auch die Parlamentarier insofern zusammenraufen, als die notwendigen und bisher auch konsentierten Kernelemente, nochmal die hausärztliche Entbudgetierung, die Abschaffung oder die deutliche Reduktion der Wirtschaftlichkeitsprüfung, eine substanzielle Entbürokratisierung und auch die zwingend erforderlichen Artikel oder Gesetzesergänzungen zur Sozialversicherungspflicht im ärztlichen Bereitschaftsdienst, noch kommen. Als Einzelgesetz oder angehängt an andere Gesetze, das ist möglich, das ist bei gutem Willen möglich, bei Willen zu Konsens und das ist auch unter den Parteien Konsens gewesen. Also weg mit allen ideologischen Co-Projekten, weg mit aller Überfrachtung, Reduktion auf das Wesentliche, dann wäre es technisch möglich, das noch zu schaffen und das erwarte ich tatsächlich auch vom Gesetzgeber.


Das Scheitern der Ampelregierung lässt auch einige wichtige Vorhaben im Gesundheitswesen offen. Dazu gehört die Entbudgetierung der Hausärzte. Was das für die Gesundheitsversorgung heißt und welches Fazit er zur Arbeit des Bundesgesundheitsministers zieht, erläutert der stellvertretende Vorsitzende der KBV, Dr. Stephan Hofmeister.

Wie hat sich die Notfallversorgung entwickelt und was hat die KBV gefordert?

2023

Veranstaltung: KBV-Sicherstellungskongress 2023 - Zukunft der Akutversorgung (13.10.2023)

2022

Pressemitteilung: Dr. Gassen kommentiert das Positionspapier von Marburger Bund (MB) und der Deutschen Gesellschaft für Interdisziplinäre Notfall- und Akutmedizin (DGINA). (09.06.2022)

2021

Stellungnahme der KBV zu Anträgen von FDP und Bündnis 90/Die Grünen (03.06.2021)
Hintergrundartikel: Bewährte Strukturen als Basis zur Reform der Notfallversorgung (08.07.2021)
Veranstaltung: Kooperationstagung 116117 | 112 - Gemeinsam mehr für Patienten (20.09.2021)

2020

Stellungnahme zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Reform der Notfallversorgung (06.02.2020)
Veranstaltung: Neuordnung der Akut- und Notfallversorgung an Krankenhäusern - Miteinander oder gegeneinander? (26.02.2020)

2019

Notfallversorgung: KBV und MB präsentieren neue Vorschläge – Schulterschluss der Ärzteschaft

21.06.2019 | Niedergelassene und Krankenhausärzte haben ein gemeinsames Konzept für die künftige Notfallversorgung ausgearbeitet. Kernelemente sind eine gezielte Steuerung akut hilfebedürftiger Patienten sowie Gütekriterien für die medizinische Ersteinschätzung.

Dokumente zum Download

Eine Gemeinsame Anlaufstelle für die Akut-und Notfallversorgung in Deutschland (Stand: 21.06.2019, PDF, 478 KB)

Gütekriterien für ein Instrument zur standardisierten Ersteinschätzung von Notfallpatienten (Stand: 21.06.2019, PDF, 692 KB)

Statement Dr. Andreas Gassen zum Thema Intersektorale Zusammenarbeit: Gütekriterien zur Reform der Notfallversorgung (Stand: 21.06.2019, PDF, 349 KB)

Statement Dr. Stephan Hofmeister zum Thema Intersektorale Zusammenarbeit: Gütekriterien zur Reform der Notfallversorgung (Stand: 21.06.2019, PDF, 352 KB)

Statement von Dr. Susanne Johna, Marburger Bund (Stand: 21.06.2019, PDF, 164 KB)

Statement von Rudolf Henke, Marburger Bund (Stand: 21.06.2019, PDF, 101 KB)

PraxisNachricht

2018

Gassen: Wir brauchen keine „dritte Säule“ für die Notfallversorgung

14.03.2018 | Bei einer Fachtagung zur Reform der Notfallversorgung erläuterte KBV-Chef Gassen das Konzept einer gemeinsamen Organisation von Vertrags- und Klinikärzten.

Gutachten zur Notfallversorgung in Deutschland

19.04.2018 | Es reichen bundesweit 736 Notfallzentren aus, um die Bevölkerung im Notfall optimal zu versorgen. Das ergab ein Gutachten, das im Auftrag der KBV erstellt wurde. Portalpraxen seien sinnvoll, aber nicht an jeder Klinik, folgerte KBV-Vorstand Gassen.

Gutachten zur Notfallversorgung in Deutschland (Stand: 19.04.2018, PDF, 2.2 MB)

Präsentation zum Gutachten "Notfallversorgung in Deutschland (Stand: 19.04.2018, PDF, 1.4 MB)

Neue Software hilft bei der Einstufung von Notfällen

25.06.2018 | Ein Anruf beim ärztlichen Bereitschaftsdienst unter der Nummer 116117 schafft Klarheit für Patienten mit akuten Beschwerden. Anhand von konkreten Fragen ermöglicht die Software eine sichere Empfehlung zum Besuch einer Bereitschaftspraxis oder einer Notfallaufnahme.

2017

Eckpunkte der KBV und der KVen zur Weiterentwicklung der ambulanten Notfallversorgung (29.03.2017)
Konzeptpapier von KBV und Marburger Bund (18.09.2017)