Wie steht es um die nachfolgende Mediziner-Generation?
Dr. Stephan Hofmeister, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der KBV: „Ja, wir rätseln natürlich immer viel über die nachfolgende Generation und deren Motive. Um nicht so sehr rätseln zu müssen, haben wir befragt, auch europaweit befragen lassen im Vergleich und kommen auf einige ganz wesentliche Punkte. Der Nachwuchs ist nach wie vor motiviert. Die möchten medizinisch arbeiten, möchten am Patient arbeiten, möchten aber natürlich auch Familie und Beruf in Deckung bringen können. Viele wollen möglicherweise in Teilzeit arbeiten, möchten einfach andere Lebensarbeitszeit-Modelle und flache Hierarchien zum Beispiel. Gleichzeitig gibt es auch bei den Studentinnen und Studenten und bei den jungen Kolleginnen und Kollegen durchaus einen Drang in die Ballungsräume. Also der ländliche Raum ist nicht so attraktiv. Das gilt auch in den anderen europäischen Ländern, in denen gefragt wurde. Das ist vielleicht so in aller Kürze ein kursorischer Überblick über zentrale Vorstellungen.“
Unterscheidet sich Deutschland hier von anderen Ländern?
Ja, nicht ganz wesentlich. Erstaunlich war, dass in Frankreich zum Beispiel der Wunsch sehr viel ausgeprägter ist, mehr über den Patienten und sein Umfeld zu wissen, also mehr Patientennähe gewünscht ist als zum Beispiel in Deutschland. Das ist vielleicht ein Unterschied. Generell gilt aber, dass in allen befragten Ländern die Studierenden durchaus nach wie vor die Selbstständigkeit als eine Möglichkeit sehen zu arbeiten, dass sie eben gerne ihre Arbeit und ihr Familienleben in Deckung bringen möchten. Das sind, so glaube ich, die Schlüsselfaktoren.
Wie sieht es mit dem Interesse an der Allgemeinmedizin aus?
Ja, die Hausärzte sind natürlich die meisten, über 55.000 von allen Kolleginnen und Kollegen. Und deswegen ist natürlich dort besonders spürbar, wenn der Nachwuchs schwächelt. Das ist so, dass der Trend gestoppt scheint. Es ist also sehr viel unternommen worden, im Bereich der Allgemeinmedizin tatsächlich an den Universitäten auch Studenten zu locken. Ganz wichtig ist hier, dass endlich die neue Approbationsordnung kommt. Das Gleiche gilt später auch für die Weiterbildung. Die ambulante Weiterbildung muss aus medizinischen, aber auch aus versorgungspolitischen Gründen massiv ausgebaut werden, denn dort findet die medizinische Versorgung statt. Und die jungen Kolleginnen und Kollegen klagen allenthalben sowohl an den Universitäten als auch in der Weiterbildung darüber, dass sie zu wenig Kontakt haben. Und wenn sie Kontakt hatten, ist es häufig so, dass durchaus hohes Interesse besteht und man merkt, das macht Spaß, das ist interessant. Und das gilt ganz besonders auch für die Allgemeinmedizin.
Was wurde in der Ausbildung in der Allgemeinmedizin geändert?
Zumindest die Patientennähe, die vermehrte Praxis, die Anwendbarkeit, den generellen Überblick, den man bekommt - das ist in vielen Masterstudiengängen jetzt sehr ausgeprägt bearbeitet worden. Es gibt da viele tolle Modelle, die auch Erfolg haben, die Spaß machen, die die Studierenden gerne aufgreifen. Und in der Weiterbildung gilt das Gleiche. Wer also in einer allgemeinärztlichen Praxis Weiterbildung macht und dort sage ich mal gut weitergebildet wird, hat in der Regel auch eine hohe Affinität, in diesem Berufsfeld zu bleiben.
An welchen Stellschrauben muss zuerst gedreht werden?
Ja, bei den jüngeren Kolleginnen und Kollegen vor allem, wie gesagt, erstens an der Approbationsordnung, die ist überfällig, mehr als überfällig. Zweitens Weiterbildungsordnung. Auch da gibt es noch nachzuschärfen. Drittens ganz wichtig und damit im Zusammenhang, die Finanzierung, die nachhaltige Finanzierung dieser Weiterbildung. Das ist mit dem bestehenden System des EBM so nicht länger zu machen, vor allem, wenn wir viel mehr weiterbilden wollen, was wir unbedingt müssen. Das sind, glaube ich, die absoluten Kernpunkte. Und dann kommt es natürlich auch noch ein bisschen darauf an, und das ist für uns Funktionäre sehr schwer zu vermitteln, dass wir auch das Positive herausstreichen in dem Beruf. Man hört ja häufig nur die Klagen und die Risiken. Dabei ist das Selbstständigsein ein großer Wert an sich. Hohe Freiheit in der Art, wie man arbeitet, gute Vereinbarkeit von Beruf und Familie, auskömmliches Einkommen und tatsächlich eigenverantwortlicher Umgang mit dem eigenen Unternehmen und vor allem aber auch mit den Patientinnen und Patienten. Das heißt, es gibt wunderbare Vorzüge, tatsächlich Medizin in Selbstständigkeit, in kleineren Teams, in größeren Teams oder ganz alleine zu betreiben.
Angestellt statt selbstständig – verträgt das das ambulante System?
Ja, das System der Selbstverwaltung im Grunde sicher nicht. Denn zur Selbstverwaltung gehört sinnvollerweise auch jemand, der selber verwalten möchte und verwaltet werden möchte. Das kann nur ein Selbstständiger sein. Ein Angestellter hat ja in seinem Arbeitsvertrag abschließend alles geregelt und würde sich wenn dann gewerkschaftlich vertreten lassen. Eine völlig andere Situation. Das heißt ja, wenn die ganz überwiegende Mehrheit der Kolleginnen und Kollegen irgendwann mal in Anstellung sein sollte, dann haben wir ein anderes System. Und was das dann bedeutet, ist ganz schwer zu antizipieren. Das System der Selbstverwaltung lebt davon, dass die überwiegende Mehrheit tatsächlich auch selbstständig tätig ist und damit ein hohes Interesse daran haben muss, im Rahmen dieser Selbstverwaltung auch die Rahmenbedingungen mit zu definieren.
Wie lässt sich die nachfolgende Generation für ländliche Regionen begeistern?
Ja, man kann ihn sicher nicht gegen den Trend aufs Land locken, wenn kein Mensch dort mehr hin will, wenn es dort keine Polizei, keine Post, keine Einkaufsmöglichkeit, kein Schwimmbad, keine Bibliotheken, keine Schule mehr gibt, dann wird auch dort kein Arzt, keine Ärztin mehr hingehen, denn die haben auch Familie und Kinder und wollen auch irgendwo leben, wo es die anderen Dinge auch gibt. Gleichzeitig gilt aber auch da ähnlich wie beim Studium, wenn man Kontakt damit hat, wenn man also Famulaturen vermittelt in landärztliche Praxen, das muss ja gar nicht weit weg sein von Ballungsräumen. Oft ist ja so, dass man im Ballungsraum leben kann und die Praxis auf dem Land haben kann. Das ist ja früher nicht so gewesen, heute geht das. Dann zeigt sich, dass dort ein gewisser Klebe-Effekt entsteht, auch eine Heimat-Affinität von Studierenden, dass sie durchaus sich vorstellen können, zurückzugehen in den Odenwald, in die Eifel, im Sauerland, wenn sie da gelebt haben, aufgewachsen sind, wenn sie in der Nähe studieren, aber auch wenn sie dort fabulieren, wenn sie Praktisches Jahr dort machen. Das heißt, wir müssen viel mehr Angebote machen, um zu zeigen, wie schön es dort sein kann. Und vielleicht ist dann der eine oder die andere, die sagen, da kann ich ein Pferd haben, da habe ich Wald in der Nähe, da kann ich einen Hund haben, da habe ich Auslauf für die Kinder, da ist es nicht so gefährlich und laut wie in der Großstadt. Und dann kann das plötzlich ein ganz attraktives Lebensmodell werden. Und wie gesagt, das muss ja nicht eine Region sein, in der es überhaupt keine Anbindung an irgendwas gibt. Es gibt ja tatsächlich auch Regionen, wo man beides haben kann.
Wie sehen Sie dabei die Rolle der KBV?
Ja, die KBV muss werben bei Politik und den anderen Playern im Gesundheitswesen. Die KBV gestaltet weder die Studienplätze, das machen die Länder, noch den Studieninhalte. Die Kammern wiederum gestalten die Weiterbildungsordnung, und die Approbationsordnung wird von den Ländern gestaltet, zusammen mit den Kammern und dem Bund. Und insofern kann die KBV nur beratend an vielen Stellen tätig sein. Da wir aber der Endabnehmer sind, wir sind diejenigen, die KVen sind diejenigen, die nachher die Kolleginnen und Kollegen brauchen für die Versorgung, halten wir es für sehr wichtig, dass man mit uns spricht und uns fragt: Was habt ihr denn für einen Bedarf? Wir sind der Bedarfsträger und das hat wenig stattgefunden. Das wird besser. Und wenn das nicht stattfindet, ist die große Gefahr, dass wir am Bedarf vorbei ausbilden und bei einem so unglaublich teuren und langfristigen Ausbildungsberuf wie eben Medizin, mindestens zwölf Jahre, können wir uns das eigentlich nicht leisten.